Großer Wurf

Islam und Christentum im Dialog
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Das Werk ist ein großer Wurf und lädt zum informierten und engagierten Dialog ein.

Das Buch ist ein Pionierwerk allerersten Ranges. Ein dialogisch erarbeitetes Kompendium zu theologischen Grundfragen dieses Formats gibt es bisher nicht. In einem mehrjährigen Prozess haben fünf evangelische und knapp zehn muslimische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Themenfelder diskutiert, die Diskussionen ausführlich protokolliert, die Ergebnisse in detaillierter Arbeit in die Textvorlagen integriert und so eine gemeinsam verantwortete Textfassung vorgelegt, die in ihrer einheitlichen Endgestalt und allgemeinverständlichen Darstellung schon formal beeindruckt.

Es handelt sich also nicht um einen Sammelband oder ein Lehrbuch, sondern um eine Verständigung über Eigenheiten, Gemeinsamkeiten und Differenzen aus je unterschiedlichen, aber durchaus religiösen Perspektiven, die persönliche Glaubens-praxis und dialogische Erfahrung bewusst einbeziehen, ohne die Verankerung in der je eigenen Tradition zu vernachlässigen. Heiße Eisen werden nicht ausgespart, absolute Standpunkte werden abgelehnt, unverwechselbare Identität in der Begegnung wird stark gemacht. Es geht um „Beziehung in Differenz“. Besonderes Augenmerk gilt der Unterscheidung von normativen Ansprüchen und einer Praxis, die die Ansprüche verfehlen kann.

Die Kapitel decken folgende Themen ab: Bibel und Koran, Gott, Mensch, Schöpfung, Offenbarung, Sünde, Propheten, Jesus und Christus, Muhammad, Moral und Ethik, Gewalt und Krieg, Glaube, Riten, Organisationsformen, Recht(s-Ordnungen). Ein gegliedertes Literaturverzeichnis, auch zur weiteren Vertiefung, ein Register sowie eine Zeittafel unterstützen die Arbeit mit dem Buch. Die Themen sind so aufbereitet, dass muslimische und christliche Abschnitte locker aufeinander folgen, nicht streng gegenübergestellt, sondern, im Gegenteil, gleichsam ineinander verschränkt, je nach Bedarf und inhaltlicher Nähe mehr oder weniger eng aufeinander bezogen. Es ist klar erkennbar, wann welche Perspektive eingenommen wird, auch wenn an einzelnen Stellen gemeinsame Passagen erscheinen, mit direkt nebeneinander gestellten Bezugnahmen auf Koran und Bibel (so besonders zum Thema „Schöpfung“, aber auch zum Beispiel zum „letzten Gericht“ oder „Hölle und Himmel“). Jedes Kapitel schließt mit einem „Resümee: Unterscheidungen auf gemeinsamer Grundlage“.

Stark sind immer wieder prägnante Problembeschreibungen, die zu gelungenen Mini-Einführungen geraten, indem sie in wenigen Worten komplexe Zusammenhänge aufgreifen und für den Gegenstand fruchtbar machen, zum Beispiel zu Finsternis/Sünde, deuteronomistischer Theologie, Offenbarung und anderen. Durchgehend wird die reflektierte Verwobenheit von Bekenntnisorientierung, Sachbezogenheit und Dialogerfahrung sehr transparent gehandhabt.

Natürlich kann (und will) man mit solch einem Projekt nicht in allen Details Zustimmung erzielen. Kritische Anfragen entzünden sich an einigen neuralgischen Punkten. Der Dhimmi-Status etwa wird mit seinem reduzierten Toleranzbegriff korrekt dargestellt, allerdings fehlt eine klare Äußerung dazu, dass dieser Toleranzbegriff heute keinesfalls als hinreichend betrachtet werden kann (zaghaft im Kleingedruckten).

Die Abschnitte über Gewalt und Krieg sind nach Ansicht des Rezensenten teilweise tendenziös beschönigend, teilweise mangelhaft. Für die christliche Tradition fehlt völlig die Wirkungsgeschichte von Augustin und dessen bellum iustum. Die Probleme der muslimischen Darstellung können hier nicht erörtert werden, es wird erstaunlich vage mit der Frage umgegangen, was an Normen heute noch breite Geltung hat/haben kann und was nicht. Leichterhand wird der „Extremismus“ vom „Dschihad“ (und vom Islam) säuberlich geschieden und überdies den „schlechten Erfahrungen“ (Opfer) und den „Medien“ zugeschrieben. Gewaltakte würden in Reaktion auf Demütigungen mit „isolierten Elemente(n) aus der muslimischen Tradition“ gerechtfertigt und ließen sich somit nicht auf den Islam als Religion zurückführen. Hier und an weiteren Stellen legt sich die Darstellung zu wenig Rechenschaft ab über den (unterschiedlichen) Stellenwert und die konkrete Gestalt historischer Arbeit in der Auslegung von Schrift und Tradition. Es wird nicht hinreichend klar, was sich historisch verortet und was heute gelten soll; der Einsatz historischer Kritik wirkt gelegentlich willkürlich. Auch deshalb wird das hohe Ziel, Norm und Praxis nicht zu vermischen, nicht immer erreicht. Manchmal scheint mehr die Norm (Dschihad), manchmal mehr die Praxis ins heutige Konzept zu passen (Verhältnis Religion und Staat). Fazit: Das Werk ist ein großer Wurf und lädt zum informierten und engagierten Dialog ein. Die Chance einer verständlichen Einführung in die christliche Theologie sollten sich Muslime nicht entgehen lassen - sie ist in der Form schwerlich aus der Fachliteratur zu ziehen. Eine andere Chance - auch äußerlich freundlich zum Dialog einzuladen - wurde offenkundig verpasst: Warum nur hat das Buch ein so abtörnendes graues Cover mit Schriftsalat bekommen?

Friedmann Eißler

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Friedmann Eißler

Dr. Friedmann Eißler ist Wissenschaftlicher Referent bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin.


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