Segnung mit Milch und Wasser

Auf dem Friedhof im westfälischen Hamm gibt es ein Gräberfeld für Hindus
Das Gräberfeld der Hindus ist dem „Rad des Dharma“ nachempfunden. Foto: Markus Klüppel
Das Gräberfeld der Hindus ist dem „Rad des Dharma“ nachempfunden. Foto: Markus Klüppel
In der Regel verbrennen Hindus ihre Toten und verstreuen die Asche. Da das in Deutschland nicht erlaubt ist, haben Hindus in Hamm andere Bestattungsriten entwickelt. Der Journalist Thomas Krüger hat sich umgehört und umgesehen und beobachtet, wie sich eine alte asiatische Religion europäisiert.

Herr R. aus Gütersloh war 82 Jahre alt geworden. Rund achtzig Familienmitglieder und Freunde versammelten sich im Februar in Hamm auf dem Friedhof an der Birkenallee, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. An der Grabstelle erinnert nun eine Granitplatte mit dem Namen und den Lebensdaten an den Toten. Der für seine Angehörige traurige Anlass war aus religions- und kulturwissenschaftlicher Sicht ein denkwürdiges Ereignis: Denn der aus Sri Lanka stammende Mann war der erste Verstorbene, der auf dem Hindugräberfeld des Städtischen Friedhofs bestattet wurde. Es ist das erste seiner Art in Mitteleuropa, vor einem Jahr eingeweiht. „Lassen sich Hindus denn auf einem Friedhof bestatten?“ Markus Klüppel, der Leiter des Friedhofsamtes von Hamm, wunderte sich schon, als vor drei Jahren der Hindupriester Sri Arumugam Paskaran ihn bat, die Stadt möge für Hindus ein eigenes Gräberfeld einrichten. „Ich wusste, dass man im Hinduismus Verstorbene verbrennt und ihre Asche in Flüssen verstreut wird“, sagt Klüppel. „Mit wenigen Ausnahmen - etwa für Mönche, Yogis und Säuglinge - gibt es im Hinduismus nur Feuerbestattungen“, bestätigt Annette Wilke, die an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster Religionswissenschaften lehrt. Die Kraft des Feuers soll die Seele reinigen, und „die Bestattungsrituale dienen dazu, die Toten mit den Ahnen zu vereinen“. Seit vielen Jahren forscht die Professorin über den Hinduismus in der Diaspora. Von den 100.000 Hindus, die in Deutschland leben, stammen die meisten aus Sri Lanka. Diese rund 40.000 Tamilen bilden die größte Gruppe, gefolgt von 30.000 Indern und 7.000 Afghanen. Während die indischen Hindus, meistens Studenten, Ärzte und Händler, sich eher in Kulturzentren organisierten, sei mit den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Sri Lanka Mitte der Achtzigerjahre auch deren Tempelkultur in Deutschland eingezogen, erzählt Wilke. Dazu gehören Tempeltürme, aufwändige Rituale und Tempelfeste. „Die meist aus ländlichen Gebieten stammenden tamilischen Familien legen viel Wert auf eine gute Bildung für ihre Kinder“, sagt die Professorin. Mit der Einrichtung von Tempeln wollen sie ihre religiöse Versorgung wiederherstellen und den Glauben an die nächste Generation weitergeben.

Farbenprächtiges Fest

Den ersten Hindutempel in Hamm gründete der Priester Sri Paskaran 1989 in seiner kleinen Wohnung. Doch die Gemeinde wuchs und fand nach mehreren Zwischenlösungen ein Grundstück im Gewerbegebiet in Uentrop. Hier entstand durch Darlehen und Spenden von Gläubigen aus ganz Deutschland der Sri-Kamadchi-Ampal Tempel, der einen 17 Meter hohen Turm hat (siehe Foto auf Seite 21). Der vor 14 Jahren fertiggestellte Bau ist der größte tamilische Tempel Europas. Er zieht Gläubige selbst aus dem benachbarten Ausland an. Beim farbenprächtige Tempelfest, das jedes Jahr bis zu 20.000 Menschen anlockt, wird die Figur der Göttin Kamadchi, „die mit den liebenden Augen“, in einer Prozession durch die Straßen getragen. In seinem Büro im Tempel, unweit des großen Schreins der Göttin, erzählt Priester Paskaran von den Mitgliedern seiner Gemeinde und ihren Schwierigkeiten, fern der Heimat die traditionellen Bestattungsriten einzuhalten. Weil das Verstreuen der Asche in Gewässern hierzulande verboten ist, schicken viele die Urne in die alte Heimat, wo Verwandte die Rituale übernehmen. Andere aber hätten in Sri Lanka oder Südindien, wo viele Tamilen leben, keine nahen Angehörigen mehr, sagt Paskaran. Und außerdem müsse man die Trauerzeremonien „dort halten, wo jemand gestorben ist. Denn dort ist seine Seele.“ Eine Notlösung sei für viele Familien eine Bestattung in der Nordsee, obwohl auch dort nicht die Totenasche verstreut, sondern nur die Urne versenkt werden darf. Aus Nordrhein-Westfalen weichen deswegen viele Familien nach Holland aus, weiß der Priester. Mindestens der älteste Sohn muss die Urne begleiten. Denn er hat die Trauerrituale unter Anleitung eines speziellen Bestattungspriesters zu vollziehen. Dieser wird gebraucht, weil die Toten im religiösen Sinne als „unrein“ gelten und ein Tempelpriester mit ihnen nicht in Berührung kommen darf. Dies alles kostet viel Geld, das viele Familien nicht aufbringen können. Und manche hätten auch Schuldgefühle, wenn sie die Rituale nicht so einhalten können wie es zuhause üblich war, sagt die Hinduismusexpertin Wilke. „Ich möchte den Menschen einen neuen Weg aufzeigen“, begründet Sri Paskaran die Errichtung des Gräberfeldes in Hamm. Er hofft, dass dies von den Gläubigen akzeptiert wird. Schließlich leben viele schon länger in Deutschland und sind durch christliche Verwandte oder Ehepartner mit den hiesigen Bestattungsriten in Berührung gekommen. Für die Gestaltung des Hindugräberfeldes gab es keine Vorbilder, an denen sich Friedhofsamtsleiter Klüppel hätte orientieren können. Er erkundigte sich bei Religionswissenschaftlern über die Grundzüge des Hinduismus, erhielt eine Spezialführung durch den Tempel in Hamm und führte viele Gespräche mit Priester Paskaran. Das Ergebnis war der Vorschlag, das Gräberfeld gemäß dem „Rad des Dharma“ zu gestalten, einem im Buddhismus wie im Hinduismus zentralen Symbol. Mit seinen acht Speichen, die die Wegeachsen des Feldes bilden, steht das Rad für den „Edlen Achtfachen Pfad“, eine Sammlung ethisch-moralischer Grundsätze und religiöser Regeln. Als Ort suchten Klüppel und Paskaran eine zuvor nicht belegte Fläche auf dem Friedhof Birkenallee aus, der vier Kilometer entfernt vom Tempel liegt. Wichtig ist dem Priester, dass hier nur hinduistische Gläubige bestattet werden. Das Gräberfeld, das nach dem Wunsch von Sri Paskaran von Hindus aus ganz Europa genutzt werden soll, ist rund 2.000 Quadratmeter groß - ein ruhiger, sonniger Ort am Rande des Friedhofs, begrenzt von großen Bäumen, Ackerflächen und einem kleinen Fluss. Innerhalb der acht Wegeachsen ist zunächst Platz für etwa 600 Urnen und einige wenige Erdgräber. Und später kann auch die umliegende Grünfläche belegt werden. Die Mitte des Rades bildet eine etwa 250 Jahre alte Kugel aus Sandstein. Als das Grabfeld vor einem Jahr, am 1. Oktober 2015, eingeweiht wurde, erklärte der Priester die Kugel zum Symbol für die ganze Welt und übergoss sie als Zeichen des Segens mit Milch und Wasser. Friedhofsamtsleiter Klüppel rechnet damit, dass viele Familien sich für das anonyme Rasengrab entscheiden werden: „Für die Hindus ist der Ritus der Bei-setzung zentral. Danach werden wohl viele das Grab gar nicht mehr besuchen, zumal sie von weit her kommen.“ Auf Wunsch kann eine Gedenktafel mit Namen, Lebensdaten und Symbolen in den Rasen eingelassen werden, möglich sei aber auch ein mit einer Steintafel abgedecktes Urnengrab, auf dem Blumen, Schalen, Opfergaben und Kerzen platziert werden dürfen. Die Grabformen, könnten auf dem kommunalen Friedhof von jedermann zu den gleichen Preisen gewählt werden, betont Klüppel: „Wir behandeln alle Bürger gleich, unabhängig von ihrem Glauben.“ Wenn es nach Sri Paskaran geht, würden Hindus die Grabstätten ihrer Verwandten und Freunde künftig regelmäßig besuchen, sie mit Blumen schmücken oder Kerzen anzünden, wie es auch Christen tun. In dem Kulturzentrum, das derzeit neben dem Tempel entsteht, möchte er seine Gemeinde künftig auch in solchen Fragen unterweisen. Für Barbara Happe, Lehrbeauftragte am Seminar für Volkskunde der Universität Jena, wäre das ein weiterer Schritt „auf dem Weg zum multikulturellen Friedhof“. Bei den in Deutschland eingewanderten Muslimen habe sich bereits gezeigt, dass die Bestattungskultur fern der Heimat auf Dauer angepasst wird. So lockere sich bei ihnen der „Ewigkeitsanspruch“ für die Gräber nach und nach. Dürers „Betende Hände“ auf Grabsteinen, Grablichter oder Allerheiligengestecke zeugten von einer beginnenden Anpassung an westliche Bestattungskultur, meint Happe. Aber dass Hindus sich in Hamm in der Erde beisetzen lassen, sei jedoch ein noch tieferer Eingriff in die Tradition, rühre „an die Grundfesten hinduistischer Überzeugungen“. Und in Bielefeld habe eine Hindugemeinde entschieden abgelehnt, was in Hamm geschieht.

Unterm Kreuz

Gut vier Monate dauerte es, bis dort auf dem Hindugräberfeld erstmals bestattet wurde. Und die Zeremonie war - zur Überraschung der Friedhofsverwaltung - gleich ein Sonderfall, nämlich eine Erdbestattung mit Sarg. Denn der erwähnte Herr R. aus Gütersloh war der Schwiegersohn eines Priesters und wurde daher, der Tradition gemäß, nicht eingeäschert, wie Sri Paskaran erläutert. Für Markus Klüppel, der bei der Beisetzung zugegen war, war besonders eindrücklich, dass die Hindugemeinde keine Berührungsängste mit den christlichen Symbolen in der Trauerhalle hatte: „Der Tote wurde zu Füßen des Vortragekreuzes im offenen Sarg aufgebahrt.“ Und auch das abnehmbare Wandkreuz durfte hängenbleiben. Zu Beginn der Feier saßen die engsten Angehörigen mit dem Bestattungspriester auf dem Fußboden, und ein dünner Faden verband sie mit dem Verstorbenen. Sodann führte eine Prozession um den Sarg herum, Rosenblätter wurden hineingeworfen, erinnert sich Klüppel. Für die notwendige Waschung des Gesichtes des Toten mit Milch und Wasser behalfen sich die Gläubigen, in dem sie die Flüssigkeiten über einen Spiegel am Fußende des Sarges gossen. Und die Töchter und die Witwe stimmten Trauergesänge an. Nach Ende des offiziellen Ritus, bevor der Sarg geschlossen wurde, habe es ein großes Wehklagen gegeben, erzählt Klüppel. Die männlichen Angehörigen begleiteten den mit einem Rosenbukett geschmückten Sarg zum Grab. In einer kurzen Zeremonie sei Salz auf ihn gestreut worden und einige Schaufeln Erde. Dann wurde die Trauergesellschaft in der Trauerhalle mit Getränken und Gebäck bewirtet. Für Priester Sri Paskaran dient der Friedhof in Hamm auch dazu, dass in Deutschland Spuren von Hindus in zu finden sind. „Wenn Christen sterben, kommt ein Stein auf das Grab mit einem Kreuz oder einer Marienfigur. Hindus haben dagegen bislang keinen Ort und kein Symbol“, bedauert der Tempelpriester. Friedhofsamtleiter Klüppel rechnet damit, dass die Nachfrage nach Hindugräbern erst in einigen Jahren steigen wird. Denn die meisten der nach Deutschland zugewanderten Hindus seien erst nach 1945 geboren. Mit einem Forschungsprojekt will das Seminar für Religionswissenschaft der Katholisch-Theologischen Fakultät in Münster beobachten, wie sich die Begräbniskultur der Hindus in Deutschland weiter entwickelt. Professorin Wilke sieht im Hinduismus durchaus Anknüpfungspunkte für Veränderungen. So sei es bei besonders verehrten Mönchen schon bisher üblich gewesen, auf den Gräbern Schreine zu errichten und sie mit Blumen zu schmücken. Generell sei der Hinduismus pragmatisch, selbst bei Ritualen. Und Priester Sri Paskaran bestätigt: „Die Religion sagt: Du musst einen Weg finden, und wenn er nicht gangbar ist, gibt es einen zweiten oder dritten.“

Literatur Barbara Happe: Heimat ist da, wo die Ahnen begraben liegen. Die Einwanderungsgesellschaft ist lange schon auf den Friedhöfen angekommen. In: Schwäbische Heimat 2016/3, S. 269-276. Corinna Kuhnen: Fremder Tod. Dissertation, Bremen 2009. Zum Hinduismus insbesondere die Seiten 157-179.

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Thomas Krüger

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