Zeitzeugen

50 Jahre Bekenntnisbewegung
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Es drängt sich das Bild von Soldaten auf, deren größtes Problem der Frieden ist und die sich ihre Ersatzkriegsschauplätze schaffen.

Der autobiografische Rückblick von Peter Beyerhaus, dem emeritierten Tübinger Professor für Missionswissenschaft und Ökumenische Theologie, und einem der Altmeister des Widerspruchs gegen „die theologische und glaubensmäßige Verkürzung und Entstellung des Evangeliums“, ist – man kann es nicht anders sagen – ein Kampf, wie er im Buche steht. Auf über 700 Seiten entwickelt Beyerhaus eine Innenschau von fünfzig Jahren Bekenntnisbewegung, die 1966 mit dem Bekenntnistag in Dortmund ihren öffentlich wahrnehmbaren Anfang nahm.

Beyerhaus war von Anfang an dabei: Den 1968 gegründeten "Theologischen Konvent Bekennender Gemeinschaften", der ihm zur „geistlich-theologischen Heimat“ wurde, leitete er von 1972 bis 2005, bei der Gründung der Konferenz Bekennender Gemeinschaften (KBG) 1970 war Beyerhaus treibende Kraft. Diese Konferenz sollte ursprünglich „Rat der evangelischen Bekennenden Gemeinschaften in Deutschland“ heißen und entwickelte sich in der Eigenwahrnehmung „zu einem umfassenden bibeltreuen Gegenüber zur EKiD“.

Bereits in diesem Konkurrenzversuch zu dem „bibeluntreuen“ Rat der EKD wird die Stoßrichtung des Bekenntniskampfes deutlich: Er richtete und richtet sich nur zu einem kleinen Teil auf konstruktive innerkirchliche Neuerungen oder auf die Gewinnung atheistischer und kirchenferner Menschen für das Christentum, auf Evangelisation im Sinne des Evangeliums, der Frohen Botschaft. Vielmehr war er ein Kampf „gegen“, und zwar gegen die „moderne Theologie“ ebenso wie gegen die „vom Glauben abgefallene Kirche“. Die Rhetorik des gesamten Buches lässt keinen Zweifel an der grundsätzlichen Aversion des Verfassers und der maßgeblichen Führungsgestalten der Bekenntnisbewegung – von Rudolf Bäumer, Reinhold George, Karl Hauschildt und vielen mehr ist ausführlich die Rede – an dem „theologischen Modernismus in Gestalt neorationalistischer Bibelkritik mit deren Auflösung der biblischen Christologie und Soteriologie“, kurz: an „bibelfremden Theologen“ oder an Kirchenleitungen, die die „theologische und glaubensmäßige Verkürzung und Entstellung des Evangeliums“ betrieben. Das alles liest sich in der Wiederholung der an der Oberfläche bleibenden Stereotype und in der martialischen Terminologie über Strecken ermüdend und atmos-phärisch bedrückend.

Punktuell nimmt es unfreiwillig komische Züge an, wie bei der Bildunterschrift unter Foto 11: „Professor Beck über die Völker im Gericht“. An anderen Stellen wiederum wird die Absolutsetzung und Verhältnislosigkeit des „Glaubenskampfes“ bizarr und beängstigend, zum Beispiel, wenn in einem „Wort“ zum Bußtag 1988 der Holocaust mit der Vorführung des „blasphemischen Filmes ‚Die letzte Versuchung Christi‘“ gleichgesetzt wird.

Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass durch Beyerhaus’ Konzentration auf Geschichte, Struktur und die Arbeitsschwerpunkte der KBG und des Theologischen Konvents nur eine Strömung der vielschichtigen evangelikalen Bewegung sichtbar wird, nämlich jene, in die er biografisch involviert war. Sein Rückblick kann keinesfalls als Geschichte des Evangelikalismus in (West-)Deutschland insgesamt gelesen werden, von dem die Bekenntnisbewegung lediglich ein Teil war.

Was allerdings die Innenschau der Bekenntnisbewegung illustrativ verdeutlicht, ist die Verhaftung dieses Teils des Evangelikalismus im Denken, den Strukturen und dem Weltbild des so genannten Kirchenkampfes der Bekennenden Kirche im Nationalsozialismus, der für die Protagonisten der Bekenntnisbewegung erst nach 1945 richtig begann. Das permanente Heraufbeschwören der „Notsituation“ sowie die bibelhermeneutische Unterordnung von Passagen, die zu Einheit, Liebe und Toleranz divergierender Glaubensformen aufrufen, unter Sequenzen, die die „Scheidung der Geister“ proklamieren, führen die inhaltlichen Anliegen der Bekenntnisbewegung schnell ad absurdum – vom grundsätzlichen Mitgehen mit dem jeweiligen konservativen Zeitgeist einmal ganz abgesehen. Es drängt sich das Bild von Soldaten auf, deren größtes Problem der Frieden ist und die sich ihre Ersatzkriegsschauplätze schaffen. Und wie im echten Krieg sind die zivilen Kollateralschäden, vom Generalstab aus gesehen, recht belanglos. Insgesamt ist der der evangelikalen Landschaft eher fernstehende Leser oder die kritische Außenbeobachterin am Ende der Lektüre um einiges klüger, was innerevangelikale Vernetzungen, aber auch Auseinandersetzungen anbelangt, die Beyerhaus, der innerevangelikale Vermittler, offen beschreibt. Als Zeitzeugendokument wird das Buch durchaus einen Fundus für künftige Forschungen darstellen, ebenso kann es für die historiografische Identitätssuche der evangelikalen Bewegung nützlich sein. Ein zweiter Band, der die internationalen Vernetzungen der Bekenntnisbewegung im Blick hat, ist geplant.

Gisa Bauer

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Gisa Bauer

Prof. Dr. Gisa Bauer, geboren 1970, ist seit 2022 berufene Professorin für Historische Theologie und ihre Didaktik am Institut für Evangelische Theologie der Universität zu Köln und war von 2012 bis 2016 in einer kirchlichen Einrichtung im Bereich der ostkirchlichen Konfessionskunde tätig.


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