Konfessionsalarm

„Glaubenswelten“ im Leipziger Bachhaus
Foto: pixelio/Dietmar Meinert

In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts war Leipzig religiös gesehen ein heißes Pflaster. Zwar lebten in der Stadt an der Pleiße seit der relativ späten Einführung der Reformation im Jahre 1539 zwei Jahrhunderte lang nur lutherische Bewohner, aber in die pulsierende Handelsmetropole mit drei Messen im Jahr kamen immer wieder Menschen unterschiedlichster Konfessionen. Dann herrschte bei der Obrigkeit Religions- und Konfessionsalarm, denn bis etwa 1700 waren „unliebsame“ Glaubensausübungen, also nichtlutherische Gottesdienste oder rituelle Handlungen anderer Religionen, verboten. Die Stadt und besonders die lutherische Glaubensbehörde wachten streng darüber.

Dann passierte für diese Hardliner der Supergau: Der sächsische Kurfürst August, genannt „der Starke“, übernahm 1697 die polnische Königskrone, gewann Macht und Einfluss, aber um den Preis, dass er römisch-katholisch wurde. Die Empörung der lutherischen Sachsen über ihren Landesherrn war groß, aber die Situation erforderte von beiden Seiten Zurückhaltung: Der Kurfürst konnte die große Mehrheit seiner Untertanen nicht noch mehr verstimmen, und diese mussten mit ihrer Verärgerung diplomatisch umgehen, er war ja der Kurfürst.

Komplizierte Verhältnisse, von denen nun eine Ausstellung im Bachhaus Leipzig Zeugnis ablegt, in der einige besondere Exponate zu sehen sind. Verblüffend, wie genau in Sachen Religion früher Buch geführt wurde. Es sind in Vitrinen die sauber geschriebenen Listen von 1732 zu bewundern, die genau festhalten, wie viele Andersgläubige, also wie viele Nichtlutheraner, sich unter der Leipziger Bevölkerung befinden. Damals wohnten etwa 18?000 Menschen in der Stadt, von denen waren laut Liste 280 evangelisch-reformiert und 200 römisch-katholisch, insgesamt also weniger als drei Prozent der Bevölkerung. Das Beispiel des Kurfürsten hatte noch nicht wirklich Schule gemacht ...

Bereits 1701 hatte August der Bitte nach Gründung einer reformierten Gemeinde stattgegeben. Jedoch gab es das nicht umsonst. Der sächsische Großkanzler Wolf Dietrich von Beichlingen, der diese Bitte dem Kurfürsten herantragen sollte, versprach den Reformierten seine Unterstützung, allerdings unter der Bedingung einer Zahlung von 7?000 Reichstalern als „Darlehen“ - das niemals zurückgezahlt wurde.

Seit Ende des 15. Jahrhunderts, nach mehreren Vertreibungswellen, wohnten keine Juden mehr in Leipzig. Erst 1710 durfte sich hier wieder ein im Dienst des Dresdner Hofes stehender Jude niederlassen, um die kurfürstliche Münzstätte mit Silber zu beliefern. Zu den Messen kamen jedoch viele jüdische Händler nach Leipzig. August hatte den Juden 1698 die Religionsausübung zugesichert, wenn auch nur in Privaträumen. Immer wieder gab es Ärger um ausschweifende, tagelange jüdische Hochzeitsfeiern zur Messezeit, und noch 1708 behauptete die Stadt Leipzig, sie habe den kurfürstlichen Erlass nie erhalten.

Johann Sebastian Bach war natürlich Lutheraner, doch er hatte keinerlei Probleme damit, in Köthen einem reformierten Fürsten zu dienen. Und für sein Leben gern wollte er den Titel „königlich-sächsischer Hofkomponist“ tragen. Dafür komponierte er seine „Missa von 1733“, den ersten Teil der später weltberühmten H-Moll-Messe. In der Leipziger Ausstellung sind diese von Bach und einigen seiner Familienmitglieder handgeschriebenen Noten aus diesem Konvolut zu bewundern - gestochen scharf und von großer Schönheit. Auch ein Beweis dafür, dass wahre Kunst keine Grenzen kennt und schon gar keine der Konfession.

Information

Die Ausstellung „ Glaubenswelten“ im Bachhaus in Leipzig ist noch bis 25. Juni 2017 zu sehen.

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Reinhard Mawick

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