Tanz den Gundlach!

Die Theologie ist keine Magd der Kirche
„Die Wahrheit wird Euch freimachen“ steht über dem Hauptgebäude der Universität Freiburg im Breisgau. Foto: epd/ Antonio Pisacreta
„Die Wahrheit wird Euch freimachen“ steht über dem Hauptgebäude der Universität Freiburg im Breisgau. Foto: epd/ Antonio Pisacreta
Thies Gundlach, Vizepräsident im EKD-Kirchenamt, kritisierte in zz 03/17 die Kritik vieler Universitätstheologen an Planung und Gestaltung des Reformationsjubiläums. Der Theologe und zeitzeichen-Autor Udo Feist sieht bei Gundlach die Freiheit der Wissenschaft gefährdet.

Nach Thies Gundlachs Philippika durfte man sich so einiges fragen, auch Belangsloses. Etwa, wie viel der EKD-Kirchenamtsvize sonst noch mit dem Fußball verbindet. Er verdankt diesem nicht nur sprachlich begehrenswerten, publikumsträchtigen Spielfeld jedenfalls markante Bilder, zunächst das von der Abseitsposition und vor allem dies: „Die akademische Theologie verstolpert das Reformationsjubiläum.“ Sprich: Sie hat das Tor nicht gemacht. Mutmaßlich ein entscheidendes, wie jenes von Mario Götze 2014. Von dem gleich zur Dekade mit zehn Spielzeiten aufgeblasenen Reformationsjubiläum läuft ja ebenfalls bereits das Finale.

Stattdessen, so Gundlach, bekrittele die Universitätstheologie die 1517-2017-Festivitäten-Details, verweigere Kirche und Gesellschaft eine konstruktive Interpretation von deren Gestaltung, verbreite „grummelige Meckerstimmung“ und lasse vor allem eines vermissen: „Mut zu weiterführenden Thesen und theologischen Perspektiven, die das Spezialistentum der Forschungen das wieder sein lassen, was sie sein sollten: Zuarbeit für große Glaubensentfaltung, die Gottesbewusstsein und Weltrationalität auch im 21. Jahrhundert zusammenbindet.“

Zuarbeit. Gundlach geht es also nicht um Spielkonzepte, Doppel-Sechs oder Fünfer-Kette. Und er stellt auch nicht bloß die Trainerfrage. Der EKD-Mann sinniert vielmehr darüber, wem die Mannschaft eigentlich gehört. Spätes-tens an dieser Stelle fragt man sich, ob der Kirchenamtsvize in seinem Beleidigtsein nicht ein kapitales Eigentor geschossen hat. Schließlich regt er Überlegungen an, die auf den eigenen, nun entblößten Kasten zustürmen. Gundlachs Ortsbestimmung geht ans Eingemachte, denn sie formuliert die Frage nach der Macht: Kritisch solle die wissenschaftliche Theologie ja schon sein, konzediert er, gehöre sie doch zum Kader der Universitäten. Ihre Freiheit von Lehre und Forschung wird aber eingeschränkt. Oder wie ist Gundlachs Forderung sonst zu deuten, dass sie die Eventdekade gefälligst im Sinne der Kirchenleitungen begleiten soll? Steckt da gar eine Drohung dahinter? Gundlach deutet das jedenfalls an, wenn er gleich zu Beginn seiner Ausführungen betont, die Theologie werde von der Kirche „in Schutz genommen, wenn aufgrund der geringeren Zahl von Studierenden“ der Staat versuche, „trotz gültiger Verträge in den Fakultäten zu sparen“.

Aus Selbstlosigkeit, so viel macht Gundlach deutlich, tut die Kirche das nicht. Es geht vielmehr um Zuarbeit. Die Theologie soll also der Kirche dienen. Und hier beginnt sich der Ball ins eigene Gehäuse zu senken, denn er lenkt den Blick auf das Konstrukt dahinter, das für die Kirchen äußerst komfortabel ist: Der Staat finanziert die theologischen Fakultäten, aber wer auf die Lehrstühle kommt, bestimmen die Kirchen. Und bei Konflikten zwischen Freiheit der Wissenschaft und Gusto der Kirchen scheuen sich letztere nicht, Missliebige vom Platz zustellen. Man denke an den Neutestamentler Gerd Lüdemann, den es 1998 in Göttingen, unweit vom Dienstort Gundlachs, traf.

Die Faustformel des reformationsnahen Augsburger Religionsfriedens von 1555, cuius regio, eius religio: Der jeweilige Gebietsfürst bestimmt über den Glauben der Untertanen, bekommt ein aktuelles Geschmäckle. Ein Eigentor. Denn Gundlachs Fordern rückt in den Fokus, worüber Kirchenleitende eher nicht gern reden, die „hinkende“, also bloß teilweise Trennung von Kirche und Staat in Deutschland. Dabei heißt es doch, Versehrte stelle man nicht auf. Sie macht via Staatskirchenverträgen die Aufteilung, der Staat zahlt, die Kirche bestimmt, überhaupt erst möglich und beschränkt so die Freiheit der Wissenschaft, mithin einen Kern der Aufklärung, den die Kirche sonst gerne beschwört.

Das sind Büchsen, die Gundlach vielleicht lieber geschlossen gehalten hätte, zumal der Boden und die Kontexte gerade unangenehm tief sind. Nicht auszudenken, wenn manche nun dächten, jene der Freiheit der Wissenschaft verpflichtete Fakultäten stünden in ähnlicher Weisungsabhängigkeit von den Kirchen wie die DITIB-Imame vom türkischen Religionsministerium. Eine Sottise, zugegeben, mit der man aber von Seiten des Humanistenverbands zu rechnen hat. Dem Anlass und dem Ballführenden gemäß, der ja selber reformatorischer Theologe ist, gelte für den Konter das sola scriptura: „Mit wem soll ich dieses Geschlecht vergleichen? Es gleicht den Kindern, die auf dem Markt sitzen und rufen den andern zu: Wir haben euch aufgespielt, und ihr wolltet nicht tanzen; wir haben Klagelieder gesungen, und ihr wolltet nicht weinen.“ (Matthäus 11,16 f.) In diesem Sinne: Tanz den Gundlach!

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Udo Feist

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