Auferstehung mit neuen Tönen

Spektakulär: Luther-Stummfilm von 1927 erlebt Wiederaufführung in Berlin
Der Film-Luther von 1927 (Eugen Klöpfer) in Worms, Foto: Bundesarchiv Berlin
Der Film-Luther von 1927 (Eugen Klöpfer) in Worms, Foto: Bundesarchiv Berlin
Jahrzehntelang schlummerte er in den Archiven, nun erblickte der monumentale Stummfilm „Luther“ des Regisseurs und Autors Hans Kyser nach vielen Mühen wieder das Licht der Leinwand. Und der Filmmusiker Stephan Graf von Bothmer geht im Jahr des Reformationsjubiläums mit dem Werk auf Tournee. zeitzeichen war bei der Premiere.

Diesmal blieb es ruhig, jedenfalls unter den Zuschauern. Nur herzlicher Applaus ertönte nach der Aufführung des Filmes „Luther. Ein Film der deutschen Reformation“ in der Passionskirche in Berlin-Kreuzberg am 14. Januar 2017.

Das war vor neunzig Jahren anders. Da gab es nach der Aufführung in Nürnberg Tumulte im Saal und Proteste der katholischen Kirche, die bald die Unterstützung der bayrischen Staatsregierung fanden. Diese legte förmlich Protest bei der Film-Oberprüfstelle des Deutschen Reiches ein und forderte ein Verbot. Die Begründung: Der Film, „nenne sich zwar einen ,Film der deutschen Reformation‘, und die Zuschauer dürften eigentlich erwarten, eine objektive Darstellung der Geschehnisse zu bekommen“. Es sei aber vielmehr „ein Tendenzfilm, der die Absicht verfolge, den Ablauf der Geschehnisse in einem für Luther besonders günstigen Lichte darzustellen“, ist in der Niederschrift der Verhandlung vom 22. März 1928 zu lesen.

Diesem Eindruck des besonders günstigen Lichtes kann sich auch der Zuschauer Anno 2017 nicht erwehren, wird ihm doch auf der Leinwand ein heldischer, ja messianisch verklärter Luther präsentiert. Und die Zwischentexte - im Stummfilm die einzige Möglichkeit, Inhalte expressis verbis auszudrücken - haben eine nationalistische Färbung, die heute skurril anmutet. Beispielsweise wenn die Fürsten in Worms dem Kaiser abtrotzen: „Über einen Deutschen wird nur in Deutschland Gericht gesprochen“, oder wenn sich der Film-Luther in Gedankenspielen darüber ergeht, was er seinem Deutschland schuldig sei.

Diese Deutschtümelei störte viele zeitgenössische Kritiker nicht. Der Film sei „nicht etwa propagandistisch, wie es manchmal konfessionelle Filme sind, sondern ein echtes Zeitgemälde, das den Beginn der Neuzeit in einer Reihe großartiger Bilder zeigt“, heißt es in einer Besprechung von 1928. Doch es gibt auch kritische Stimmen: „Man sollte solche Stoffe grundsätzlich unberührt lassen. An ihrer filmischen Verarbeitung wird jedermann und in jedem Falle mehr auszusetzen als zu bejahen haben“, hält ein anderer Kritiker fest. Und geradezu emphatisch nimmt Willy Haas den Regisseur und Drehbuchautor Hans Kyser ins Gebet: „Hören Sie, Kyser - Mensch, Dichter, gebildeter Humanist, ehrliche Haut: hören Sie mal bitte zu: (…) Sie wissen, daß die Bauernbewegung die einzige große Revolution der Deutschen war. Warum zeigen Sie sie als den Narrentanz Halbverrückter, als den Vandalismus schmutziger Verbrecher? (…) Sie werden mit Luther gute Geschäfte machen. Aber (…) das Gewissensopfer ist zu groß. Mit solchen Dingen ist nicht zu spaßen. Ob ein kitschiger Rheinfilm mehr oder weniger gemacht wird, zu Geschäftszwecken: das scheint mir vollkommen gleichgültig. Nicht gleichgültig aber ist: Daß Sie einen Lutherfilm gemacht und darin alle wichtigen, für Jahrhunderte entscheidenden deutschen historischen Probleme, die in der Erscheinung Luthers wurzeln, wissentlich mit Schweigen übergangen haben.“

In der Tat nimmt es der Film mit der historischen Wahrheit nicht sehr genau, sie wird im Sinne eines Heldenepos zurechtgebogen. Und so kann man die Verstimmung der bayerischen Staatsregierung von 1927 durchaus verstehen, die sich laut Niederschrift der Oberprüfstelle wie folgt beklagt: „Die Art aber, wie in dem Filme die verfolgte Tendenz überspannt werde, sei mit Recht von Seiten der kath. Bevölkerung als verletzend bezeichnet worden und drücke dem Bildstreifen den Stempel der Einseitigkeit auf. Von der kath. Kirche würden nur ungünstige Darstellung gebracht, während Luther überall als Idealmensch erscheine.“ Dem ist aus heutiger Sicht nichts hinzuzufügen.

Einige Stellen zensiert

Sonderbar erscheint, wie detailliert sich eine Staatsregierung noch zu Zeiten der Weimarer Republik, in der das landesherrliche Kirchenregiment ja gerade abgeschafft worden war, mit theologischen Fragen beschäftigt. So wird beklagt, „das historische Bild“ werde „verschoben, indem die ganze Reformation lediglich als aus der Gegenwirkung gegen den Ablasshandel heraus geboren dargestellt werde, während wichtige sonstige Divergenzen, z.B. in der Rechtfertigungslehre und der Abendmahlslehre, überhaupt unerwähnt gelassen würden“. Am Ende wird erreicht, das einige Stellen verändert werden, das bayerische Begehren den Film im ganzen Reich, zumindest aber in Bayern ganz zu verbieten, wird abgewiesen.

Stephan Graf von Bothmer veranstaltet seit zwölf Jahren Konzerte mit Stummfilmen und hat es in diesem Genre zu großer Meisterschaft gebracht. Schräg links neben der drei mal vier Meter großen Leinwand sitzt er am Steinway-Flügel und spielt den Film förmlich in Augen und Herzen der Zuschauer hinein. Von Bothmer folgt keiner Partitur aus Papier, sondern blickt nur auf den Film und schöpft aus dem Augenblick - eine Kunst, ohne die das Stummfilmgenre im 21. Jahrhundert keinerlei Chance hätte.

Besonders der unermüdlichen Arbeit des Bundesfilmarchivs ist es zu verdanken, dass der Film pünktlich zum Jubiläumsjahr wieder gezeigt werden kann. Die Realisierung stand bis zuletzt auf Messers Schneide, denn es war vergessen worden, von dem schon vor Jahren restaurierten Film eine Kopie anzufertigen. Ohne Kopie aber kann es keine Aufführung geben, da ja niemand das Original in einen Filmprojektor legen möchte, weil es dann Schaden nehmen könnte. Das technische Verfahren, alte Filme - im Falle von Luther 1927 eine Filmrolle von mehr als 3200 Metern - digital zu kopieren ist sehr aufwändig. Erst wenige Tage vor der Premiere wurde die Kopie fertig. Das ist ein großes Glück, denn Kysers Lutherfilm, so fremd, abständig, ja skurril er dem heutigen Betrachter erscheint, ist ein überaus wichtiges Dokument, das unbedingt in den künstlerischen Kanon des Jubiläumsjahres gehört. Wenn nicht jetzt, wann dann? Zum anderen aber zeigt der wiedererstandene Film auch, was für Welten zwischen der Lutherverehrung vor einem knappen Jahrhundert und der von heute liegen, und das beruhigt schon. Abgesehen davon aber sind sowohl die Massenszenen wie auch die ausdrucksstarke Mimik aller Darsteller dieses historischen Filmes ein besonderes Erlebnis.

Ganz unabhängig davon lohnt es sich auf jeden Fall, die große Kunst des Stephan von Bothmer an diesem 111-Minüter zu erleben. Das Spiel des kreativen Virtuosen ist in der Lage, jede kleinste Regung des Geschehens musikalisch vorzubereiten, zu begleiten oder auch nachzuzeichnen - das ist auf jeden Fall ganz großes Kino.

Informationen

Die nächsten Aufführungen des Stummfilmes „Luther“ mit Stephan Graf von Bothmer finden am 9. Februar in Nienburg/Weser (Kulturwerk) und am 4. März in Rellingen (Kirche) statt.

zu den Terminen

Reinhard Mawick

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