Der Bibel treu

Mit Paulus für Trauung gleichgeschlechtlicher Paare
Vor zwei Jahren demonstrierten Berliner CDU-Politiker für die Ehe für alle. Doch bei der Mitgliederbefragung unterlagen sie. Foto: epd/ Doris Spiekermann-Klaas
Vor zwei Jahren demonstrierten Berliner CDU-Politiker für die Ehe für alle. Doch bei der Mitgliederbefragung unterlagen sie. Foto: epd/ Doris Spiekermann-Klaas
Das Verbot homosexuellen Geschlechtsverkehrs in der Bibel ist für Peter Lampe eindeutig. Doch damit ist für den Neutestamentler, der an der Universität Heidelberg lehrt, das letzte Wort nicht gesprochen. Kirche und Theologie sollten sich vom Menschenbild der Antike verabschieden aber nicht von den Kriterien des Paulus zu Ehe und Sexualität.

Kirchen wie Synagogen ringen in vielen Ländern darum, ob sie gleichgeschlechtliche Paare trauen dürfen. Und das biblische Erbe scheint eindeutig zu sein. 3 Mose 18,22 und 20,13 ächten jedenfalls den Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Männern. Und Mischna und Talmud bekräftigen das Tabu. Über lesbische Beziehungen handelt die Hebräische Bibel nicht, doch bezieht die antike jüdische Tradition die genannten Stellen auch auf Frauen — ebenso wie Paulus in Römer 1,26b.

Der Kontext der beiden alttestamentlichen Stellen legt nahe, dass jenes Verbot das Gottesvolk bei der Suche nach einer eigenen Identität von ägyptischen und kanaanäischen Sexualbräuchen abgrenzen sollte. Möglich ist deshalb, dass die Tabuisierung homosexuellen Verkehrs besonders auf männliche Tempelprostitution abzielte, die aus dem kanaanäischen Fruchtbarkeitskult zuweilen auch ins Volk Israel eingedrungen war. Doch ändert das nichts an dem allgemeinen Charakter des Verbots in 3 Mose 20. Und kategorisch fällt das Tabu jeglichen gleichgeschlechtlichen Verkehrs auch in Römer 1,26-27 aus. Daran ändern auch Einwände nichts, dass Paulus in 1 Korinther 6,9 neben homosexueller Pädophilie lediglich homosexuelle Prostitution ächtete. Denn Römer 1,26-27 bleibt eindeutig.

Auch andere Relativierungen der biblischen Stellen überzeugen wenig. In einem in der EKD herumgereichten Video versucht der Ludwigsburger Theologe und Pädagoge Siegfried Zimmer darzulegen, dass das Ächten der Bibel nicht das betrifft, was heute zur Debatte steht, nämlich die kirchliche Trauung schwuler oder lesbischer PartnerInnen, die einander auf Augenhöhe begegnen, ohne Ausnutzung von Macht wie beim Sex mit Minderjährigen, und die monogam leben wollen. Dergleichen Augenhöhe und monogame Ausrichtung von Schwulsein habe es in der Antike nicht gegeben, weshalb die Bibelstellen auf etwas anderes abzielten, als was heute im Focus steht. Wirklich? Kannte die Antike Homosexualität zwischen Gleichgestellten nicht, sondern nur die Knabenliebe eines älteren Mannes? Kannte sie keine monogame Treue zwischen Gleichgeschlechtlichen?

Mit Recht werden antike Gegenbelege ins Feld geführt. Dem von Mario Wahnschaffe zusammengestellten Material füge ich Aristophanes Rede in Platos Symposium (189c-193d) als eindrucksvollen Text hinzu. Er rühmt als treu nicht nur homosexuelle Beziehungen zwischen Älteren und Jüngeren, sondern auch zwischen gestandenen Männern, die Staatsämter bekleiden und einander auf Augenhöhe begegnen, angeblich treuer als bei heterosexuellen Verbindungen.

Den biblischen Texten nähere ich mich, ohne ihr kategorisches Ächten zu leugnen noch ihre Treffsicherheit auf die von der Kirche zu trauenden Paare in Frage zu stellen. Natürlich brechen die genannten Bibelstellen den Stab über jedwede gleichgeschlechtliche Praxis. Trotzdem sind sie innerhalb des Kanons in ihrer Normativität für uns zu relativieren. Und zwar durch Sachkritik an der Bibel mit der Bibel selbst, also nicht leichter Hand mit Vorstellungen, die wir aus der Moderne oder Postmoderne mitbringen, um den Bibeltext als veraltet zu deklarieren. Das wäre zu billig.

Ich schlage vor, 1 Korinther 7,3-6 in die Debatte einzuführen, Paulus' nüchternes Eheverständnis, und dieses auf Konsequenzen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften hin abzuklopfen. Von diesem Korinthertext her ist Sachkritik an Paulus traditionalistischem Wiederholen jüdischer Tradition in Römer 1 zu üben und zu einer Legitimation heutiger kirchlicher Trauungen von schwulen und lesbischen Paaren vorzudringen.

Recht auf Sex

Innerhalb der monogamen heterosexuellen Ehe (1 Korinther 7,3-6) ist für Paulus Sex nicht nur erlaubt. Aus seiner Sicht sind die Partner sogar verpflichtet, die sexuellen Bedürfnisse des Gegenübers zu befriedigen. Denn jeder der Ehepartner hat „Anrecht“ auf den Körper des anderen. Keiner kann über den eigenen Körper verfügen, ohne auf die Ansprüche des anderen auf diesen Rücksicht zu nehmen. Paulus'-Eheausführungen überraschen an mehreren Punkten: Die Formulierungen von 7,3-4 erstaunen in ihrer strikten Gegenseitigkeit. Jegliche Schlagseite, dass zum Beispiel nur die Frau die Lust des Mannes zu befriedigen hat, wird vermieden. Beide Geschlechter werden vielmehr in ihren Anrechten und Pflichten gänzlich gleichgestellt. Eine parallele chiastische Struktur lässt sich beobachten: Pflicht des Mannes (=Recht der Frau), Pflicht der Frau (=Recht des Mannes), Recht des Mannes (=Pflicht der Frau), Recht der Frau (=Pflicht des Mannes).

Statt sich selbst zu besitzen, besitzen die Ehepartner einander. Sie sind verantwortlich für das Befriedigen des anderen. Ihre Beziehung beruht also auf gegenseitigem Einverstehen.

Für den, dem Gott das Charisma der sexuellen Askese nicht schenkt, ist die Ehe dazu da, den Sexualtrieb sich ausleben zu lassen, Lust zu befriedigen und so „Porneia“, das heißt für Paulus, jede sexuelle Begegnung außerhalb der Ehe zu vermeiden. Die Ehe stellt sich für den Asketen Paulus also als kleineres Übel dar. Von einem sakramentalen Eheverständnis ist er weit entfernt.

Gefolgert werden kann zudem, dass Sex in der Ehe gut sein muss, damit die Ehe „Porneia“-Verlockungen von außen abwehren kann. Beide Partner sind gleichermaßen für diese Art der Ehepflege verantwortlich. Dass ein derartiger ehelicher Hedonismus auf der Linie der Überlegungen eines Asketen liegt, überrascht, ist aber konsequent, wenn das Vermeiden von „Porneia“ für ihn ein der Ehe übergeordnetes Ziel ist.

Konsequent ist dann auch, dass der Asket Paulus nicht die Frequenz des sexuellen Verkehrs in der Ehe limitiert, sondern umgekehrt die sexuelle Abstinenz in der Ehe begrenzt, indem er sie an drei Bedingungen knüpft. Sie soll zeitlich begrenzt sein. Beide Partner müssen mit ihr einverstanden sein. Sie kann nicht einseitig aufgezwungen werden. Und nur zum Zweck des Gebets, also zur Pflege der Christusbeziehung, soll zeitweilig abstinent gelebt werden. Auf die Idee, dass Ehepartner Spiritualität auch gemeinsam leben könnten, kommt der Single Paulus nicht.

Abstinenz in der Ehe zu begrenzen, war damals weniger sensationell, als es scheinen mag. Auch das rabbinische Judentum diskutierte leidenschaftlich über die maximal erlaubte Länge abstinenter Phasen in der Ehe, nicht etwa über eine Obergrenze ehelichen Sexes. Rabbi Eliezer entschied in der Mischna: Die, die nicht arbeiten, sollen jeden Tag mit ihrer Frau schlafen, Arbeitende mindestens zweimal die Woche, Eseltreiber wenigstens einmal pro Woche und Kameltreiber einmal im Monat. Seeleute auf großer Fahrt wenigstens einmal im Halbjahr.

An keiner Stelle erwähnt Paulus Fortpflanzung als Zweck der Ehe. Nachkommen spielen für Paulus Eheverständnis keine Rolle.

Und wie sind die Linien des Textes nun heute hermeneutisch auszuziehen? In 1 Korinther 7 lässt Paulus den Korinthern die Freiheit, zwischen Askese und einer monogamen heterosexuellen Partnerschaft zu wählen. So ließ er wenigstens eine rudimentäre Pluralität der Lebensstile zu. Zu fragen ist, ob diese Freiheitslinie hermeneutisch weiter auszuziehen ist oder ob wir eher die restriktive Linie des Textes weiterverfolgen sollen, auf der alle anderen Formen von Sexualität außerhalb der monogamen heterosexuellen Partnerschaft „Porneia“ sind.

Der zweiten Linie folgten die Kirchen in der Geschichte. Denn sie hielten sich an Paulus´ ethische Entscheidungen als normatives Geländer, nicht an die Kriterien, die den Apostel Paulus leiteten. Wir haben - im Gegensatz zu einigen anderen neutestamentlichen Autoren - bei Paulus den Luxus, dass er sich oft genug müht, seine apostolischen Empfehlungen argumentativ zu begründen. Nicht immer greift er traditionalistisch auf unhinterfragte Erbstücke zurück wie im Falle der Tabuisierung der Homosexualität.

Halten wir uns also an Paulus Kriterien. Dann könnte es sein, dass wir in der Situation des 21. Jahrhunderts zu anderen Ergebnissen vorstoßen, als der Apostel dies tat. Mit anderen Worten, ich schlage vor, die Kriterien und den Gedankengang, die Paulus zur Begründung der heterosexuellen Ehe benutzt, auf homosexuelle Partnerschaften anzuwenden - vorurteilslos.

1. Paulus hält fest: Askese wäre eigentlich die beste Option. Wem aber das „Gottesgeschenk“ (Charisma) nicht gegeben worden ist, sich sexueller Aktivität zu enthalten, zu der ihn sein sexueller Impuls treibt, soll eine monogame Partnerschaft eingehen, um „Porneia“ zu vermeiden.

2. Das Zugeständnis, das Paulus hier macht, ist sowohl auf hetero- als auch homosexuelle Verbindungen anzuwenden. Denn heute wissen wir, dass Homosexualität in den allermeisten Fällen auf Faktoren zurückzuführen ist, die nicht der moralischen Willenskraft unterliegen: epigenetische, pränatale und andere Faktoren. Sie machen jene sexuelle Orientierung aus, den von Paulus apostrophierten sexuellen Impuls, dem niemand sich durch Willenskraft zu entziehen vermag, wenn Gott ihm nicht das Charisma der Askese schenkt. Entgegen antik-jüdischer Tradition, die an die Willenskraft des Menschen appellierte und Homosexualität als moralisches Defizit wertete, wissen wir heute: Eine homosexuelle Neigung kann nicht durch Willenskraft, „Therapie“ oder heterosexuelle Ehe umorientiert werden. Der schwule Mann und die lesbische Frau nehmen sich vielmehr als so geschaffen wahr. Auch die Hautfarbe ändert niemand, wenn er sich willentlich anstrengt.

3. Sind wir bereit, uns diese humanwissenschaftliche Erkenntnis anzueignen, beziehen sich zwangsläufig alle Aussagen von 1 Korinther 7,3-6 über die heterosexuelle Partnerschaft auch auf eine homosexuelle. Unter diesem Blickwinkel ist der Text nochmals von vorne zu lesen: Gab Gott dir Askese nicht als Charisma, lebe deinen (hetero- oder homo-)sexuellen Impuls aus, mit dem Gott dich geschaffen hat. Lebe ihn aus - aber in einer Partnerschaft, in der ihr Euch auf Augenhöhe begegnet, mit gleichen Rechten und Pflichten. Lebe ihn aus in Monogamie, damit du diesem Impuls nicht rastlos in Unverbindlichkeiten nachgehen musst. Lebe ihn aus. Denn zum Charisma der Askese kann dich niemand zwingen; ein freies Gottesgeschenk ist mit Willensklimmzügen eben nicht zu ertrotzen.

4. Diesen paulinischen Überlegungen entsprechend wäre der Auftrag der Kirche, solche Paare, wenn sie dies möchten, in ihrer Zweisamkeit zu stabilisieren, statt sich der Pflege solcher Verbindungen zu entziehen oder sie gar unter Feuer zu nehmen. Ihre Aufgabe wäre, zu stabilisieren durch Seelsorge und rituellen Segen. Und dieser darf der Segen der Trauung sein, weil mit denselben Argumenten, mit denen Paulus die heterosexuelle Ehe begründet, auch die Ehe gleichgeschlechtlicher Kinder Gottes zu begründen ist.

5. Wer sich solchem Begründen nicht öffnen möchte, muss in antiker Rüstung gegen heutige humanwissenschaftliche Erkenntnisse ankämpfen. Die Frage, ob wir auf dem anthropologischen Wissensstand der Antike verharren müssen, stellt den eigentlichen Kern des innerchristlichen Streits über gleichgeschlechtliche Sexualität dar - nicht die Frage, ob wir der Bibel untreu werden müssen, wenn wir schwule und lesbische Paare trauen.

Peter Lampe

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