Futter für Judenhasser

Über die Luther-Rezeption in der Nazi-Zeit
Foto: pixelio/Dietmar Meinert

Es sollte gefeiert werden, das große Luther-Jubiläum zum 450. Geburtstag des Reformators 1933 - und zwar im ganzen Reich mit einem „Deutschen Luthertag.“ Zwar fand die zentrale kirchliche Feier in Berlin wegen einer Reichstagswahl erst am 19. November statt, also neun Tage nach dem eigentlichen Datum. Doch dann feierten die „Deutschen Christen“ im Dom gemeinsam mit Reichspräsident Paul von Hindenburg und danach im Lustgarten ihren Martin Luther, den „Wegbereiter für die deutsche Einheit“ und den „Wegbereiter für den deutschen Kämpfer aus dem deutschen Braunau.“ Denn: „Adolf Hitler hat heut, 450 Jahre nach Luthers Geburt, Luthers Werk vollendet.“ So schwadronierte der Reichsrundfunkreferent der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ Alfred Bierschwale in seinem Artikel zum Luthertag.

Man könne über so viel mentale Besoffenheit und getrübten Blick in die Geschichte des ausgerechnet Bierschwale heißenden Menschen ja lachen, wenn man nicht wüsste, dass fünf Jahre später in der Nacht vor Luthers 455. Geburtstag in Deutschland die Synagogen brannten. Und nur wenige Wochen später verwies der thüringische Landesbischof Martin Sasse genau auf diesen Zusammenhang und erklärte in der Schrift „Über die Juden: Weg mit ihnen“, dass „in dieser Stunde“ die Stimme des Mannes gehört werden müsse, der „der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden.“

Davon liest man in der Ausstellung „Überall Luthers Worte“ in der Berliner Topographie des Terrors. Während nebenan im Martin-Gropius-Bau der weltweiten Wirkungsgeschichte der Reformation nachgegangen wird (siehe Seite 12ff), beschreibt die deutlich kleinere, aber nicht weniger sehenswerte Schau die Rezeption Luthers in der Nazi-Zeit. Faszinierend und beklemmend zugleich ist es zu sehen, wie stramm und straff die Nazis die vermeintliche historische Linie von Luther zu Hitler zogen. Publizistisch etwa im Sonntagsblatt der Deutschen Christen, die in zwei Ausgaben nacheinander erst Luther und dann Hitler in ähnlicher Pose aufs Titelblatt hoben. Gleich zusammen montiert wurden sie auf dem dritten und vierten Teil der „Weltgeschichte für Alle“. „Neuzeit“ steht unter Luther, „Neueste Zeit“ unter Hitler.

Und dann war da ja noch das Eisenacher „Entjudungsinstitut“ unweit der Wartburg, dem sich die Ausstellung ebenfalls widmet. Immerhin neun deutsche Landeskirchen und die Oberkirchenräte der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union hatten sich für dessen Gründung ausgesprochen. Über 200 Landesbischöfe, Pfarrer, Professoren, Kirchenräte und Kirchenmusiker arbeiteten hier mit. Das Ziel: Ein nichtjüdischer Christus und die Tilgung aller Hinweise auf das Alte Testament und das Judentum aus Bibel, Kirchenliedern und Kirchenbauten.

Natürlich gab es auch die anderen, die Protestanten der Bekennenden Kirche, und sie kommen vor, in dieser Ausstellung. Etwa Helmut Gollwitzer oder Dietrich Bonhoeffer, dessen Zitat „Überall Luthers Worte und doch aus der Wahrheit in Selbstbetrug verkehrt“ der Ausstellung ihren Titel gab. Es gab Protestanten, die sich nicht der Nazi-Ideologie hingaben. Aber sie waren in der Minderheit. Es dominierten die Judenhasser, und sie fanden offenbar genug Futter bei Luther für ihr monströses Werk. Was hätte wohl der Reformator selbst dazu gesagt? Darf man das fragen? Darf man, aber eine Antwort wird man nicht bekommen. Denn hypothetische Fragen werden auch hier nicht beantwortet.

„Überall Luthers Worte…“ - Martin Luther im Nationalsozialismus. Bis 5. November in der Topographie des Terrors, Niederkirchnerstraße 8, 10963 Berlin, täglich 10 bis 20 Uhr, Eintritt frei.

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Stephan Kosch

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