Schnitte in eine schöne neue Welt

Warum Eingriffe in die menschliche Keimbahn Tabu bleiben sollten
Der Genforscher Huang Junjiu von der Universität Guangzhou in China erforscht die dna von menschlichen Embryonen. Foto: dpa/ Lu Hanxin
Der Genforscher Huang Junjiu von der Universität Guangzhou in China erforscht die dna von menschlichen Embryonen. Foto: dpa/ Lu Hanxin
Vor fünf Jahren entdeckten zwei Forscherinnen den so genannten CRISPR/CAS9-Mechanismus. Mit Hilfe dieser Gen-Schere sind Manipulationen an der menschlichen Keimbahn leichter möglich als je zuvor. Die Wissenschaft ist verzückt. Doch Kai Gehring, Sprecher für Hochschule, Wissenschaft und Forschung der grünen Bundestagsfraktion, warnt vor den Risiken und fordert ein Forschungsmoratorium für Deutschland.

Aldous Huxley wusste in den Dreißigerjahren noch nichts von der Gentechnik. Dennoch ersann er in seinem berühmten Roman Schöne Neue Welt eine Welt, in der Embryonen gezielt nach den Wünschen der herrschenden Klasse mit bestimmten Merkmalen ausgestattet werden.

Seit 2012 sind solche Szenarien nicht mehr nur reine Fiktion. In diesem Jahr entdeckten die Biochemikerinnen Jennifer DouDNA und Emmanuelle Charpentier bei der Erforschung der Genregulation von Ribonukleinsäuren den so genannten CRISPR/CAS9-Mechanismus, der die DNA gegen das Eindringen von fremdem Erbgut etwa durch Viren schützt.

Ein Jahr später veröffentlichte das Forscherinnenduo den Artikel A Programmable Dual-rna-Guided DNA Endonuclease in Adaptive Bacterial Immunity in Science. Auf fünf Seiten beschreiben sie das Abwehrsystem des Scharlachbakteriums Streptococcus pyogenes. Selbst Biologen können ohne fundierte Kenntnisse der Mikrobiologie der Argumentation schwer folgen. Laien verstehen kaum einen Satz. Das Fazit aber elektrisierte die Biowissenschaften: Die Genschere des Streptokokkenbakteriums lässt sich nachbauen und sein Sucher auf beliebige Ziele einstellen. Doch warum ist das so bedeutsam?

Grundlage der CRISPR/cas-Methode zur Erzeugung von gentechnisch veränderten Organismen bilden Abschnitte sich wiederholender DNA, so genannte Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats - kurz CRISPR (sprich: Krisper). Diese Abschnitte dienen dem CRISPR/cas-Mechanismus und somit einem Abwehrsystem, das etwa vergleichbar mit dem Immunsystem ist. Das Schneiden der DNA erfolgt mit maßgeschneiderten Enzymen. Diese spezifischen Nukleasen setzen am Erbgut an und werden gemeinhin als „Gen-Scheren“ bezeichnet. Zwar gibt es neben CAS9 auch andere Nukleasen. Doch insbesondere das CRISPR-Verfahren in Kombination mit der Nuklease CAS9 steht wegen seiner Einfachheit und Flexibilität im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Textverarbeitung statt Tipp-Ex

Die zielgerichtete Veränderung des Erbguts von Organismen durch das Entfernen, Deaktivieren, Hinzufügen oder Austauschen einzelner Basenpaare oder kurzer Genabschnitte wird genome editing oder gene editing genannt. Bildlich kann man sich etwa Textarbeit am Computer vorstellen. Auf diese Weise können schnellere und präzisere Erbgutveränderungen erreicht werden als mit früheren gentechnischen Methoden, die - um im Bild zu bleiben - technisch das Niveau von mit der Hand ausgeführten Korrekturen von Schreibmaschinenmanuskripten erreichten. Auch im Pflanzen- und Tierreich kann die Methode genutzt werden. Generell sind dabei die Veränderungen im Organismus oder Produkt nicht mehr als solche nachweisbar.

Spätestens seitdem 2015 das einflussreiche Wissenschaftsmagazin Science die Entdeckung von Charpentier und DouDNA zum „Breakthrough of the year“ kürte, verzückt CRISPR/CAS9 die Fachwelt. Von der traditionell eher rationalen Wissenschaftscommunity wird die Methode als „biomolekulare Revolution“ gefeiert. Auch die Zahl der Veröffentlichungen stieg exponentiell an, Tausende wissenschaftliche Artikel zum Thema CRISPR wurden publiziert. Inzwischen wird an möglicherweise noch präziseren Gen-Scheren wie dem Enzym Cpf1 geforscht.

Auch in Deutschland beschäftigen sich Wissenschaftsorganisationen mit dem Thema. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat gemeinsam mit der Leopoldina und der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) bereits 2015 eine erste Stellungnahme veröffentlicht, ebenso die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften. Der Deutsche Ethikrat befasste sich auf seiner Jahrestagung im vergangenen Juni sowie bei einem trilateralen Treffen im Oktober 2016 mit den britischen und französischen Äquivalenten zum Ethikrat mit dem Thema. Eine Stellungnahme steht noch aus.

Ähnlich wie die Wissenschaftsorganisationen sehe ich viele Chancen. Als Politiker treiben mich aber auch denkbare Risiken und ethische Grenzen um - insbesondere bei der Anwendung im menschlichen Erbgut. Die gezielte Genmanipulation des Menschen ist greifbarer denn je: Schließlich können mit CRISPR/CAS9 Gene praktisch alle Organismen ausgeschaltet, entfernt oder eingefügt werden. Zugleich schreitet die weitere Erforschung der Methode in hohem Tempo voran.

Kommt bald das erste Designer-Baby auf die Welt? Manche weisen dies als Science Fiction zurück. Andere meinen aber, dass schon bald erste Babys mit künstlich verändertem Erbgut das Licht der Welt erblicken. Abwegig ist das nicht: 2015 und 2016 wurde in China an menschlichen Embryonen geforscht. Britische Behörden gaben im Februar 2016 grünes Licht dafür, und auch in den USA, Indien und Israel gibt es Forschungsprojekte. Bisher waren diese Embryonen nicht lebensfähig, aber ethische Grenzen wurden hier infolge wissenschaftlichen Fortschritts schleichend verschoben.

Hohe Erwartungen an die Methode richten sich auf die Heilung bisher unheilbarer (Erb-)Krankheiten. Korrigiere man die verantwortlichen Gene bereits im Embryonalstadium, so könne man die Krankheit auch für alle nachfolgenden Generationen besiegen, argumentieren die Befürworter von Keimbahn-Eingriffen. Anders als bei Eingriffen an Keimzellen von Embryos vererben sich die Korrekturen an körpereigenen, den so genannten somatischen Zellen von Lebenden nicht. An diesen Heilungsmöglichkeiten muss weiter geforscht werden. Denn wenn sich volljährige einwilligungsfähige Patienten für eine somatische Gentherapie entscheiden, ist das in Ordnung - vorausgesetzt, sie wurden über alle möglichen Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt.

Erste Versuche wie Studien zeigen allerdings, dass unerwünschte Nebenwirkungen häufiger als gedacht auftreten. Gentherapierte Patienten entwickelten Leukämie oder die Gen-Schere schnitt zusätzlich an anderen als nur der gewünschten Stelle. Diese Risiken mögen noch reduzierbar sein, bei allem Forschungsoptimismus bleibt aber zweifelhaft, dass sie sich jemals völlig ausschalten lassen.

Ein Beispiel: Menschen mit einem Defekt des CCR5-Gens kann das für AIDS verantwortliche HI-Virus kaum etwas anhaben. Seitdem fließt viel Geld in die HIV-Bekämpfung durch genome editing. Leider führten die Eingriffe bisher vom Regen in die Traufe, denn die Korrektur hat negative Folgen. Die Menschen sind zwar vor AIDS geschützt, erkrankten aber stattdessen am West-Nil-Fieber - einer chronischen Infektionskrankheit, die mitunter zum Tode führt. Der Durchbruch ist also noch nicht gelungen, herkömmliche Therapien bleiben weiterhin das Mittel der Wahl.

Wie gesagt: Im Gegensatz zur somatischen Gentherapie wird jede Veränderung der Keimbahn vererbt. Was wir heute entscheiden, wirkt in allen nachfolgenden Generationen nach. Unsere Nachkommen können wir nicht um Einwilligung bitten. Völlig unklar ist auch, was mit den Menschen geschehen soll, an denen sich die Gen-Schere „verschnitten“ hat, und wer dafür haften würde.

Sogar der Einsatz für perfide Zwecke, etwa Menschen besonders kampftauglich zu machen, ist denkbar. In den USA etwa wurde CRISPR/CAS9 als „sicherheitsrelevant“ eingestuft.

Angesichts der vielfältigen individuellen und gesellschaftlichen Risiken ist für mich klar: Eingriffe in die menschliche Keimbahn müssen ein Tabu bleiben. Daher fordere ich ein Moratorium in Deutschland. Währenddessen ist zu prüfen, ob das Embryonenschutzgesetz dies lückenlos ausschließt. Ein europäisches Verbot wäre sinnvoll, obwohl angesichts der Brexit-Entscheidung mit Großbritannien ein wichtiger „Player“ des genome editing wegzufallen droht. Die Zeit des Moratoriums sollten wir nutzen, um zu überlegen, ob und wie wir die Technologie nutzen wollen und welche Regeln möglichst für die ganze Menschheit gelten sollen. Ein internationales Abkommen mag heute kaum durchsetzbar erscheinen, wäre aber ideal.

In Huxleys Roman wurden alle Krankheiten durch pränatale Impfungen ausgerottet. Die Menschen sind stets gesund, ihr Altern verläuft ohne körperlichen Leistungsrückgang. Auch unsere Gesellschaft ist anfällig für (Selbst-)Optimierung. Wollen wir, dass durch genome editing Kinder, Enkel und Urenkel keine natürlich entstandenen Individuen mit Stärken und Schwächen mehr wären? Müssten sich Eltern rechtfertigen, die ihr Kind trotz Behandlungsmöglichkeit mit einer Behinderung auf die Welt bringen? Wo soll die Grenze liegen zwischen dem, was noch tolerierbar ist und dem, was als „krankhaft“ gilt? Wer entscheidet das? Diese wenigen Fragen zeigen, dass die neue Methode schwerwiegende ethische Fragen mit einer neuen Wucht und Dringlichkeit aufwirft. Inzwischen investieren Konzerne wie Dupont, Bayer, Google, aber auch die Gates Foundation Millionen in neu gegründete Start-ups, die genome editing weiter erforschen. Zugleich gibt es erste patentrechtliche Konflikte.

Erst am Anfang

Wirtschaftsgeleitete Interessen dürfen in einem so sensiblen Bereich nicht dominieren. Das staatliche Schutz- und Fürsorgeprinzip ist hier besonders ernst zu nehmen. Wir stehen erst am Anfang der notwendigen Auseinandersetzung. Die somatische Gentherapie sollte weiter erforscht und gesellschaftlich breit debattiert werden. Doch solange unerwünschte Nebenwirkungen häufig auftreten, sollte auch diese nur unter größter Vorsicht angewendet werden.

Huxley formulierte in Schöne Neue Welt eine zugespitzte Zeitkritik. Wir müssen uns heute kritisch fragen, was es mit uns Menschen machen würde, wenn vermeintliche Defizite herausgeschnitten werden können. Gern wird vor Dammbrüchen gewarnt, ich sehe eher das Risiko schleichender schrittweiser Pfadabhängigkeit, bei der man sich auf den Weg macht, ethisch nicht sorgfältig genug abwägt und irgendwann falsch abbiegt. Oft betone ich, dass ich Vielfalt wertschätze und meine das in Bezug auf unsere moderne Einwanderungsgesellschaft sowie geschlechtliche und sexuelle Identitäten. Wenn ich über die Gen-Schere und Keimbahnmanipulationen weiter nachdenke, geht es künftig wohl um Vielfalt und Individualität statt Einfalt und Optimierungswahn in einem viel umfassenderen Sinn.

Kai Gehring

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