Gleich geht’s los

Wittenberg steht kurz vor der Eröffnung der „Weltausstellung Reformation“
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Am 20. Mai 2017 öffnet die „Weltausstellung Reformation“ in der Lutherstadt Wittenberg ihre Tore. Eine solche Vielzahl von Installationen und Veranstaltungen hat es in der Stadt noch nie gegeben und wird es so schnell auch nicht wieder geben. Beim Rundgang einige Wochen vorher dominierten noch die Baustellen. Aber nicht nur der Glaube, sondern auch die Fantasie kann Berge versetzen.

Bei der Ankunft Nieselregen. Schade, so soll es eigentlich nicht sein, denn bei Nieselregen droht sich Tristesse auszubreiten – überall auf der Welt, nicht nur, wenn man in der Lutherstadt Wittenberg am Bahnhof aussteigt. Aber was soll’s? Wird es hinten am Horizont nicht schon heller? Gleich scheint die Sonne, ganz bestimmt .

Über dem Bahnhof in Lutherstadt Wittenberg ist die Sonne auf jeden Fall schon länger aufgegangen, jedenfalls im übertragenen Sinne, denn im Dezember wurde der neue Bahnhof eröffnet, ein so genannter Grüner Bahnhof. Es ist erst der zweite überhaupt in Deutschland nach Horrem in Nordrhein-Westfalen. Der Wittenberger Bahnhof ist nun ökologisch durchgestylt mit Photovoltaik, Wärmepumpen, Raumbelüftung und Pflanzen auf dem Dach. Alles ganz klimafreundlich und nachhaltig.

Still ruht noch der Schwanenteich.....
Still ruht noch der Schwanenteich.....
.....doch zur Weltausstellung Reformation werden geflochtene Boote an die vielen Menschen auf der Flucht erinnern – noch sind sie im Schuppen.

Zwölf Millionen Euro hat die Bahn investiert, aber sie kann nicht hexen, denn näher an die Stadt herangerückt ist der Bahnhof trotz der Veredelung nicht. So sind es immer noch gut zehn Minuten zu Fuß bis zum Lutherhaus am unteren Ende der Altstadt, etwa zwanzig Minuten bis zu den berühmten Denkmälern Martin Luthers und Philipp Melanchthons auf dem Marktplatz und eine knappe halbe Stunde bis zur Schlosskirche mit der berühmten Thesentür.

Das macht alles nichts, zumindest nicht im Reformationssommer 2017, sagt Christof Vetter, Marketingchef des Vereins Reformationsjubiläum 2017, der im Auftrage der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Deutschen Evangelischen Kirchentages den Reformationssommer 2017 organisiert. Es wird nämlich zur Weltausstellung extra eine Buslinie eingerichtet, die im 20-Minuten-Takt immer wieder um die ganze Altstadt Wittenbergs fährt und dabei natürlich auch den etwas abseits liegenden Bahnhof nicht ausspart.

Vetter, 56, sitzt in einem Raum, in dem es zugeht wie in einem Taubenschlag, aber einem fröhlichen. Die Kaffeemaschine surrt, ständig kommen junge Leute herein, die meisten tragen rote T-Shirts mit der Aufschrift r2017.org, dem Logo des Vereins. Es sind so genannte Volunteers, junge Leute, die seit dem Herbst 2016 in Wittenberg leben und arbeiten, um die „Weltausstellung Reformation – Tore der Freiheit“ vorzubereiten und dann als staff zu begleiten, und zwar die gesamten 16 Wochen vom 20. Mai bis zum 10. September. Diese 220 jungen Leute arbeiten zusammen mit gut einhundert anderen Hauptamtlichen, unter anderem dem erfahrenen kirchlichen Öffentlichkeitsarbeiter Christof Vetter, daran, das Unikat Weltausstellung, DEN Höhepunkt des Reformationsjubiläums 2017, zu verwirklichen.

Im alten Gefängnis von Wittenberg gestalten 70 international renommierte Künstler die Ausstellung „Luther und die Avantgarde“......
Im alten Gefängnis von Wittenberg gestalten 70 international renommierte Künstler die Ausstellung „Luther und die Avantgarde“.....
....unter ihnen Sun Xun aus China.
....unter ihnen Sun Xun aus China.

Das Hauptquartier von Vetter und seinen Scharen ist das alte Melanchthon-Gymnasium, ein herrschaftlicher Altbau des Wilhelminismus. Er wird schon eine Weile nicht mehr als Schule genutzt und sollte eigentlich kernsaniert werden, obwohl die weitere Nutzung noch unklar ist. Aber dieses Vorhaben hat die Stadt Wittenberg auf die Zeit nach 2017 verschoben. 2015/16 wurde nur das Notwendigste außen und innen gemacht, eine Art temporäre Sanierung: Nun sind moderne Büros in die Klassenräume eingezogen. Viel Neues und viel Jugend webt, wirkt und regt sich in den alten Mauern.

Damit ist das ehrwürdige Wittenberger Gymnasium auch ein Sinnbild für das, was in diesen Wochen in der Altstadt geschehen soll. Noch bis Anfang des Jahres war fast nichts von dem zu bemerken, was da kommen soll. Doch das ändert sich jetzt, wenige Wochen vor dem Start am 20. Mai, rasant: Viele Baustellen sind auf einem Rundgang zu beobachten, ja, es scheint, dass überall fleißige Maulwürfe am Werk sind.

Trotz Jubiläumshype gibt es noch Leerstände.
Trotz Jubiläumshype gibt es noch Leerstände.
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Die erste Baustelle begegnet am sogenannten Schwanenteich. So genannt, weil es in ihm eigentlich nur Enten gibt. Schwäne gibt es natürlich auch in Wittenberg. Es wäre ja schlimm, wenn das Tier, das traditionell oft zusammen mit Martin Luther dargestellt wird, gerade in der Lutherstadt fehlte. Aber die Wittenberger Schwäne logieren in einem Teich ein Stückchen weiter, neben der Kleingartenanlage, da, wo ab 20. Mai das große Riesenrad in Betrieb sein wird, das Besucher der Weltausstellung in luftige Höhen befördert, damit sie die Silhouette der Stadt genießen können.

Zurück zum Schwanenteich, der trotz Schwanenmangels sicher nicht mehr in Ententeich umbenannt wird. In und um ihn herum wird sich in wenigen Wochen der Torraum „Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung“ befinden, einer der insgesamt sieben Torräume, die sich in den geräumigen Wallanlangen Wittenbergs erstrecken. Hier findet über die drei Monate der Weltausstellung eine sehr besondere Aktion statt: Der Schwanenteich wird gefüllt mit geflochtenen Booten, die den Gefährten nachempfunden sind, mit denen Menschen über das Mittelmeer und andere Weltmeere flüchten, um Krieg und Elend zu entkommen. Allerdings sind sie sehr grob geflochten, sodass sie untergehen und im sehr flachen Wasser des Schwanenteichs zu einer kunstvollen Gesamtskulptur drapiert werden. Die vierzig Flechtboote sind schon in Wittenberg, noch lagern sie wohlverwahrt und trocken in einem Schuppen, aber zur Weltausstellung sollen sie in und am Schwanenteich als Installation drapiert werden.

Die Entstehungsgeschichte dieser Objekte ist speziell: Im Jahr 2015 gewann die Fachhochschule Salzburg den Studentenwettbewerb für die Gestaltung dieses Torraumes. Seitdem wurden die Boote in fünf Workshops in der Türkei, in Spanien, Österreich, Frankreich und in der Schweiz gefertigt und zwar von den österreichischen Studenten und Flüchtlingen zusammen mit jeweils ortsansässigen Handwerkern. Mit der Installation eines Bootsfriedhofs am Schwanenteich ist die Aktion allerdings nicht zu Ende, sondern fängt sie erst an, denn während der Weltausstellung sollen sie vor den Augen der Besucher zu anderen, nützlichen Objekten umgearbeitet werden. Das sei zum einen eine „Weiterverwendung im Sinne der Wahrung der Schöpfung“, wie Magister Michael Ebner, der wissenschaftlicher Leiter des Projektes, dazu schreibt. Zum anderen soll die Aktion aber auch zeigen, dass Kooperation ein wichtiger Aspekt von Gerechtigkeit ist. Michael Ebner: „Die gebauten Boote sind einerseits ein Zeichen der Hoffnung – andererseits auch ein Zeichen des Scheiterns. Miteinander daran zu arbeiten, verändert die persönliche Perspektive und Einstellung.“ In dem gemeinsamen Weiterverarbeiten der Boote stecke viel Transformationspotenzial, das integrative Kräfte freisetzen könne. Ebner hofft, dass dieses Miteinander von Installation und Interaktion bei vielen Besuchern der Wittenberger Weltausstellung Veränderungsprozesse „inspiriert“.

Baustelle am Bahnhof: Marketingchef Christof Vetter (ganz rechts)
Baustelle am Bahnhof: Marketingchef Christof Vetter (ganz rechts)

Wow. Klingt anspruchsvoll, aber durchaus interessant. Und so anspruchsvoll-interessant werden wohl alle sieben thematischen Torräume der Weltausstellung sein. In jedem gibt es grundsätzlich immer drei Ebenen: Erstens eine Installation, die von Studenten ausgedacht und geschaffen wurden, die den EKD-Wettbewerb 2015 gewonnen haben, zweitens wird der jeweilige Torraum geprägt von Ausstellern, die sich dem Thema zugehörig fühlen und dort ihr Eigenes vorstellen. Und schließlich gibt es drittens auch noch eine Arbeitsgruppe, die für jeden Torraum über 16 Wochen Veranstaltungen durchführt.

Jetzt, einige Wochen vorher, ist am Schwanenteich nur eine kleine Baustelle zu sehen. Es sind bereits die Fundamente gelegt für den Pavillon, in dem die geflochtenen Flüchtlingsboote in gemeinsamem Tun weiterverarbeitet werden und für das „Café #Friedenswege“, das christliche Friedensinitiativen betreiben werden. Alles klar? Am besten hinfahren und es sich anschauen, wenn es fertig ist .

Nicht nur in den sieben Torräumen um die Stadt, auch in der Stadt Wittenberg selbst wird einiges los sein. Hier präsentieren Kirchen aus aller Welt, internationale Institutionen, Organisationen, Initiativen und viele Kulturschaffende ihre Sicht auf die Reformation, manche für die ganzen drei Monate, andere zumindest zeitweise.

Bergfestgottesdienst für die Volunteers des Vereins Reformationsjubiläum 2017 vor dem weltberühmten und kürzlich renovierten Cranach-Altar der Wittenberger Stadtkirche.
Bergfestgottesdienst für die Volunteers des Vereins Reformationsjubiläum 2017 vor dem weltberühmten und kürzlich renovierten Cranach-Altar der Wittenberger Stadtkirche.

Zu den deutschen Landeskirchen, die die ganze Zeit über eine Dependance betreiben, gehört die Evangelische Landeskirche in Württemberg. Sie hat sich eine ganz besondere Location gesichert, nämlich eine 300 Quadratmeter große alte Schmiede in der Altstadt. Es ist ein historischer Ort, denn hier wurde 1983 das erste Schwert zur Pflugschar geschmiedet, bevor es damals von Friedrich Schorlemmer und seinen Mitstreitern im Hof des Lutherhauses präsentiert wurde. Das sei letztlich der Anfang vom Ende der DDR gewesen, meinen viele.

Der Aufbau der Württemberger ist in vollem Gange. Jürgen Kaiser, Leiter des Medienhauses der Landeskirche in Stuttgart und Organisator des Auftrittes, ist schon da. Er findet, dass dieser Ort gut zu seiner Kirche passe, die er so charakterisiert: „Erdverbunden, Mittelschicht, Maschinenbauer – tief verwurzelt, aber immer auch auf der Suche nach Neuem.“ In der alten Schmiede möchte die Landeskirche die Besucher der Weltausstellung gastfreundlich empfangen und mit württembergischen Spezialitäten verwöhnen. Es wird dort eine ständige Ausstellung mit dem Titel „Württemberg wird evangelisch“ zu sehen sein, sowie nacheinander drei Ausstellungen zu den Themen Diakonie, Bildung und Mission.

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Aber das ist noch nicht alles: In der Württembergerhalle werden zudem Bäume horizontal aus der Wand wachsen und Weinberge von den Wänden hängen.

Das Konzept stammt von der Stuttgarter Biologin Alina Schick, die unter anderem Antworten auf Fragen wie „Wie wachsen Pflanzen im Raum?“ sucht. Angesichts der Feinstaubbelastung in den Großstädten und den damit einhergehenden Fragen greift die württembergische Landeskirche mit den horizontalen Gärten das Thema der Stadtbegrünung auf. Dabei geht es natürlich auch um die ethische Frage: „Wie weit darf der Mensch in der Veränderung der Natur gehen?“ Beachtlich.

Die Zeit rast, der Rundgang dauert schon mehr als zweieinhalb Stunden, Zeit für frische Luft. Wie gut, dass Klaus, der ehrenamtliche Türmer der Stadtkirche am Markt, Zeit findet, und – große Ausnahme! – den Zugang zum Turm der Stadtkirche möglich macht.

Schon der Aufstieg ist eindrucksvoll, denn man kann in das unendliche Gebälk des Dachstuhles von Luthers Predigtkirche schauen. Von oben hat man einen herrlichen Blick auf die Stadt und kann zum Beispiel im Westen hinter der Schlosskirche auch das alte Frauengefängnis erahnen, in dem am 18. Mai die Ausstellung „Luther und die Avantgarde“ eröffnet wird. 70 international renommierte Künstlerinnen und Künstler, darunter Markus Lüpertz, Jonathan Meese und Ai Weiwei, werden dort mit ganz unterschiedlichen Werken ihre Sicht auf die Reformation darbieten. Einige Künstler, zum Beispiel der chinesische Maler Sun Xun, sind jetzt schon fleißig bei der Arbeit und gestalten ihre Zelle.

Doch schnell zurück zum Bahnhof, gleich fährt der Zug. Jetzt scheint die Sonne. Es gäbe noch so viel zu sagen, auch wenn noch nicht so viel zu sehen ist, aber die Fantasie schlägt schon Purzelbäume. Neben dem Bahnhof ist nochmal eine große Baustelle zu sehen. Hier, im Torraum 1 („Welcome“) wird Mitte Mai ein 27 Meter hoher Turm stehen, ein Turm in Form einer Bibel, entworfen von Studentinnen und Studenten der Bauhaus-Universität Weimar – weithin sichtbar auch für alle, die an der Lutherstadt nur im ICE vorbeirauschen. Dieser Turm kompensiert auch ein wenig die etwas abseitige Lage des Bahnhofs. Sofort nach Ankunft können die Besucher hochsteigen oder-fahren und dann einen Blick auf die Silhouette der Stadt werfen – bevor sie sich hineinbegeben in eine Weltausstellung, von der schon jetzt eins klar ist: Sie wird einmalig werden. Und wer nicht da gewesen sein wird, wird es möglicherweise bereuen. Also: Nichts wie hin.

Information

Die Weltausstellung Reformation findet vom 20. Mai bis zum 10. September 2017 in Lutherstadt Wittenberg statt. Eine Tageskarte kostet für Erwachsene 19 Euro, eine Dauerkarte (Saisonticket) für die gesamte Zeit 59 Euro. Weitere Information gibt es beim Infotelefon 03491 6434-700.

weiter zur Ausstellung

Text: Reinhard Mawick / Fotos: Andreas Schoelzel

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