Gott sei’s geklagt

Klartext
Foto: privat
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Die Gedanken zu den Predigttexten in den kommenden Wochen kommen diesmal von Rolf Wischnath, Generalsuperintendent i.R., Gütersloh.

Hölle auf Erden

VORLETZTER SONNTAG DES KIRCHENJAHRES (VOLKSTRAUERTAG), 19. NOVEMBER

Die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. (Lukas 16,8)

In diesem Jahr haben „Kinder dieser Welt“ den Friedensnobelpreis erhalten. Sie heißen ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons). Träger und Mitarbeiter von ICAN repräsentieren ein Netzwerk von gut 500 Friedensgruppen aus allen Erdteilen. Es gibt auch eine deutsche Sektion. Ihr Ziel ist die Verwerfung der Bereithaltung und der Anwendung von Atomwaffen. Wenn man diese Absicht mit einer kirchlichen Formulierung vergleichen will, so ist an das „Nein ohne jedes Ja“ zu den Massenvernichtungsmitteln zu erinnern, das vor 35 Jahren die Diskussionen in der Friedensbewegung und ihre Demonstrationen bestimmte.

ICAN hat sich seit einer Dekade unermüdlich für einen internationalen Vertrag zur Abschaffung der Massenvernichtungsmittel eingesetzt. Im Juli konnte die Organisation bei der UNO die Unterschrift von bisher 122 (!) Staaten unter den Vertrag zählen. Klar, dass sich die sogenannten Atomwaffenmächte enthalten haben. Darunter auch Deutschland. Es habe doch sowieso keinen Sinn und Zweck, solange auch nur ein Staat weiterhin Atomwaffen besitze und anwenden könne, ist zu hören. Eine Erinnerung: Auch bei uns war ein „Kind der Welt“ klüger als die „Kinder des Lichts“. Niemand aus dem Raum der Politik setzte sich so nachdrücklich und konkret gegen die atomare Teilhabe der Bundesrepublik und für die Ächtung der Massenvernichtungsmittel ein wie der verstorbene Außenminister Guido Westerwelle. Gott habe ihn selig. Sein Engagement ist leider vergeblich geblieben, aber unvergessen.

Wo aber blieb die Leidenschaft der Kirche? Der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms hat im August im Namen des Rates der EKD das Anliegen von ICAN nachdrücklich unterstützt und die Bundesregierung aufgefordert, jenen Vertrag bei der UNO zu unterzeichnen. Aber das ist kaum wahrgenommen worden.

In den Achtzigerjahren schworen die Befürworter einer ethischen Zulassung der Atomwaffen Stein und Bein, sie wollten noch für kurze Zeit ihr „Ja“ mit einem „Noch“ verbinden.

Nun ist dieser Tage der Einsatz von Atomwaffen nicht nur geplant, er wird schon geprobt. Und bedroht die Kinder der Welt und des Lichts gemeinsam. Zwei Irrsinnige, in den USA und Nordkorea, haben das Feuer aus der Hölle geholt und entfacht.

Barmherzig gerecht

TOTENSONNTAG, 26. NOVEMBER

Der Herr wird den (ungetreuen) Knecht in Stücke hauen lassen. (Lukas 12,46)

Beim Gedanken an ein derartiges Jüngstes Gericht muss uns eine unausbleibliche Bedrängnis befallen. Ist das noch „Evangelium“, gute Botschaft? Dass hier solcher Nachdruck aufs Tun und Lassen gelegt wird, verträgt sich das mit dem in der Lutherdekade so nachdrücklich herausgestellten Herzstück unseres Glaubens, der Erkenntnis Martin Luthers, dass der Mensch vor Gott allein aus Gnade und Barmherzigkeit gerecht wird? Mir ist an der Vorstellung vom Jüngsten Gericht wichtig: Was wir unseren Mitmenschen getan oder nicht getan haben, wird zählen.

Denn in ihnen begegnet uns der „Menschensohn“. Und dort sehen wir ihn, der selber einer der gedemütigten und geschlagenen, misshandelten und ärmsten Menschen wurde. Aber er wird in seiner wahren, jetzt noch verborgenen Herrlichkeit wiederkommen – als Richter der Welt. Sein Jüngstes Gericht wird ein Akt sein, in dem jedes himmelschreiende Unrecht, „die Welt in ihren tausend Plagen und großen Jammerlast“ (Paul Gerhardt), von ihm zurechtgebracht wird. Zurechtbringen heißt: Die Leidenden werden in ihr Recht gesetzt. Sie werden das Leben erfahren und das wahrnehmen, was ihnen hier, in dieser Zeit zerbrochen und genommen wurde. Und die Täter werden – wie in jedem gerechten Gericht - mit dem konfrontiert, was sie getan und gelassen haben.

Dies wird ein schwieriger und schmerzhafter Prozess sein. Meines Erachtens hat hier die Lehre vom Fegfeuer als einem Reinigungsort ihre Berechtigung. Jedenfalls muss etwas zwischen den Tätern und Opfern geschehen, das das Unrecht ahndet und zurechtbringt. Es muss etwas geschehen, das der Sühne des Gekreuzigten am Kreuz entspricht. Der Tübinger Theologe Jürgen Moltmann schlägt vor, von einer Art „Zwischenzustand“ zu sprechen.

Aber wie wird das letzte Urteil für Dich und mich ausfallen? Es ist darauf zu achten, dass der Weltenrichter kein anderer ist als der, der für unsere Sünden am Kreuz hingerichtet worden ist. Im Lukas-evangelium, das jene grässliche Gleichnis vom zuschlagenden und zerstückelnden Herrn überliefert, folgt im 15. Kapitel das Gleichnis vom Verlorenen Schaf, Groschen und Sohn. Der aufspürende Hirte, die suchende Frau, der barmherzige Vater sind Gleichnisse für das Urteilen des kommenden Richters. Der Herr mit den Nägelmalen spricht das Urteil. Und dieses wird der Barmherzigkeit Gottes nicht entgegenstehen. Ich glaube darum nicht an eine endgültige Zerstückelung der untreuen Knechte. Ich glaube nicht an eine Verdammung, in der die Verurteilten in Ewigkeit in einer Hölle brennen und gequält werden. Es darf in keinerlei Hinsicht gepredigt und geglaubt werden, dass der Menschensohn die Verurteilten in ein ewiges KZ schicken wird.

In die Elbe

1. ADVENT, 3. DEZEMBER

Und ich weinte sehr, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch aufzutun und hineinzusehen. (Offenbarung 5,4)

Die revidierte Lutherübersetzung überschreibt das 5. Kapitel der Offenbarung „Das Buch mit den sieben Siegeln“. Und das entspricht dem Text. Beim vergeblichen Versuch einer Auslegung kann ich einmal mehr Martin Luther gut verstehen. Er wollte das letzte Buch der Bibel, die „Offenbarung des Johannes“, gerne in die Elbe werfen. In der Vorrede zur Offenbarung schrieb der Reformator: „An diesem Buch der Offenbarung Johannes lass ich auch jedermann seines Sinnes walten, will niemand an meine Meinung oder Urteil gebunden haben. Ich sage, was ich fühle.“

Mir mangelt an diesem Buch Verschiedenes, so dass ich‘s weder für apostolisch noch für prophetisch halte: aufs erste und allermeiste, dass die Apostel nicht mit Gesichten umgehen, sondern mit klaren und dürren Worten weissagen, wie es Petrus, Paulus, Christus im Evangelium auch tun. Denn es gebührt auch dem apostolischen Amt, klar, verständlich und ohne Bild oder Gesicht von Christus und seinem Tun zu reden.“

Der Zürcher Reformator Ulrich Zwingli und sein Genfer Kollege Johannes Calvin waren da zurückhaltender. Sie bekundeten ihre mit Luther übereinstimmende Meinung über die Johannesoffenbarung einfach dadurch, dass sie von ihr die Finger ließen.

Selbst Papst Benedikt XVI., der eine längere Meditation zur Offenbarung gesprochen und aufgeschrieben hat, schreibt zu Offenbarung 5: „Eine der Hauptvisionen der Offenbarung hat dieses Lamm zum Gegenstand. Es ist im Begriff, das Buch zu öffnen, das zuvor mit sieben Siegeln verschlossen war, die niemand öffnen konnte. Es wird sogar gesagt, dass Johannes weint, weil niemand für würdig befunden wurde, das Buch zu öffnen und es zu lesen … Die Geschichte kann nicht entschlüsselt werden, sie bleibt unverständlich. Niemand kann sie lesen.“

Und die Auslegung im jüngsten wissenschaftlichen Kommentar zu Kapitel 5 der Johannesoffenbarung beginnt mit den Worten: „Die genaue Beschaffenheit des Buches ist schwer zu bestimmen, kaum aber auch von entscheidender Bedeutung.“

So belehrt beende ich meine Überlegungen zu Offenbarung 5 und tue es in der Hoffnung, die versprochene Revision der evangelischen Predigttexte möge im Blick auf den ersten Advent zu einem einleuchtenden und erkenntnisreichen Ergebnis kommen. Ich selber werde über Sacharja 9, 8-12 predigen.

Verstärktes Noch

2. ADVENT, 10. DEZEMBER 2017

Herr, willst du bei alledem noch zögern und schweigen? (Jesaja 64, 9)

Diese Frage bildet das Ende einer unfassbaren Anklage des Volkes Israel gegen Gott. Sie ist Abschluss eines beispiellosen „Volksklagepsalms“ (Jesaja 63 bis 64), wie Exegeten den Text nennen. Ihr Autor sei „Tritojesaja“, Jesaja der Dritte.

Vierzig Jahre war Israel in babylonischer Gefangenschaft gewesen. Nun war es in die Heimat zurückgekehrt. Und es begann die Mühsal der Ebene. Alles war glanzlos, ungleich dürrer und notvoller, als es Jesaja II., der „Deuterojesaja“, verheißen hatte. Der Prophet lässt uns an dem Klagelied teilhaben, das Israel im 6. Jahrhundert vor Christus gebetet hat, an den Schmerzen und Tränen seines Volkes.

Die Menschen, die es damals anstimmten, litten unendlich unter der Gottesferne. Sie ertrugen das Elend nicht mehr, in das sie sich gestoßen sahen. Sie hörten die alten Geschichten ihrer Vorfahren, die von Offenbarungen erzählten. Diese hatten Gott gewaltig und eindrucksvoll erfahren. Aber die Erfahrungen der Gegenwart waren ganz anders: Gott hatte sich zurückgezogen, schien es.

Er überlässt die Welt ihrem Lauf und sein Volk sich selbst. Und wahrscheinlich war alles andere ja nur eine Illusion gewesen. So beschließt der Prophet mit letzter Dringlichkeit das Volksklagelied: „Herr, willst du bei alledem noch zögern und schweigen?“

Es gibt einen Unterschied zwischen den Klagen von damals und heute. Die heutigen Klagen benennen Zustände und Entwicklungen, aber sie haben meist keinen Adressaten. Sie drücken sich in Anklagen und Demonstrationen aus, die keinen Dialog suchen. Anders verhält es sich mit dem Volksklagepsalm des dritten Jesaja. Hier ist der Adressat Gott. Die Not der Menschen wird in die Wirklichkeit Gottes hineingerufen in der nahezu verzweifelten Hoffnung, Gott möge reagieren, reden, die Zerbrochenen aufheben und heilen.

Christen bekennen, dass Gott in der Auferweckung des Gekreuzigten das Zeichen seines definitiven Sieges über jene Verderbensmächte und die Hoffnung einer von ihnen befreiten Schöpfung aufgerichtet hat. Aber, so fragt ein Prophet unserer Tage: Wissen wir, was wir da den Ohren der Menschen zumuten? Ist uns bewusst, was wir da im Blick auf das Elend aussprechen, das in unserer Sichtweite geschieht? Im Blick auf die schreckliche Wirklichkeit sind wir keineswegs weiter als das klagende Israel: „Herr, willst du bei alledem noch zögern und schweigen?“ Nur das „noch“ müssen wir verstärken.

Rolf Wischnath

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