Gottes Mitarbeiter

Klartext
Die Gedanken zu den Sonntagspredigten im Oktober und November stammen von Jürgen Wandel. Er ist Redakteur der zeitzeichen.

Große Verantwortung

18. SONNTAG NACH TRINITATIS, 15. Oktober

Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gibt´s den Armen.

(Markus 10,21)

Konservative Katholiken halten daran fest, dass Glaubensgenossen, die nach einer Scheidung wieder heiraten, vom Abendmahl ausgeschlossen werden. Und sie berufen sich dabei auf das Scheidungsverbot Jesu, das das Markusevangelium ebenfalls im zehnten Kapitel überliefert. Aber weniger rigoros legen jene Katholiken das aus, was Jesus einige Verse danach über die Reichen sagt.

In beiden Fällen ist es falsch, das, was in der Bibel steht, eins zu eins in die Gegenwart zu übertragen. Vielmehr ist zu fragen, worauf Jesu Forderungen abzielten, welche bleibende Wahrheit sie enthalten und was sie für heute bedeuten. Und darüber kann kein Lehramt befinden. Das müssen vielmehr alle Getauften betend und denkend reflektieren, diskutieren und entscheiden. Und auch diese Auslegung kann nur ein Vorschlag sein: Christen stehen heute nicht vor der Entscheidung, alles verkaufen und die Familie verlassen zu müssen, um mit einem Wanderprediger durchs Land ziehen zu können. Auch die Situation der Armen hat sich fundamental geändert. Wer ein Anrecht auf Hartz IV hat, unterscheidet sich von den Habenichtsen, die zur Zeit Jesu auf die Mildtätigkeit ihrer Mitmenschen angewiesen waren. Aber nach wie vor gilt: Reiche haben eine besondere Verantwortung. Das Grundgesetz drückt das so aus: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Manchmal gewinnt man den Eindruck, dass Artikel 14 in Vergessenheit geraten ist.

Vom heutigen Predigtabschnitt lässt sich nicht nur ein Bogen zum Sozialstaat schlagen, sondern auch zum Einzelnen. Immer hat es Unternehmer gegeben, die ihr Eigentum abgegeben haben. So vermachte der Zürcher Gottlieb Duttweiler (1888–1962) seine Ladenkette den Kunden, gründete die Genossenschaft Migros, die über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt ist.

Kleiner Lichtblick

19. SONNTAG NACH TRINITATIS, 22. OKTOBER

Jesus heilte viele. (Markus 1,34)

Als frommer Jude geht Jesus am Sabbatmorgen in die Synagoge von Kapernaum. Die Gottesdienstbesucher beeindruckt nicht nur seine Predigt, sondern auch die Heilung eines psychisch Kranken. Und das spricht sich herum. Am Abend bringen die Leute „alle Kranken und Besessenen“ zu Jesus (Vers 32). Aber er heilt nur „viele“. Jesus verlässt die Stadt. Zurück bleiben in Kapernaum diejenigen, die nicht geheilt wurden. Sie müssen weiter leiden und mit ihnen ihre Angehörigen.

Und das ist auch in unserer Zeit so. Die medizinische Wissenschaft hat in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht, und das dürfte sich fortsetzen. Medikamente und Operationen lassen Menschen wieder gesund werden. Und mitunter geschehen Spontanheilungen, auch nachdem für Kranke gebetet wurde und sie gesalbt wurden. Aber Jesus hat die Welt nicht grundsätzlich verändert, er hat die Geschöpfe nicht von dem Leid erlöst, das ihnen die Natur und Mitgeschöpfe zufügen. Deswegen haben die meisten Juden Jesus nicht als Messias anerkannt. „Inmitten einer unerlösten Welt mit einer erlösten Einzelseele herumzulaufen, wie es das Christentum lehrt, vor allem das Christentum abendländischer Prägung, lehnen wir ab“, erklärte der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878–1965). Und Christen können diesen Einwand verstehen. So hoffen sie mit den Juden darauf, dass die Welt einmal endgültig von Krieg und Ungerechtigkeit, Krankheit und Tod erlöst wird. Das drückt die Vorstellung von der „Wiederkunft“ Jesu Christi aus. Aber schon jetzt machen Christen die Erfahrung, dass Jesus die Dämonen besiegt, die Menschen beherrschen, und dass er sie von Blindheit und Taubheit erlöst. Das ist ein Vorgeschmack auf das „Reich Gottes“.

Aktiver Glaube

20. SONNTAG NACH TRINITATIS, 29. OKTOBER

Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

(1. Mose 8,22)

Tauchen Probleme auf, die schwer zu lösen sind, halten es Menschen gerne mit dem österreichischen Chanson „Der Papa wird’s schon richten“. Für manche Christen ist das der Vater im Himmel und für manche Nichtchristen das „Schicksal“. Die werden schon dafür sorgen, dass alles gut ausgeht. So könnte man auch auslegen, was Gott Noah sagt. Aber Gott gibt keine Garantieerklärung ab wie für ein Markenprodukt, sondern drückt seinen Willen aus. Und der soll getan werden. Im Englischen wird die dritte Bitte des Vaterunsers so wiedergegeben: Thy will be done on earth at it is in heaven, auf Deutsch: „Dein Wille werde auf Erden umgesetzt wie im Himmel.“

Mit anderen Worten: Dass die Jahreszeiten bestehen bleiben und die Erde ihre Bewohner trägt und ernährt, hängt auch davon ab, was der Mensch tut oder unterlässt. Ihn würdigt Gott als Mitarbeiter. Das veranschaulicht eine jüdische Geschichte. Nach starken Regenfällen droht ein Städtchen zu überfluten. Ein Mann fährt zum Haus des Rabbi, um ihn in Sicherheit zu bringen. „Das ist nicht nötig“, antwortet der Rabbi, „der Herr wird mich schon retten.“ Als das Hochwasser gestiegen ist und sich der Rabbi in den ersten Stock seines Hauses gerettet hat, kommt jemand mit einem Boot, um den Rabbi aus seiner Notlage zu befreien. Aber der sagt nur: „Das ist nicht nötig, der Herr wird mich schon retten.“ Stunden später sitzt der Rabbi auf dem Dach. Ein Hubschrauber stoppt. Der Pilot, der den Rabbi zum Einsteigen auffordert, erhält die Antwort: „Das ist nicht nötig, der Herr wird mich schon retten.“ Am Ende ertrinkt der Rabbi. Er kommt in den Himmel und fragt den Herrn: „Gott, wo warst du? Warum hast du mich denn nicht gerettet?“ Der antwortet: „Ich habe dir ein Auto geschickt, dann ein Boot und schließlich den Hubschrauber. So frage ich Dich, Rabbi, wo warst du, als ich dich retten wollte?“

Gelassene Christen

REFORMATIONSFEST, 31. OKTOBER

Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel. (Matthäus 10,32)

Heute vor fünfhundert Jahren befes-tigte Martin Luther ein Plakat mit 95 Thesen an der Tür der Schlosskirche von Wittenberg. Wie genau das vonstatten gegangen ist, ist unter den Forschern umstritten. Aber wie immer es auch gewesen ist: Damit begann eine Bewegung, die zunächst die westliche Kirche verändert hat und dann die Welt. Deswegen ist es sinnvoll, den 31. Oktober als Feiertag zu begehen. Aber eindrücklicher ist das, was sich vier Jahre später ereignete: In Worms widersteht Luther Kaiser und Fürsten und bekennt: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir.“ Diese Worte veranschaulichen den Mut des „Mönchleins“. Sie erinnern daran, dass es in der Reformation nicht nur um einen erbitterten Streit unter Theologen ging, wie er bis heute geführt wird. Luther riskierte für die von ihm erkannte Wahrheit vielmehr sein Leben. Dass es nicht zum Äußersten kam, verdankte er dem sächsischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen. Andere hatten weniger Glück: So wurde 1556 in Oxford der Erzbischof von Canterbury Thomas Cranmer verbrannt, und 1572 fiel in Paris der französische Admiral Gaspard de Coligny der Bartholomäusnacht zum Opfer.

Solche Drangsal, der Christen in vielen Teilen der Welt ausgesetzt sind, hatte Matthäus vor Augen. Aber was ist mit den Christen, die in Westdeutschland seit 1945 und in Ostdeutschland seit 1990 Religionsfreiheit genießen?

Im Juni strahlte die ard den Spielfilm „Konfirmation“ aus. Der fünfzehnjährige Ben bleibt eines Nachts aus. Als er gegen Mittag auftaucht, erfahren Mutter und Stiefvater, dass er im Gottesdienst war und sich taufen ließ. Das schockiert die konfessionslose Mutter stärker, als wenn ihr Sohn die Nacht durchgemacht hätte. Sie verstößt ihn nicht, immerhin, aber will seine Entscheidung nicht akzeptieren. Doch Ben bleibt dabei und lässt sich auch noch konfirmieren.

Der Film ist ein Spiegel der deutschen Gesellschaft. Christen stoßen bei Kirchenfernen in der Regel nicht auf Feindschaft, sondern auf Gleichgültigkeit oder Unverständnis und gelegentlich auf Neugier. Weil es nicht um Sein oder Nichtsein geht, können Christen ihren Glauben ohne Schärfe bekennen und gelassen darlegen, warum das Christentum den Einzelnen wie die Gesellschaft bereichert.

Verführbare Wesen

DRITTLETZTER SONNTAG DES KIRCHENJAHRES, 1. NOVEMBER

Und Jesus trieb einen Dämon aus. (Lukas 11,14)

Vier Monate nach der Befreiung vom Nazismus fuhr der Basler Theologieprofessor Karl Barth (1886–1968) durch Deutschland. Er erinnerte sich, „dass an den von mir besuchten Tagungen von den Theologen viel von Dämonen gesprochen wurde“. Bald platzte ihm der Kragen, und er fragte seine Freunde: „Warum redet ihr immer von Dämonen? Warum sagt ihr nicht konkret: wir sind politische Narren gewesen?“

Schließlich hatten selbst Vertreter der Bekennenden Kirche zunächst die Machtübernahme der Nazis begrüßt. Seit 1945 haben Historiker, Politologen und Psychologen herausgearbeitet, wie es möglich war, dass ausgerechnet im Volk der Dichter und Denker Faschisten an die Macht kamen. Aber trotz einleuchtender Erklärungen bleibt das Ausmaß an Niedertracht, Sadismus und Brutalität unbegreiflich, das selbst Menschen an den Tag legten, die in normalen Zeiten normale Bürger geblieben wären.

Das NS-Regime trug dämonische Züge. Und das zeigen auch viele Diktatoren und andere Verbrecher, die seither andere Gruppen und Völker gequält und ermordet haben. Das Böse scheint eine Faszination auszuüben, dem sich Menschen oft nicht oder nur schwer entziehen können. Umso wichtiger ist die Erfahrung, dass Gott die Macht des Bösen besiegt hat und sich das Gute mit seiner Hilfe immer wieder durchsetzt. Das Vertrauen darauf ermutigt, Strukturen zu schaffen, die das Böse in Schach halten. Das tut die Demokratie, indem sie Macht begrenzt und verteilt und Minderheiten schützt. In einer Zeit, in der sie gefährdet ist, müssen gerade Christen für die Demokratie kämpfen. Denn sie haben ein realistisches Menschenbild. Sie wissen, dass der Mensch ein „Sünder“ ist. Mit anderen Worten: Menschen erliegen immer wieder der Versuchung, wie Gott sein zu wollen, allmächtig und allwissend.

Jürgen Wandel

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