Günstig statt gratis

Warum der kostenlose Nahverkehr schön klingt, aber keine Lösung ist
Foto: privat
Es sind nicht Bus und Bahn, die zu teuer sind, es ist das Autofahren, das zu billig ist.

Bus und Bahn gratis für alle! Vor wenigen Wochen platzte die jahrzehntealte Idee des kostenlosen öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) plötzlich aufs bundespolitische Tableau. Umweltministerin Hendricks, Verkehrsminister Schmidt und Kanzleramtschef Altmaier hatten in einem Brief an die EU den kostenlosen Nahverkehr als eine Maßnahme zur Verbesserung der Luft in den deutschen Städten vorgeschlagen. Das Ausmaß der öffentlichen Diskussion, die darauf folgte, hatten die drei sicherlich weder erwartet noch erhofft. Kaum war ihr Brief an die Presse gelangt, ruderte die Regierung auch schon wieder zurück. So konkret sei es dann doch nicht gemeint gewesen, so das Umweltministerium. Doch da war die Diskussion bereits in vollem Gange. Und in der Tat: der kostenlose Nahverkehr scheint auf den ersten Blick äußerst attraktiv. Busse und Bahnen sind umweltfreundlich – das weiß jedes Kind. Der Nahverkehr wird ohnehin zu einem Großteil vom Staat bezahlt – warum da noch teure Tickets verlangen? Und sozial ist das Ganze auch, denn jede und jeder sollte es sich leisten können, mobil zu sein. Doch: Es gibt auch gute Gründe gegen den kostenfreien Nahverkehr.

Alle Erfahrungen zeigen, dass es nicht der Ticketpreis allein ist, der über die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel entscheidet. Der Preis spielt eine wichtige Rolle – entscheidend ist aber das Angebot. So sind etwa im estnischen Tallinn die Fahrgastzahlen um 14 Prozent angestiegen, nachdem der ÖPNV für Einheimische 2013 kostenfrei gemacht wurde. Doch am Autoverkehr auf den Straßen hat sich wenig verändert. Viele Autofahrer nutzten ihre Autos weiter, weil Busse und Bahnen sie nicht zufriedenstellend ans Ziel bringen. Das System ÖPNV braucht zweifelslos mehr Geld. Das Geld wäre aber vor allem gut in ein besseres Angebot investiert. Das zeigt die Stadt Wien. Seit den Achtzigerjahren bauen die Österreicher den Schienenverkehr in der Hauptstadt konsequent aus. Bei steigenden Fahrgastzahlen konnte gleichzeitig ausreichend Kapazität im Netz aufgebaut werden. Dieser Trend beflügelte die Wiener: Sie reduzierten die Ticketpreise und führten eine Jahreskarte für einen Euro pro Tag ein. Mit Erfolg: Die Fahrgastzahlen wachsen seit über 20 Jahren, der Anteil der Wege mit dem Auto sinkt stetig.

Ein verbreiteter Irrglaube ist, dass der Bus- und Bahnverkehr bereits massiv subventioniert wird. Weit mehr als der Autoverkehr ist der ÖPNV von seinen Nutzern finanziert. Je nach Stadt tragen die Fahrgäste 50 bis 80 Prozent der Betriebskosten des Nahverkehrs. Beim Straßenverkehr sieht die Situation anders aus. Straßenausbesserung, Winterdienst, Verkehrsüberwachung – die Kosten des Autoverkehrs sind in unzähligen Haushaltsposten versteckt. Hoch sind auch die Folgekosten des Autoverkehrs durch Unfälle und Gesundheitsschäden aufgrund von Abgasen. Untersuchungen für einzelne Städte kommen zu dem Ergebnis, dass die Einnahmen zum Beispiel aus der Kfz-Steuer und Parkgebühren diese Kosten nicht halbwegs decken. Es sind nicht Bus und Bahn, die zu teuer sind, es ist das Autofahren, das zu billig ist. Anstatt Parkplätze gratis in der Innenstadt anzubieten, die Steuer auf Diesel zu reduzieren oder die Autohersteller mit ihren Betrügereien im Abgasskandal einfach so davon kommen zu lassen, sollte genau hier das Geld eingesammelt werden, das für einen Ausbau des ÖPNV-Angebotes benötigt wird.

Alle Menschen sollten am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das geht nicht ohne Verkehrsmittel. Gerade für viele Schüler/innen, Menschen mit Behinderung oder ohne großes Einkommen können nur die öffentlichen Verkehrsmittel eine solche Teilhabe sicherstellen. Die meisten Menschen können sich ein Ticket aber leisten und sind auch bereit, für ein gutes Angebot zu zahlen. Auf diese Einnahmen zu verzichten ist unnötig. Für alle anderen gibt es Sozial-, Schüler-, Azubi- und Semestertickets – oder vielmehr, sollte es geben. Bis heute kommen viele Länder und Kommunen ihrem sozialstaatlichem Auftrag unzureichend nach. Die frisch gewählte nordrhein-westfälische Landesregierung hatte kürzlich ernsthaft überlegt, das landesweite Sozialticket aus dem Haushalt zu streichen. Das wäre Sparen auf dem Rücken der Ärmsten. Nach öffentlichen Protesten, auch des VCD, nahm die Landesregierung diesen Vorschlag glücklicherweise wieder zurück.

Günstig ja, aber gratis für alle: nein. Der kostenlose Nahverkehr ist eine gut klingende Idee. Doch die unbequeme Wahrheit ist: Eine Lösung der Verkehrsprobleme in den Städten wird es nicht in wenigen Wochen geben. Es braucht eine ganzheitliche, weitsichtige Politik der Verkehrswende, die Bus und Bahn konsequent ausbaut, mehr Ehrlichkeit bei den Kosten im Straßenverkehr herstellt und sich besonders um die Bedürfnisse der Bedürftigen kümmert.

Philipp Kosok ist verkehrspolitischer Referent für ÖPNV beim ökologischen Verkehrsclub VCD.

Philipp Kosok

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