Stiefvaterunser

Das wichtigste Gebet des Christentums war immer auch ein Ziel von Parodien
Foto: Besim Mazhiqui
Foto: Besim Mazhiqui
Die Theologin Anne Breckner (Paderborn) untersucht in ihrer Dissertation hunderte Vaterunser-Adaptionen von Spätmittelalter bis heute. Oft dienten die Parodien, die sie untersucht, der Kritik an weltlicher Macht.

„Stiefvater, der du bist in Paris, Vermaledeit sei dein Name, Dein Reich komme uns vom Halse, Dein Wille geschehe weder im Himmel noch auf Erden …“

Ein deutsches Spottgedicht auf Napoleon vom Anfang des 19. Jahrhunderts, als der französische Kaiser ein paar Jahre lang halb Europa beherrschte, darunter fast alle deutschen Territorien – und, unschwer zu erkennen, eine Parodie auf das Vaterunser, das vielleicht wichtigste Gebet der Christenheit. In den vergangenen Jahren habe ich über 500 Parodien des Vaterunsers entdeckt, von uralten Texten aus dem Mittelalter bis zu ganz neuen aus den digitalen Medien des 21. Jahrhunderts. Diese Texte stellen den Grundstock meiner Dissertation im Fach Evangelische Theologie an der Universität Paderborn dar. Der Titel lautet: „Transformationen des Vaterunsers. Analyse einer verbreiteten Form religiöser und religionskritischer Parodie“.

In meinem Studium habe ich mich von Anfang an viel mit dem Thema „Gebet“ beschäftigt. Ich komme aus dem Oberbergischen Kreis, wo der Pietismus stark verbreitet ist, meine Eltern waren aber in Glaubensdingen nie engstirnig, sondern immer liberal. Aktiv war ich in einer Kirchengemeinde der Landeskirche, und das Gebetsleben spielte dort eine wichtige Rolle. Während des Theologie-Studiums hatte ich an der Universität einen Ort, an dem ich meine Fragen, auch zum Glauben und zum Gebet, stellen konnte. Ich habe das Vertrauen und die Hoffnung, dass wir im Glauben getragen sind, aber ich wollte diesen Glauben mit der Wissenschaft verbinden.

Das Interesse am Thema Gebet hat auch während meines Studiums nie nachgelassen. Als mein Betreuer Martin Leutzsch dann die Vaterunser-Parodien für die Staatsexamen-Arbeit meines gymnasialen Lehramtsstudiums in den Fächern Englisch, Theologie und Philosophie vorschlug, habe ich das gerne aufgegriffen. Und schon nach der Prüfung war klar, dass diese Parodien auch ein gutes Dissertationsthema abgeben würden, zumal es zu diesem Thema nur einzelne, punktuelle Forschungen gibt: ein wenig in den Literaturwissenschaften, ein wenig in der Volkskunde – aber nichts in der Theologie, das hat mich gefuchst.

„Die Hessen beten also: Vater unser, der du bist im himel, wir sint auff erden, giebst du nichts, so haben wir nichts, so versetzen wir ein pfandt …“

Das ist in gewisser Weise eine Vaterunser-Parodie, die Martin Luther selbst, den „Tischgesprächen“ zufolge, einmal erzählt hat – solche Dinge finden Theolog*innen. Aber man braucht ein gutes Netz an Freunden, Bekannten und anderen Wissenschaftler*innen, um auch Vaterunser-Parodien etwa in der Musik oder in der Popkultur zu finden. Eine Suche bei Google oder über Google Books kann helfen, und tatsächlich gab es niemals so viele Vaterunser-Parodien wie im 21. Jahrhundert, was allerdings auch am leichteren Auffinden der Texte liegt.

Gerade die Popkultur parodiert das Vaterunser recht häufig. So gibt es beispielsweise ein Harry-Potter-Unser, ein Bill-Gates-Unser – und ein Fußball- Unser. Es wurde vor dem Champions-League-Finale zwischen Bayern München und Chelsea im Mai 2012 erfunden. Mit ihm warb der Sender Sat.1 in einem Trailer für seine Übertragung des Fußballspiels. Das kam nicht überall gut an. Vertreter der evangelischen Kirche sahen darin eine Grenzüberschreitung und protestierten gegen diese Nutzung des Vaterunsers. Eine Kostprobe:

„Lieber Fußballgott, dein Ball komme, dein Spiel geschehe, unsere Tore gib uns heute …“

Die vielen Vaterunser-Parodien, die ich gefunden habe, verbindet außer die Anlehnung an die bekannte Form des Vaterunsers nicht viel. Auffällig ist aber schon, dass diese Parodien häufiger genutzt werden, wenn eine Macht angegriffen oder kritisiert werden soll. Seltener sind die Fälle, dass tatsächlich jemand mit einem umgedichteten Vaterunser quasi angebetet werden soll – wie etwa bei einem „Hitler-Unser“, das von einem anonymen Verfasser offenbar aus dem Umfeld der Hitlerjugend stammt. Allerdings ist da unklar, ob es jemals wirklich gebetet wurde. Da viele Parodien in früheren Zeiten nur auf Flugblättern verbreitet wurden, ist es häufig schwer, etwas über die Autor*innen dieser Texte sagen zu können. Die Veröffentlichung solcher Parodien auf Flugblättern hatte für die Verfasser*innen der Texte den Vorteil, dass sie kaum greifbar waren, auch wenn diese Parodien vielleicht der weltlichen oder kirchlichen Obrigkeit missfallen haben mögen.

„Kapital unser, das Du bist im Westen, Amortisieret werden Deine Investitionen – Dein Profit komme, Deine Kurse steigen wie in der Wall Street, also auch in Europen …“

Ab und zu muss ich über die Parodien schmunzeln – aber sie sind nicht immer witzig oder humoristisch-spielerisch. Manchmal, etwa in Vaterunsern in befreiungstheologischer Manier, klingt auch die Theodizee-Frage an. Übrigens sind die wenigsten Vaterunser-Parodien, vor allem aus der Popkultur, explizit anti-kirchlich oder anti-religiös. In früheren Jahrhunderten wurde jedoch häufiger der abwesende Gott für das Leid in einem spezifischen Kontext angeklagt. Bisher kann ich für etwa die Hälfte der gefundenen Texte eine klare Autorenschaft nachweisen. Während früher die Verfasser*innen der Parodien theologisch eher bewandert waren, ist dies bei heutigen Parodien eher nicht der Fall.

„Facebook unser / Das Du bist omnipräsent in den den digitalen Kathedralen auf unseren Smartphones und Tablets / Geheiligt werden Deine Likes und Posts / Deine Fotos mögen sich erbreiten, Deine Links uns bald vernetzen …“

Die jüngste, vom Papst angestoßene Diskussion über die „Und führe uns nicht in Versuchung“-Bitte im Vaterunser habe ich mit Interesse verfolgt. Mir hat daran gefallen, dass diese Debatte mal wieder zu einer Auseinandersetzung mit dem Vaterunser heraus gefordert hat. Mich selbst hat die wissenschaftliche Arbeit an den Vaterunser-Parodien auch bewegt: Ich spreche das Vaterunser nun bewusster.

(Aufgezeichnet von Philipp Gessler)

Anne Breckner

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