Weltweites Weiterdenken

Die Rezeption Karl Barths in der Ökumene
Verleihung der Ehrendoktorwürde an Karl Barth (1. Reihe, 3.v.r.) in Anwesenheit von Charles de Gaulle, Straßburg, 1959. Foto: KBA
Verleihung der Ehrendoktorwürde an Karl Barth (1. Reihe, 3.v.r.) in Anwesenheit von Charles de Gaulle, Straßburg, 1959. Foto: KBA
In der Ökumene wurde der theologische Ansatz Karl Barths vielfältig aufgegriffen, teilweise in sehr eigenständiger Weise und Fortschreibung. Aber genau das wäre im Sinne Barths gewesen, meint Georg Plasger. Er ist Universitätsprofessor für Systematische und Ökumenische Theologie in Siegen.

Barth war reformierter Theologe. Durch und durch. Und er war ökumenischer Theologe. Durch und durch. Konfessionalität und Ökumenizität waren für Karl Barth kein Gegensatz. Vielmehr war für ihn die Bezogenheit auf eine Konfession geradezu die Bedingung dafür, nicht nur auf eine spezifische Kirche, sondern auf die eine Kirche Jesu Christi hin zu denken.

Barth selber bekennt, dass er von der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 als „neubekehrter Ökumeniker‘“ zurückgekehrt sei. In der Tat ist Barths Wahrnehmung der Ökumenischen Bewegung zuvor von Enttäuschung geprägt. So äußert Barth im Anschluss an die Weltkirchenkonferenz 1937 in Oxford seinen Unmut, der auch zu Spannungen im Verhältnis zu Willem A. Visser’t Hooft, dem späteren Generalsekretär des Weltkirchenrates, führte. Die Konferenz hatte nämlich nicht, wie von Barth gefordert, ihre Ökumenizität vollzogen, sondern nur „benannt“. In einem Brief an Visser’t Hooft vom 18. August 1937 schreibt Barth resümierend: „Was hilft denn alle noch so richtige Erkenntnis Let the Church be the church, wenn eine Versammlung von Kirchenmännern aus der ganzen Welt das wohl sagt, wohl durch schöne Gottesdienste darstellt, aber offenbar gar nicht daran denkt, dass vor allem jener Erkenntnis entsprechend (und nicht nur sie wiederholend!) gehandelt, das heißt gemeinsam geredet werden müsste?“ Und etwas weiter, polemischer: „Und schlimm, dass ich meinerseits dabei bleiben muss, zu sagen, dass diese Erklärung Limonade ist: Limonade im Unterschied zu jenem Wein, von dem geschrieben steht, dass er des Menschen Herz erfreut.“

In einem Rückblick auf die Ökumenische Bewegung zwischen 1933 und 1940 schreibt Barth einen von vornherein als öffentlich konzipierten Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, dass weder 1933, noch 1938 oder 1939 oder 1940 „im Namen der dort konkret vereinigten Kirchen der Welt ein bekennendes, klärendes, ermunterndes und tröstliches Wort an die Christenheit und Menschheit gerichtet“ worden sei. Dem Einwand Visser’t Hoofts, dass die Delegierten dazu nicht von den entsendenden Kirchen bevollmächtigt und beauftragt worden seien, hält Barth entgegen, dass die entscheidende benötigte Dimension die einer „geistlichen Macht“ sei. Und wenn denn diese Bevollmächtigung durchaus nötig sei, dann gelte: „Man gebe sie ihnen., jetzt müsste die eine Kirche in den Kirchen hörbar und damit zu einer lebendigen Wirklichkeit werden.“

Kampf gegen „moralische Religion“

Das aber ist damals nicht geschehen. Und deshalb hat Barth - gleichsam als Stellvertreter der nicht tätigen ökumenischen Bewegung - versucht, diese Aufgabe ansatzweise zu vollziehen. So sind Barths Briefe an die Christen in Frankreich, Holland, Großbritannien, Norwegen und Amerika als Stimme der schweigenden Ökumene zu verstehen, die ihrerseits nicht zu sagen wagt, was nach Barth gesagt werden muss. So schreibt er 1942 an die Christen in Norwegen einen Brief, der im Rundfunk in englischer Sprache verlesen wurde. Hintergrund war, dass sich die norwegische lutherische Kirche in einem Kirchenkampf gegen die deutsche Besatzung und eine durch den Ministerpräsidenten Quisling aufgenötigte „nordische Religion“ befand. Barth sieht die norwegischen Christen gefährdet, vom „geraden Weg der Verkündigung des Evangeliums“ abzuweichen: „Von diesem Weg hat man euch mit allerlei Verlockung und schließlich mit Drohung und offener Gewalt abdrängen wollen. Ihr habt die Gnade empfangen, dieser Versuchung bis jetzt Widerstand zu leisten. Nun müsst ihr leiden um dieser Sache willen. (.) Ihr dürft euren Glauben auf eine Probe stellen, aus der er, indem er sich bewährt, nur reiner und kräftiger hervorgehen kann. Ihr dürft sehen und erkennen, welche Klarheit und Macht ihm gerade dann innewohnt, wenn er aus einer Sache der Tradition und der Gewohnheit wie in den Zeiten der Väter zu einer Sache des Gehorsams und Wagnisses wird. Ihr dürft zur Wiederherstellung der Freiheit und des Rechtes in eurem Vaterland den größten und entscheidenden Beitrag leisten. Ihr dürft uns Christen in allen Ländern ein erweckendes, ermutigendes und tröstliches Beispiel geben. (.) Ihr erwartet weder unsere Bewunderung noch unseren Beifall. Ihr sollt aber gewiss sein: Wir denken an Norwegen, an euch und euer ganzes Volk. Wir beten für euch, dass euch die Treue, die Klugheit und die Einfalt immer aufs Neue geschenkt werden möchten, die ihr nötig habt. Wir denken mit Sorge an die, die euch verfolgen: sie sind zu beklagen; ihr seid es nicht. Wir sind mit euch überzeugt, dass kein Großes oder Kleines, was ihr leiden müsst, umsonst gelitten wird, dass alles Frucht tragen wird für das Reich und für die Kirche Jesu Christi, für euer Vaterland und für unser aller Zukunft. Wir glauben mit euch, dass der Sieg Jesu Christi, der lebendig ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, auch für die Menschheit unserer Tage schon erfochten ist und auch in unserer Zeit offenbar werden wird. Wir vereinigen uns mit euch in der Bitte, dass Gottes Reich komme, und in dem Dank dafür, dass er sein Volk nicht vergessen noch verlassen wird.“

Die Deutsche Gesandtschaft in der Schweiz sah Barth in diesen Worten „gegen das Reich hetzen“ - und innerhalb der Schweizer Regierung sahen manche die Neutralität der Schweiz durch Barths Votum in Frage gestellt; durch die Kuratel der Universität Basel wurde Barth sogar zurechtgewiesen. Barth blieb davon unbeeindruckt: Die Ökumene und also die eine Kirche Jesu Christi habe die Aufgabe, ihren leidenden Gliedern beizustehen und zu helfen, wo immer es geht. Und aufgrund der Enttäuschung über die Passivität und das Schweigen der Kirchen sah Barth sich selber genötigt, seine Stimme zu erheben. Er verstand sich dabei nicht als einzelner Theologe, sondern wusste sich als Stimme der seinerzeit und aus seiner Sicht sprachunfähigen Kirche. Man kann hier eine Selbstüberschätzung Barths wahrnehmen. Oder aber eben ein Sendungsbewusstsein, das ihn gerade dazu genötigt hat, diesen Weg zu gehen. Dieser konkrete Blick auf die eine weltweite Kirche Jesu Christi hat Barth bestimmt. Und es wundert deshalb nicht, dass seine Bemühungen, für die eine Kirche Theologie zu treiben, auf fruchtbaren Boden stießen. Dazu drei Beispiele:

Erstens: Die Apartheidpolitik in Südafrika wurde vor allem von weißen reformierten Kirchen schöpfungstheologisch begründet und unterstützt; ihre Berufung auf den Neocalvinisten Abraham Kuyper (1837-1920) trug stark zur Legitimierung der Rassentrennung bei. Barths trinitarisch-christologischer Neuansatz wurde im Kampf gegen die Apartheid sehr stark von kirchlichen Kritikern der Apartheid rezipiert, weil sie ihnen ermöglichte, eine isolierte Schöpfungstheologie zu überwinden.

Sendungsbewusstsein

Diese Rezeption wurde allerdings, so der südafrikanische Theologe Rothney Tshaka, weniger durch eine rein akademische Analyse bestimmt (obwohl es die in Südafrika auch gab), sondern vor allem durch eine Konzentration auf den jüngeren, radikalen Barth, dessen Dogmatik und Bekenntnishermeneutik in konkreten ethischen und politischen Kontexten eingebunden gesehen wurde - und die sich auch im deutschen Kirchenkampf und in späteren politischen Einsichten Barths zeigte. Barths Theologie wurde also in gewisser Hinsicht als kontextuelle Theologie verstanden. Seine Bekenntnishermeneutik spielt dabei eine entscheidende Rolle: Die Treue zum Bekenntnis zeigt sich nicht darin, indem man es einfach nur wiederholt, sondern indem in neuen Herausforderungen die Kirche genötigt wird, neu das und sich zum Evangelium zu bekennen.

Barths eigener Umgang mit dem Erbe der Reformation ist von dieser Dynamik geprägt - so etwa in seinen Schriften: „Reformation als Entscheidung“ von 1933 und „Das Bekenntnis der Reformation und unser Bekennen“ von 1934 - und so ist etwa das Bekenntnis von Belhar von 1982, das ein deutliches Zeichen gegen die Apartheid setzte, nach Auffassung des südafrikanischen Theologen Dirkie Smit nicht nur das Produkt eines Gesprächs mit der Barmer Theologischen Erklärung: „Ohne Barmen hätte es Belhar nicht gegeben.“ Und er fährt fort: „Beide teilen eine gemeinsame theologische Tradition, eine gemeinsame Glaubensüberzeugung, einen gemeinsamen konfessionellen Standpunkt und Anspruch.“

Zweitens: Barths Verwerfung jeglicher natürlicher Theologie traf nicht zuletzt auch den römischen Katholizismus, der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts von der Neuscholastik dominiert wurde. Hier wurde das menschliche natürliche Erkennen zur Bedingung der Gnadenerkenntnis gemacht. Interessant ist nun, dass insbesondere ab den Vierzigerjahren eine vermehrte römisch-katholische Beschäftigung mit Barth zu erkennen ist. In Deutschland ist Hans Küngs Interpretation der Rechtfertigungslehre Barths bekannt geworden; im Katholizismus wurde bis heute stärker die Theologie Hans-Urs von Balthasars rezipiert. Von Balthasar folgt Barth zunächst in seiner christologischen Konzentration, weil so - wie bei Barth ja auch - die Freiheit Gottes viel stärker betont wird: In Jesus Christus ist die Offenbarung Gottes wie auch das wahrhaft Menschliche vorhanden und zu sehen. Dass das bei von Balthasar auch zu einer deutlich engeren Verbindung von Dogmatik und Ethik führt, hat jüngst der US-amerikanische Theologe D. Stephen Long betont. Aber natürlich ist von Balthasar kein Barthianer geworden - und letztlich führt sein Weg von der christologischen Konzentration in eine pneumatologische Weite. Der britische Systematiker John Webster fragt sogar an, ob von Balthasar Barths Offenbarungslehre wirklich verstanden habe. Die Frage wird sicher weiter diskutiert werden, aber zumindest bei von Balthasar und ausgehend von ihm bei vielen anderen - hat sich eine interessante und eigenständige Rezeption Barths über den evangelischen Bereich ergeben.

Drittens: Für Karl Barth ist das Judentum die „große ökumenische Frage“. Und deshalb gehört hier auch der orthodoxe jüdische Religionsphilosoph Michael Wyschogrod (1928-2015) hinein. Er wurde, so berichtet er selber, gelegentlich als jüdischer Barthianer bezeichnet: „Ich habe mich nicht übermäßig bemüht, diese Behauptung zu leugnen.“ Wyschogrod kam über die Lektüre Kierkegaards und Heideggers letztlich zu Barth. Dabei blieb er zeit seines Lebens der Auffassung, dass die (christliche) Vergöttlichung Jesu als Fehler anzusehen sei (wenn auch nicht als fataler, wie er anmerkt). Aber wenn es nicht die in Barths Theologie zentrale Christologie war, was war dann für Wyschogrod an Barth wichtig? Verschiedentlich nennt er vor allem die Zentralstellung der Bibel und die antimetaphysische Redeweise als Hauptpunkte, die Barth und jüdische Theologie verbinden. In dieser Hinsicht kann er sogar die Inkarnation als grundsätzlich jüdisches Denken verstehen, weil Gott sich in die Welt hineinbegibt.

Überraschend ist jedoch, dass Wyschogrod bekennt: „Es gibt nichts Wichtigeres, was ich von Barth gelernt habe, als die Sündhaftigkeit Israels.“ Wyschogrod sieht bei Barth diesen Satz nicht als Abgrenzung Israels von der Kirche, wie das so oft in der christlichen Theologie vertreten worden sei, sondern als zutreffende Schriftauslegung (auch wenn sie laut Wyschogrod von Barth etwas zu einseitig dargestellt sei). Es wäre spannend, jetzt noch tiefer aufzuzeigen, wie sehr Wyschogrods Denken an vielen Stellen von Barths Theologie beeinflusst ist (etwa in der Gotteslehre) - interessant an dieser Stelle ist vor allem, dass jüdisches Denken Barths Theologie fruchtbar aufnehmen und integrieren konnte.

Drei Akzente der Theologie Barths wurden an drei Stellen in sehr unterschiedlicher Weise aufgenommen - und in allen drei Fällen (und es gibt noch sehr viel mehr Beispiele!) ist die Rezeption sehr eigenständig. Nie handelt es sich um reine Wiederholungen Barths, sondern um ein fruchtbares Weiterdenken, das vielfach auch Widerspruch enthält. In einer 1935 in Siegen gehaltenen Predigt formuliert Barth: Ihr „werdet doch nur dann recht kämpfen und schließlich gekrönt werden, wenn ihr alle Gottesbilder, vor allem auch die der Theologie - auch die der Theologie, die ihr bei mir gelernt habt - von euch tut, um ganz frei zu werden für das Wort Gottes selber. Gefangene eines Prinzips und Systems . sind dem Kampf gegen den Götzendienst nicht gewachsen, weil sie selber noch Götzendienst treiben.“

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Georg Plasger

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