Den Missbrauch verhindern

Studie soll Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche identifizieren
Bischöfin Kirsten Fehrs vor der Synode in Würzburg. Foto: epd/ Norbert Neetz
Bischöfin Kirsten Fehrs vor der Synode in Würzburg. Foto: epd/ Norbert Neetz
Mit einem Handlungsplan hat die EKD-Synode auf die Kritik am Umgang der evangelischen Kirche mit dem Thema sexualisierte Gewalt reagiert.

Wer über sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche diskutiert, kommt schnell zu dem Schluss, dass es spezifische katholische Faktoren gibt, die den Missbrauch und seine Vertuschung oft über viele Jahre hinweg begünstigten. Unreife Sexualität durch Zölibat und verdrängte Homosexualität, Klerikalismus, das katholische Kirchenverständnis - das sind mögliche Ansätze, die die im Herbst vorgestellte Studie zum Missbrauch in der katholischen Kirche nennt.

Aber was ist mit der evangelischen Kirche? Sind die mittlerweile bekannten 479 und die vielen unbekannten „Fälle“ von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche unabhängig zu sehen von den Strukturen, in denen sich Täter und Opfer bewegten? Zwei Drittel der Betroffenen lebten in Heimen der Diakonie, der Rest erfuhr den Missbrauch in der „verfassten Kirche“, also in der Kinder- und Jugendarbeit, Kitas, in der Kirchenmusik und anderen Arbeitsbereichen, wie sie nahezu jede Gemeinde kennt. Und dahinter wird „so etwas wie ein evangelisches Muster erkennbar, also begünstigende Faktoren in der evangelischen Kirche, die den Tätern zuspielten“. Das ist eine Erkenntnis der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, die sich seit sieben Jahren mit dem Thema beschäftigt, mit Betroffenen spricht und nach Präventionsmöglichkeiten sucht. Sie ist zudem Sprecherin des Beauftragtenrates der Landeskirchen zum Thema Missbrauch. In einem eindrucksvollen Bericht beschrieb sie den Synodalen ihre gesammelten Erfahrungen und stellte einen 11-Punkte-Handlungsplan zur Aufarbeitung vor.

Dieser sieht unter anderem die Erstellung von zwei Studien durch unabhängige Wissenschaftler vor. Zunächst eine „Dunkelfeldstudie“, die den noch unbekannten Fällen von sexualisierter Gewalt nachgehen soll, möglicherweise auch in mehreren Studien gemeinsam mit den Landeskirchen. Zudem soll eine zweite Studie die „systemisch bedingten Risikofaktoren speziell der evangelischen Kirche“ ermitteln und daraus Ansätze zur Prävention gewinnen. Doch schon aus dem, was jetzt bekannt sei, ließen sich „evangelische Spezifika orten“, sagte Fehrs: die unreflektierte Vermischung von Privatem und Dienstlichem; dezentrale Strukturen und damit unklare Zuständigkeiten, auch für Beschwerden; Einrichtungen als „Closed-Shops“, in denen keine Kontrolle funktioniere, etwa auch im evangelikalen Bereich. All das senke Hemmschwellen für potenzielle Täter und Täterinnen und mache es Betroffenen schwer, ihr Schweigen zu brechen.

Ebenfalls geplant ist die Einrichtung einer zentralen Ansprechstelle der EKD für Betroffene. Damit nimmt die EKD eine Forderung auf, die der „Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“ (UBSKM) nach einem Hearing im Sommer erhoben hatte, auf dem der Umgang der Kirchen mit dem Thema stark kritisiert wurde. Denn viele Betroffene berichteten davon, dass sie nicht wussten, an wen sie sich mit ihren Erfahrungen wenden konnten. Zwar gibt es in allen Landeskirchen Ansprechpartner, aber diese sind je nach Landeskirche an sehr unterschiedlichen Einrichtungen angedockt und nach Aussagen von Betroffenen auch in ihrem Umgang mit den Opfern nicht immer mit der nötigen Empathie und Kompetenz ausgestattet. An dem „unsensiblen und wirklich unangemessenen Verhalten seitens verschiedener kirchlicher Stellen“ gebe es nichts zu beschönigen, so Fehrs. Mit der zentralen Anlaufstelle soll sich die Situation nun verbessern. Die Einrichtung soll eine Lotsenfunktion übernehmen, um Betroffene behutsam an die jeweils Zuständigen in den Landeskirchen zu vermitteln. 1,3 Millionen Euro wurden für die Studien und die Einrichtung der Anlaufstelle aus dem Haushalt 2019 bereitgestellt.

Doch es gehe nicht nur um Strukturen und Konzepte, so Fehrs. Es gehe darum, eine Haltung zu erarbeiten, die in den Landeskirchen von der Basis bis zur obersten Leitung angeeignet werden müsse. „Eine Haltung, aus der heraus man sich mit sexualisierter Gewalt auseinandersetzt.“ Denn wer sich als Kirche Jesu Christi für den Schutz der besonders Schutzbedürftigen stark mache, müsse alles tun, um den Schutz auch zu gewährleisten. „Eine Kirche, die solcher Gewalt nicht wehrt, ist keine Kirche mehr.“

Stephan Kosch

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