„Hilfreich und erhaltenswert“

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) findet lobende Worte für das Kirchenasyl. Von Rechtsbruch könne keine Rede sein.
Foto: dpa/ Kay Nietfeld
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zeitzeichen: Herr Minister Seehofer, als Bundesinnenminister sind Sie in besonderer Weise für Recht und Ordnung in Deutschland zuständig. Ärgert Sie da insgeheim die Tradition des Kirchenasyls?

HORST SEEHOFER: Nein, ganz im Gegenteil. Ich respektiere als Christ die Tradition des Kirchenasyls, und ich betrachte das Kirchenasyl als hilfreiche und erhaltenswerte „Ultima Ratio“ in besonders gelagerten Härtefällen. Dem steht natürlich gegenüber, dass allein der Staat in einem rechtsstaatlichen Verfahren über die Gewährung des im Grundgesetz verankerten Schutzes vor politischer Verfolgung und die Zuerkennung des internationalen Schutzes entscheidet. Ich denke aber, dass sich das Entscheidungsmonopol des Staates auf der einen Seite und das Kirchenasyl in besonderen Ausnahmefällen auf der anderen Seite nicht ausschließen, sondern gut miteinander verbinden lassen.

Die Zahl der Kirchenasyle ist im Vergleich etwa zur Zeit von vor zehn Jahren fast explodiert: von 36 im Jahr 2008 auf über 800 im laufenden Jahr. Was sind die Gründe?

HORST SEEHOFER: Diese Frage müssten Sie an die Kirchen richten. Sicherlich spielen die in den vergangenen zehn Jahren gestiegenen Asylbewerberzahlen dabei eine Rolle.

Finden Sie es gerechtfertigt, dass immer mehr Kirchengemeinde Flüchtlinge ins Kirchenasyl aufnehmen?

HORST SEEHOFER: Nochmal: Das Kirchenasyl als solches halte ich für wichtig. Ich muss aber auch sagen, dass die in den letzten Jahren gestiegenen Fallzahlen und die Art und Weise der praktischen Durchführung der Kirchenasyle ein Maß und eine Form angenommen haben, in der die Akzeptanz des Kirchenasyls bei den Behörden und Gerichten, aber auch in der Öffentlichkeit erschwert wird. Wenn das Kirchenasyl sich entgegen der ursprünglichen Intention nicht auf persönliche Härtefälle beschränkt, sondern zur Verhinderung von Rücküberstellungen in humanitär unbedenkliche europäische Nachbarstaaten wie Frankreich oder Schweden ausgenutzt wird, ist das nicht zu akzeptieren. Wenn wir das Kirchenasyl als Institution insgesamt erhalten wollen, müssen wir diesen Fehlentwicklungen gemeinsam und entschlossen entgegenwirken.

Wird dabei, überspitzt gesagt, Recht gebrochen - oder zumindest arg gebeugt?

HORST SEEHOFER: Zunächst dürfen wir nicht vergessen, dass es in aller Regel um rechtskräftig entschiedene Fälle geht, die nochmals überprüft werden. Auch in solchen Einzelfällen können besondere Härten vorliegen, die der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat entgegenstehen. Diesen berechtigten Fällen kann durch einen so genannten Selbsteintritt Rechnung getragen werden, der nach der Dublin-Verordnung möglich ist. Von Rechtsbruch kann hier also keine Rede sein. Aber nochmal, wenn wir die Akzeptanz des Kirchenasyls erhalten wollen, darf es nicht missbraucht werden. Deshalb wurde zwischen den Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF, im Jahr 2014 für die Kirchenasylfälle eine Vereinbarung getroffen. Diese Vereinbarung hat das Ziel, ein geordnetes und an rechtsstaatlichen Prinzipien orientiertes Verfahren zu etablieren. Das BAMF hat hier seine Bereitschaft erklärt, die Kirchenasylfälle anhand von zuvor eingereichten Dossiers nochmals zu überprüfen. Diese Vereinbarung gilt, und ich appelliere bei dieser Gelegenheit nachdrücklich an alle Kirchengemeinden, diese vereinbarten Grundsätze einzuhalten. Wenn in jedem einzelnen Fall ein Dossier vorgelegt wurde und das BAMF nach nochmaliger Prüfung abschlägig entschieden hat, muss der Antragsteller das Kirchenasyl verlassen. Die Einhaltung von gewissen Grundregeln ist für die Gewährung von Kirchenasyl essentiell. Aus mehreren Gesprächen habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Vertreter der Kirchen diese Einschätzung teilen.

Seit dem Sommer haben die Innenminister der Länder und des Bundes die Frist verlängert, bis zu der Flüchtlinge im Kirchenasyl in andere EU-Länder abgeschoben werden können, wenn Sie dort zuerst europäischen Boden betreten haben. Das ist die Dublin-Verordnung. Bedeutet das nicht, dass Flüchtlinge nun länger in Unsicherheit leben müssen, ob sie abgeschoben werden? Wie ist das zu rechtfertigen?

HORST SEEHOFER: In der Innenministerkonferenz wurde im Juni beschlossen, dass sich das BAMF künftig in Kirchenasylfällen auf die 18-monatige Überstellungsfrist berufen wird, wenn die Vereinbarung zwischen dem bamf und den Kirchen nicht eingehalten wird. Das ist unumgänglich, um Missbrauch des Kirchenasyls vorzubeugen. Es kann nicht sein, dass Deutschland für die Durchführung von Asylverfahren zuständig wird, nur weil die Betroffenen das Kirchenasyl unberechtigt nicht verlassen und sich damit dem Zugriff der Behörden entziehen. Hierüber besteht zwischen Bund und Ländern Einigkeit.

Seit etwa zwei Jahren beklagen Kirchenasyl gewährende Gemeinden, dass das BAMF die Unterlagen der Flüchtlinge in seinem Verfahren nicht sorgfältig genug prüfe. Können Sie diese Kritik nachvollziehen? Wenn ja, was wird dagegen getan?

HORST SEEHOFER: Die Härtefallprüfung unterliegt einer regelmäßigen Qualitätssicherung. Das Vier-Augen-Prinzip wird stringent eingehalten, es wird auf eine gleichmäßige Handhabung bei den Entscheidungen hingewirkt, und es wird stetig an Verbesserungen in den Formulierungen gearbeitet, so dass die Entscheidungen auch im Einzelfall besser nachvollziehbar sind. Damit sollen formelle Fehler weitgehend minimiert werden. Im Übrigen finden im BAMF regelmäßig spezielle Schulungen für Beschäftigte statt, die mit dem Kirchenasyl betraut sind. Angesichts dessen habe ich keinen Anlass, mich dieser Kritik anzuschließen.

Außerdem sei die Entscheidungspraxis in letzter Zeit restriktiver geworden. Ist dieser Vorwurf gerechtfertigt?

HORST SEEHOFER: Die vollumfängliche statistische Erfassung von Kirchenasylfällen erfolgt erst seit Mitte 2016. Diese Erfassung schließt auch die eingegangenen Meldungen sowie die übermittelten Dossiers zu den jeweiligen Fällen mit ein. Ein aussagekräftiger Vergleich mit früheren Zeiträumen ist daher nicht möglich. Innerhalb des statistisch erfassten Zeitraums ist eine restriktivere Praxis nicht festzustellen.

Es gibt die Kritik, dass bei Fällen des Kirchenasyls immer pauschaler geurteilt werde, anstatt den Einzelfall gebührend sorgfältig zu beurteilen. Wird dem Kirchenasyl auf bürokratisch-kalter Weise so der Boden entzogen?

HORST SEEHOFER: Diese Einschätzung teile ich nicht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAMF prüfen jedes Dossier sehr sorgfältig. Diese Prüfung ist sowohl personell als auch zeitlich sehr aufwendig. In meinen Gesprächen mit den Kirchenvertretern habe ich den Vorwurf fehlender Sorgfalt bisher auch nicht vernommen.

Ist das Kirchenasyl in den vergangenen Monaten zunehmend zu einem politischen Streitfall geworden anstatt zu einer humanitären „Ultima Ratio“ - und wirkt sich das nicht de facto negativ auf die Menschen aus, die durch das Kirchenasyl mehr Rechtssicherheit erhalten?

HORST SEEHOFER: Das Kirchenasyl betrifft einen sensiblen Bereich in unserem Rechtsstaat. Deshalb ist es normal, dass darüber diskutiert wird, auch kontrovers. Einen „politischen Streitfall“ sehe ich aber nicht.

Im 3. Buch Mose (19, 34) steht: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.“ Welche Schlüsse ziehen Sie als Christ aus diesem göttlichen Gebot für das Kirchenasyl in Deutschland?

HORST SEEHOFER: Deutschland ist in den vergangenen Jahren wie kaum ein anderes Land der Humanität und dem christlichen Gebot der Nächstenliebe gerecht geworden und hat viele Hunderttausende von Flüchtlingen aufgenommen. Unser ehemaliger Bundespräsident Joachim Gauck hat mit Blick auf die Flüchtlingsaufnahme einen sehr klugen und wahren Satz gesagt: „Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich“ - besser kann ich es nicht formulieren.

Die Fragen stellte Philipp Gessler.

Horst Seehofer

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