Geheimnisse des Glaubens

Was Jesus und den „Kleinen Prinz“ miteinander verbindet
Noch immer beliebt: Der Kleine Prinz als Graffiti in Zagreb (Kroatien). Foto: dpa/ Patrik Macek
Noch immer beliebt: Der Kleine Prinz als Graffiti in Zagreb (Kroatien). Foto: dpa/ Patrik Macek
Vor 75 Jahren erschien „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry. Das Buch wurde zum Weltbestseller. Und obwohl das Wort „Gott“ kein einziges Mal darin vorkommt, schwebt ein neutestamentlicher Geist über dem Werk, meint der Journalist und Theologe Uwe Michelsen.

In Zeiten wirkungsloser Wortschwälle, beliebigen Buchstabenmülls und vergiftender Vertwitterung klingt ein Wort im „Kleinen Prinzen“ wie ein Befreiungsschlag: „Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse.“ Fast beiläufig lässt Antoine de Saint-Exupéry den Fuchs diesen aus heutiger Einsicht prophetischen Satz aussprechen - wenige Absätze, bevor das zum geflügelten Wort gewordene „Man sieht nur mit dem Herzen gut“ in seinem surrealistisch anmutenden Märchen geschrieben steht. Nicht der Kleine Prinz als Protagonist ist der eigentliche Held. Er bleibt durch und durch Mensch mit all seinen Ängsten, Fragen und Zweifeln. Die heimliche Hauptfigur ist sein Freund, der Fuchs. Der verkündigt die großen Geheimnisse. Er tritt gewissermaßen als eine Art „deus absconditus“ auf. Der Fuchs ist Seelsorger und philosophischer Freund, ohne das klassische biblische Vokabular zu malträtieren. Das Wort „Gott“ kommt kein einziges Mal vor. Aber neutestamentlicher Geist schwebt über diesem Märchen. Darin ist Saint-Exupéry seinem Zeitgenossen Dietrich Bonhoeffer sehr nah, der 1943 als homiletisches Prinzip eine vom religiösen Vokabular gereinigte Sprache forderte: also „weltlich von Gott zu reden“. Zur Unzeit - mitten im Zweiten Weltkrieg, April 1943 - erscheint das Völkerfrieden und Menschenfreundlichkeit ausstrahlende Büchlein „Le Petit Prince“ in New York. Dass dieses mit eigenen Zeichnungen versehene und dem Kind im Manne gewidmete Werk 75 Jahre später in 140 Sprachen übersetzt und zu einem der meist gelesenen Bücher des 20. Jahrhunderts überhaupt werden sollte, konnte damals niemand ahnen. Als Journalist und - so sah er sich selbst - „nebenher schriftstellernder Berufspilot“ wusste der Autor nur zu genau, wie sehr Worte verletzen, zerstören, aber auch heilen können. Gerade in Zeiten des Krieges, in dem Worte als Propaganda missbraucht und aus Freunden sehr schnell Feinde werden, wird sich ein kritischer Geist der Macht durch Sprachmanipulation leichter bewusst. So auch Saint-Exupéry, der die Sprache als Quelle der Mißverständnisse durchschaut. Das ist für jemanden, der mit Sprache professionell umzugehen hat, eine Binsenweisheit. Aber leider eine meist vorschnell ad acta gelegte Erkenntnis, wo doch gerade die Theologen - nicht nur die Jünger Luthers - dem Wort verpflichtet sind: dem exklusiven „Sola scriptura“, dem reformatorischen „Am Anfang war das Wort“, dem Wort also, das man „stahn lassen solle“. Wie auch sonst sollte man predigen, wenn einem dazu nicht die Worte zur Verfügung stünden? Merke, lieber Theologe, in Deiner Berufsbezeichnung steckt nicht nur „Gott“, sondern auch das „Wort“, der Logos. Nicht um Hokuspokus geht es, sondern um logische verbale Kommunikation. Da liegt aber der Hase im Pfeffer. Mit dem Wort ist das so eine Sache. Denn wie leicht redet man aneinander vorbei. „Ich habe doch lediglich gesagt“, „ich wollte doch nur sagen“, „ich habe doch nur.“ Ein Wort kommt nicht bei jedem gleich an. Giftpfeile können treffsicher per Wort abgeschossen werden. Fake-News sind längst zum Politikum allererster Sorte geworden. Mit gezielten Falschmeldungen werden heutzutage Staatskrisen geboren und Kriege vom Zaun gebrochen. Mit Hilfe listig eingesetzter Worte werden Misstrauen und Missverständnisse gepflegt. Das also meinte wohl Saint-Exupéry 1943 zu wissen. Wie Recht er hatte!

Einfache Sprache

Weil er die Macht der Worte kennt, setzt er sie um so verantwortungsvoller ein. Spielerisch legt er dabei die Worte auf die Waagschale. Sein „Kleiner Prinz“ liest sich außerordentlich leicht. Nicht nur im französischen Original, sondern auch in gelungenen Übersetzungen „op platt“ (Arnd Immo Richter), sächsisch oder jiddisch überzeugt seine Story. Woran liegt das? Formal sicher wegen des Tricks, dass Saint-Exupéry in einer einfachen kindgerechten Sprache schreibt. Frei nach dem Motto Jesu: „Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet Ihr nicht in das Reich Gottes eingehen.“ Keine Bandwurmsätze. Keine unnötigen Fremdworte. Saint-Exupéry reduziert den Inhalt auf das Notwendige. Perfekt ist erst etwas, wenn man nichts mehr wegnehmen kann! Vor unserem geistigen Auge läuft ein märchenhafter Film ab, zauberhafte Situationen, die uns im Innersten berühren. Es geht um Wesentliches, nicht um Larifari. Ein Mann im besten Alter und voller Tatendrang, ein erfolgreicher Flieger, stürzt mitten in der Wüste Sahara ab (das hat der Autor alles selbst erlebt!) und begegnet - für ihn ist es kein Traum - einem seltsamen kleinen Wesen. Wie sich schnell herausstellen wird: einem Wesen von einem anderen Planeten. Das ist der Kleine Prinz. Anders aber als in landläufigen Science-fiction-Romanen geht es dem Autor nun nicht um technische Details oder pseudowissenschaftliche Spekulationen. Er verhandelt en passant die großen philosophischen Fragen der Menschheit: Liebe, Vertrauen, Zweifel, Angst, Tod, Auferstehung. Und er tut es in einer Sprache, die jedes Kind versteht. Seine Kernbotschaft: „Hier, mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Und der Fuchs fügt hinzu: „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose verantwortlich.“ Man mag das für banal halten. Man kann derartige tausendmal gehörte Sentenzen in die Kategorie „Kalenderspruch“ einordnen und damit abqualifizieren. Damals aber - 1943 - waren die weisen Aphorismen des Fuchses alles andere als unter Kitschverdacht stehende Poesiealbumeinträge. Die Schlüsselszene im „Petit Prince“ ist genau dieser Dialog zwischen dem in eine Rose unglücklich verliebten Kleinen Prinzen und seinem Freund, dem Fuchs. Die Worte rühren das Innerste der Seele an. Mit seinem „Geheimnis“ blickt der Fuchs über und hinter den Horizont. Die Augen erkennen nur das Vordergründige, die Fassade, den äußeren Schein. Die Reklame. Die Hülle. Wer die ganze Wahrheit sehen will, braucht mehr als die Augen. Der muss sein Herz ins Spiel bringen. Der muss sich selbst einbringen: mit seiner Seele, seinen Gefühlen, seiner inneren Antenne, seinem Herzen. Hier spricht Saint-Exupéry nichts anderes als alte biblische Weisheiten aus. Auch Jesus umgab sich mit dem Nimbus des Geheimnisvollen. Auf das Bekenntnis des Petrus „Du bist der Christus“ (Markus 8,29) reagiert der Mann aus Nazareth, „dass sie niemandem von ihm sagen sollten“. Seine wahre Identität soll ein Mysterium bleiben. Über dieses sogenannte Messiasgeheimnis ist viel spekuliert worden. Wie auch immer man es dreht und wendet: Die Frage, ob und wenn ja wie Jesus der Messias sei, bleibt bis heute das mysteriöse Zentrum christlicher Existenz. „Hier: mein Geheimnis.“ Wer denkt da nicht an die eucharistische Anbetung „Geheimnis des Glaubens“? Dann ist da also das „Herz“, mit dem allein man „gut sieht“. Auch hier darf man - ohne ihnen Gewalt anzutun - biblische Texte als Inspiritationsquelle annehmen. „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an“ (1. Samuel 16,7). Im Umkehrschluss also: nicht die Augen, sondern das Herz lässt die Wahrheit durchscheinen. Derartige Herzensangelegenheiten durchströmen die ganze Bibel - von der Urgeschichte bis zur Offenbarung. Martin Luther in seinem Wortschöpfungseifer fügt sogar noch das Herzeleid, den Herzensgrund und die Herzenslust hinzu. Jesus und der Kleine Prinz - Parallelen ließen sich genügend andere ziehen. Da ist der Geschäftsmann, dem der Prinz auf seiner Reise zu dem vierten Planeten begegnet. Der rechnet und rechnet, schreibt auf und schreibt auf, zählt und zählt. Er will besitzen. Das ist alles. In einem höchst amüsanten Dialog führt der Kleine Prinz ein solches Geschäftsgebaren ad absurdum. Allein das Anhäufen von Reichtum kann doch nicht alles sein. Und von Besitz, der nur auf dem Papier festgehalten wird (Bitcoins lassen grüßen), kann niemand satt werden. Weder an Leib noch an Seele. Der Bergprediger argumentiert im selben Ton: „Ihr sollt nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen. Sammelt Schätze im Himmel! Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz!“

Uwe Michelsen

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