Merkwürdige Allianzen

BDS-Kampagne und internationale Queer-Bewegung sind nicht frei von Judenfeindlichkeit
Das soll „pinkwashing“ sein - also das Verleugnen der Unterdrückung von Palästinensern  durch das Betonen von Schwulen-Rechten in Israel.  Foto: dpa/ Laura Chiesa
Das soll „pinkwashing“ sein - also das Verleugnen der Unterdrückung von Palästinensern durch das Betonen von Schwulen-Rechten in Israel. Foto: dpa/ Laura Chiesa
BDS ist eine Kampagne, die mittels akademischer, kultureller und ökonomischer Boykotte Israel zur Aufgabe der „Besetzung und Kolonialisierung arabischen Landes“ zwingen möchte. Die Bewegung hat nennenswerten Zulauf in den USA, in Großbritannien und Frankreich - über ihre offene Flanke zu einem linken Antisemitismus sprechen ihre führenden Köpfe nur ungern. Und es gibt da noch die seltsame Allianz zur Queer-Community. Eine Analyse der Soziologin Karin Stögner (Wien/Jerusalem).

Im Juni 2017 wurden zwei Frauen vom lesbischen „Chicago Dyke March“ ausgeschlossen, weil sie Regenbogenfahnen mit Davidstern trugen. Das würde als Symbol des Zionismus gewertet, das andere Teilnehmerinnen unsicher fühlen ließe. Juden und Jüdinnen wären willkommen bei dem Marsch, solange sie sich zum Antizionismus bekennen würden, so die Veranstalter.

Ende 2017 berichtete mir eine Wissenschaftlerin an einer Universität in Israel, dass sich unlängst eine Delegation einer internationalen akademischen Vereinigung angemeldet habe, um die Bedingungen des internationalen Boykotts von Wissenschaftlern dieser Universität zu verhandeln. Die Delegation wurde empfangen, man diskutierte, und die betroffenen Forscher versuchten verzweifelt, ihren Ausschluss aus der internationalen Academia zu verhindern. Wie sich herausstellte, vergeblich, denn die Universität wurde auf die Liste der zu boykottierenden Institutionen gesetzt. Die internationale akademische Vereinigung hatte kurz zuvor BDS in ihre Agenda aufgenommen.

BDS (kurz für Boycott, Divestment, Sanctions) ist eine Kampagne, die mittels akademischer, kultureller und ökonomischer Boykotte Israel zur Aufgabe der „Besetzung und Kolonialisierung arabischen Landes“ zwingen möchte. Laut eigenen Angaben entstand BDS 2005 mit Hilfe zahlreicher palästinensischer Organisationen und gibt sich so als ein Aufschrei und als ein Empowerment der unterdrückten Palästinenser in Israel und den besetzten Gebieten. Wie David Hirsh in seinem aktuellen Buch Contemporary Left Antisemitism darstellt, wurde BDS allerdings nicht von Palästinenser initiiert, sondern 2002 von britischen Akademiker.

Seit der Gründung sieht sich BDS immer wieder mit Vorwürfen konfrontiert, antisemitisch zu agieren, weil Israel und seine Politik nicht nur kritisiert wird, was ein völlig normaler Vorgang wäre, sondern dämonisiert, grundlegend delegitimiert und nach doppelten Standards gemessen wird. So erwartet BDS von Israel oder von Israelis, dass sie Normen entsprechen, die für andere nicht gelten. Durch Vergleiche Israels mit Nazi-Deutschland werden Opfer und Täter umgekehrt und die Shoah bagatellisiert mit dem Ziel, Israel zu dämonisieren. Ähnliches findet statt, wenn Israel als Apartheid-Staat bezeichnet wird, was - bei aller Problematik der Situation in der Westbank - ein Schlag ins Gesicht aller Opfer der Apartheid in Südafrika ist.

Es gibt diesbezüglich einen Aufschrei von Afrikanern, organisiert in der Gruppe Africans for Peace, die den Begriff Apartheid im Namen ihrer wirklichen Opfer zurückfordern und sich gegen den inadäquaten Vergleich der Verhältnisse in Israel mit jenen in Südafrika unter dem Apartheidregime verwehren. Einige Sektionen von BDS sind darauf bedacht, in Bezug auf die Legitimität Israels zumindest unklar darüber zu bleiben, ob es sich bei dem geforderten „freien Palästina“ um die Gebiete von vor 1967 handelt oder um den Teilungsplan von 1947. Der Mit-Begründer der Bewegung, Omar Barghouti, lässt hingegen keinen Zweifel daran, dass Israel als jüdischer Staat von der Landkarte verschwinden soll.

In den letzten Jahren hat BDS nennenswerten Zulauf in den USA, in Großbritannien und Frankreich erfahren. Zahlreiche akademische Vereinigungen unterstützen dort den akademischen Boykott israelischer Universitäten und Forschungseinrichtungen (exemplarisch genannt seien die National Women Studies Association und die Modern Language Association).

Boykott nur gegen Institutionen

Wenngleich die Statuten von BDS vorsehen, dass nur Institutionen und keine Individuen Ziel der Boykotte seien, sieht dies in der Praxis anders aus. Denn die boykottierten Institutionen bestehen nicht als abstrakte Einheiten, sondern aus individuellen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die im Rahmen dieser Institutionen ihre Forschungen betreiben. Wissenschaftlicher Boykott seitens BDS bedeutet, dass israelische Wissenschaftler_innen von der Teilnahme an Konferenzen ausgeschlossen werden, wenn sie über Finanzierung seitens des Staates Israel verfügen, das heißt, wenn die Reisekosten und die nicht unerheblichen Teilnahmegebühren - wie in der Wissenschaft üblich - von ihrer Heimuniversität getragen werden. Das ist eine veritable Einschränkung der wissenschaftlichen Freiheit.

Ein theoretischer und politischer Hintergrund der BDS -Kampagne liegt in einer spezifischen Ausprägung des Antiimperialismus und Antikolonialismus, die eine simple Spaltung der Welt in gut und böse suggeriert. In fataler Reduktion der tatsächlichen Komplexität der Lage in Israel und den besetzten Gebieten gelten Palästinenser pauschal als Opfer des israelischen Staates und einer als homogen konstruierten israelischen Gesellschaft. Das Urteil ist eindeutig: Die Israelis seien die Fremden, die in einem anachronistischen Kolonialismus und Nationalismus einer „eingeborenen“ palästinensischen Bevölkerung das Land rauben würden. Dieses Narrativ wird in völliger Unkenntnis der historischen Bedingungen des Zionismus verbreitet. In Ignoranz gegenüber der Geschichte der jüdischen Bevölkerung im späteren Mandatsgebiet Palästina werden die Juden und Jüdinnen Israels der vorgeblich autochthonen palästinensischen Bevölkerung als fremd und unzugehörig entgegengesetzt. Während der Zionismus als kolonialistisch und gar als white-supremicist dämonisiert wird, erfährt der arabische Nationalismus, der sich auf die politisch-ideologische Konstruktion der lands of historic Palestine bezieht, Legitimation.

Wie die Kritische Theoretikerin Seyla Benhabib nachzeichnet, ist solche Dichotomisierung von einem vereinfachenden Blick auf Macht- und Herrschaftsverhältnisse geprägt, wodurch die palästinensische Widerstandsbewegung als unschuldig und untadelig antikolonial erscheint. Aber wir wissen, merkt Benhabib an, dass antikoloniale Bewegungen nicht immer emanzipatorisch sind, sondern dass Politik, die im Namen der Unterdrückten geführt wird, selbst zu Unterdrückung führen kann. Von solchen Verstrickungen und Uneindeutigkeiten aber will der manichäische Jargon der BDS -Kampagne nichts hören. Auf die Kritik, dass ihr Vorgehen Antisemitismus provoziert und mitunter selbst antisemitisch ist, folgt aus den Reihen der so Angesprochenen in aller Regel keine Reflexion über die eigene Praxis, sondern ein aggressives Leugnen der Anschuldigungen, begleitet von Gegenanschuldigungen des Rassismus und Imperialismus sowie der Unterstellung, dass die Anschuldigungen allein den Zweck hätten, die Linke zu verleumden und Kritik an Israel pauschal als antisemitisch zu verunmöglichen. Als Beleg, dass die Kampagne nicht antisemitisch sei, wird regelmäßig angeführt, dass zahlreiche Aktivisten in den Reihen von BDS selbst jüdisch sind. Identitätspolitisch jedoch ist dem Antisemitismus nicht beizukommen.

Hier zeigt sich eine theoretische Schwäche anti- oder postkolonialer Zugänge, welche die Konstruktion von Fremdheit auf die Unterscheidung von Weiß und Schwarz oder Braun einschränken und diese Fremdheit nur mit Bezug auf Kolonialismus und Imperialismus historisieren, während die Vernichtung der Juden im Nationalsozialismus ausgeblendet wird. Der Antisemitismus entzieht sich diesen dem Einheitswahn entsprungenen Zuordnungen, entspricht seine Stereotypie doch nicht dem eindeutigen Bild des unterlegenen, rassistisch marginalisierten und im Kolonialismus ausgebeuteten Fremden. Antisemitismus ist nicht einfach eine Form von Rassismus, sondern gleichzeitig eine Projektion nicht fassbarer, überallhin zerstreuter, jede Identität zersetzender, universeller Macht. Während im Antisemitismus die Moderne selbst abgewehrt und der „Jude“ als ihr Repräsentant gehasst wird, nimmt der Rassismus die Position des Modernen für sich selbst in Anspruch und wendet sie gegen die vorgeblich „Primitiven“, wie Gudrun Axeli Knapp ausführt. Wird dieser Unterschied nicht berücksichtigt, bleibt ein Antisemitismus unerkannt, der nicht rassistisch operiert, sondern sich in Form des Vernichtungswunsches gegen Israel äußert.

Erklärungsbedürftig ist indessen auch die Allianz zwischen internationaler Queer-Bewegung und BDS. Diese geht weit über eine Solidaritätsbekundung für „Palästina“ hinaus. Der Boykott Israels wird in den Anschuldigungen des Pinkwashing zur eigenen Sache gemacht. Pinkwashing meint, dass die liberale israelische Gesetzgebung im Hinblick auf die Rechte von LGBTIQ - Personen (LGBTIQ - kurz für Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex Queer) vom offiziellen Israel dazu benutzt würde, von Menschenrechtsverletzungen und der Besatzung abzulenken.

Wie in Sarah Schulmans breit rezipiertem Buch Israel/Palestine and the Queer International deutlich wird, ist Anlass der Empörung hier nicht, dass LGBTIQ-Personen Grundrechte verwehrt werden, denn dann müssten die arabischen und islamisch dominierten Staaten und Gesellschaften scharf verurteilt werden. Stattdessen prangert man den angeblichen Zynismus Israels an, sich als liberale Gesellschaft gegenüber LGBTIQ zu geben und gleichzeitig die Besatzung der Westbank aufrecht zu erhalten. Diese wird als reine Schikane und lediglich als Kolonialismus gesehen, während die von der Westbank real ausgehende Terrorgefahr und der Anspruch zahlreicher palästinensischer Aktivisten auf das ganze Land - from the River to the Sea - entweder nicht ernst genommen oder als bloße Reaktion auf die Besatzungssituation verharmlost werden. Die LGBTIQ-Politik Israels wird als imperialistische Agenda verstanden, durch welche die westlichen liberalen Vorstellungen den arabischen Communities aufoktroyiert und diese aufgrund fehlender LGBTIQ-Rechte als homophob abgewertet würden, argumentiert beispielsweise Jasbir Puar, prominente Vertreterin der US-amerikanischen Queer Theory.

Zur Abwehr einer universalistischen Vorstellung von individuellen Rechten wird ein Kulturkampf geführt, der ein okzidentalistisches Bild des Westens als seicht und materialistisch zeichnet. BDS gibt sich ebenso antiuniversalistisch wie antiliberalistisch. Ausdruck findet beides in kollektivierenden Tendenzen und der Schmähung des Individualismus als eine einzig durch neoliberale Politik und Ökonomie bewerkstelligte Vereinzelung zur Unterminierung eines widerständigen Gemeinschaftsgefühls. So beschreibt Angela Davis, Vorkämpferin der Black Panthers und des Black Feminism, in ihrem Buch Freedom is a Constant Struggle den Universalismus als Tyrannei, der ein antikolonialistischer Befreiungskampf in Palästina entgegentreten müsse. Unvermittelt postuliert Davis, dass die „Befreiung Palästinas“ vorrangiges Ziel der internationalen Queer-Bewegung sein müsse. Welche Interessen das internationale LGBTIQ-Movement und die palästinensische Befreiungsbewegung tatsächlich verbinden, wird nicht ausgeführt. Stattdessen macht Davis klar, dass es nicht um die einzelnen LGBTIQ-Personen und ihre Rechte geht, sondern darum, die Botschaft von BDS zu verbreiten.

Queere Palästinenser

Merkwürdigerweise führt das zu keinem Aufschrei bei jenen palästinensischen Queers, die BDS offensiv unterstützen. Sie scheinen bereits akzeptiert zu haben, dass es auf sie nicht ankommt, sondern ihre Interessen dem vorgeblichen Allgemeininteresse eines homogen konstruierten palästinensischen Volkes unterzuordnen sind: Kultur sticht sexuelle Orientierung. Aktivist_innen der Gruppe alQuaws for Sexual and Gender Diversity in Palestinian Society sehen sich als Teil der palästinensischen Gesellschaft. Das geteilte Feindbild Israel übertüncht die realen Konflikte innerhalb der palästinensischen Gesellschaft und verunmöglicht es in der Sicht dieser Aktivist_innen, sich mit der LGBTIQ-Kultur Israels zu identifizieren.

So gelten der Antizionismus und BDS als der zornige Aufschrei der Unterdrückten nicht nur in Palästina, sondern im vorgeblich postkolonialen Westen, von dem aus BDS nach Palästina exportiert wurde. Anders als ideologisch ist nicht zu erklären, warum sich Queers in aller Welt mit solcher Verve der palästinensischen Sache verschreiben. Ein regionaler Konflikt um Territorium und Religion wird zu einem globalen Konflikt mythisiert, von dessen Lösung allein der Weltfrieden abhängen soll. Genau darin erscheint die diffuse und zersetzende Macht, die im Antisemitismus den Juden zugeschrieben wird, auf Israel umgelegt. Und darin erweist sich auch die antisemitische, homophobe und sexistische Schlagseite einer vermeintlich pro-palästinensischen Argumentation seitens westlicher Intellektueller, die den internationalen Kampf um Rechte von Frauen und LGBTIQ einem allgemeinen Hass auf Israel unterordnen.

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Karin Stögner

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