Die Karl-Marx-Stadt

Wie Trier den revolutionären Philosophen feiert
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In diesem Monat jährt sich der Geburtstag von Karl Marx zum 200. Mal. Seine ersten siebzehn Lebensjahre verbrachte der Philosoph in Trier. Die uralte Stadt an der Mosel profitiert vom Hype um den Kommunisten. Doch zum Ehrenbürger hat sie ihn noch immer nicht gemacht. Der Journalist Rainer Clos hat sich in Trier umgeschaut.

Der Countdown läuft: am 5. Mai wird in Trier das Marx-Jahr eröffnet. An diesem Tag jährt sich der Geburtstag von Karl Marx zum 200. Mal. Noch wird an einigen Stellen in der Stadt gewerkelt. Am Simeonstiftsplatz ist eine Baugrube ausgehoben. Hier soll am Geburtstag eine 4,40 Meter hohe Marx-Statue enthüllt werden. Die Bronze-Skulptur, entworfen und angefertigt von dem chinesischen Künstler Wu Weishan, ist ein - nicht ganz unumstrittenes - Geschenk der Volksrepublik China an die Stadt.

Neben der römischen Vergangenheit gehört der Autor des „Kommunistischen Manifests“ und Kapitalismuskritiker unbestritten zum Kapital, von dem die wohl älteste Stadt in Deutschland touristisch zehrt. Eine große Landesausstellung und ein üppiges Mix an Veranstaltungen werden in den nächsten Monaten zu Ehren des weltberühmten Sohns ausgerichtet. Nein, es erwarte die Besucher keine „Weltausstellung des Marxismus“, wird versichert. Doch welche Spuren von Marx, der Trier mit 17 Jahren in Richtung Bonn verließ, in Köln, Paris, Brüssel und London seine revolutionären Theorien entwarf, lassen sich in der Stadt an der Mosel noch finden?

Am Internationalen Frauentag, ein trüber Märztag, ist Marx in der langgezogenen Fußgängerzone unterwegs. Zumindest in Gestalt einer ein Meter hohen Figur aus der Werkstatt des Konzeptkünstlers Ottmar Hörl. Anhänger der Linkspartei haben ihn in einen Bollerwagen geladen und sorgen damit für neugierige Blicke. 500 Exemplare der Marx-Statue standen 2013 vor Triers Wahrzeichen, der Porta Nigra - damals passend zur Schau „Ikone Marx“ anlässlich des 130. Todestages des Gesellschaftstheoretikers und Philosophen.

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Neuerdings signalisiert Marx mit Rauschebart und Gehrock in leuchtendem Rot und Grün Fußgängern in Trier, wann sie die Straße überqueren dürfen. Am zentralen Simeonstiftsplatz ist eine Fußgängerampel mit einem Konterfei des berühmten Philosophen versehen, weitere sollen folgen. Im Touristenbüro neben der Porta Nigra können Besucher (kostümierte) Stadtführungen zu den urbanen Hotspots buchen. Auch wie der Wein Karl Marx zum Kommunisten machte, kann man bei einem Stadtrundgang erfahren, wird zumindest versprochen.

Natürlich fehlt nicht das Marx-Business mit Devotionalien und Kitsch: So ziert sein Porträt Kaffeebecher, Pfefferminz-Dosen, Postkarten, Schokolade, Magnete und Mousepads. Im Angebot sind Büsten mit seinem Konterfei und ein roter, daher eher Moseluntypischer „Karl-Marx-Wein“, für den es sogar einen biographischen Anknüpfungspunkt gibt. Hatte doch Vater Heinrich Marx zusammen mit dem Arzt Julius Berncastel um 1830 einige Weinbergsflächen bei Kürenz und in Mertesdorf am Grünhäuser Viertelsberg erworben.

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Marx’ Geburtshaus, zu dem jährlich rund 40.000 Besucher pilgern, ist noch bis zum 4.Mai geschlossen. Im Haus in der Brückenstraße 10, in der Obhut der Friedrich-Ebert-Stiftung, wird eine neue Dauerausstellung vorbereitet. Als drittes von neun Kindern des Rechtsanwalts Heinrich Marx und dessen Frau Henriette erblickte Karl Marx in diesem Haus am 5. Mai 1818 die Welt. Beide Eltern entstammen Rabbinerfamilien. Kurz vor Karls Geburt war Heinrich Marx zum protestantischen Glauben übergetreten, da er ohne Taufe in der preußischen Rheinprovinz kein öffentliches Amt hätte ausüben können. Zusammen mit vier Geschwistern wurde der sechsjährige Karl Marx am 24. August 1824 evangelisch getauft. Die Mutter wurde ein Jahr später evangelisch.

Erst 1904 wurde das Wohnhaus, das 1727 erbaut wurde und wechselnde Besitzer hatte, als Geburtshaus von Karl Marx wiederentdeckt. Nach mehreren Um- und Anbauten präsentiert sich das Gebäude, in dem Familie Marx von April 1818 bis Herbst 1819 wohnte, als schmuckes Barockhaus, mit zwei Fenstern auf beiden Seiten der Eingangstür, fünf Fenstern im ersten und je drei im Dach- und Mansardengeschoss.

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Für 93.739 Goldmark kauft die SPD 1928 das Geburtshaus, um es zum Erinnerungsort an Marx’ Leben und Werk sowie die Geschichte der Arbeiterbewegung zu machen. Nach umfassender Rekonstruktion kam es allerdings nicht zur Eröffnung des geplanten Museums des Marxismus. Im Mai 1933 beschlagnahmten die Nationalsozialisten das Gebäude, es wurde Verlagssitz der NS-Zeitung „Trierer Volksblatt“. Mit Unterstützung der französischen Sozialisten wurde das beschädigte Haus nach Kriegsende repariert und im Mai 1947 wiederöffnet. Wie sehr Trier mit seinem berühmten Sohn damals fremdelte, zeigt ein Stadtratsbeschluss aus demselben Jahr: Der Abschnitt der Brückenstraße hin zur Römerbrücke wurde in Karl-Marx-Straße umbenannt, aber das kurze Stück mit der Geburtsstätte behielt seinen Namen.

Lange Entfremdung

Schräg gegenüber dem Marx-Haus liegt die „Ile de Ré“, eine gut sortierte Buchhandlung. Inhaberin Regine Ebel registriert bisher keine exzeptionell gestiegene Nachfrage nach Marx-Literatur, weder nach den Blauen Bänden noch nach den neuen Biografien. Häufiger gefragt seien hingegen Büsten aus Keramik, als Kapital-Sparbüchsen geeignet. Chinesen beließen es beim Besuch des Geburtshauses meist bei Selfies und „verirrten“ sich kaum in die Buchhandlung, sagt sie.

Im Verhältnis Triers und seiner Bürger zu dem weltberühmten Sohn der Stadt habe lange Entfremdung geherrscht, sagt Ebel. Mittlerweile sei der Umgang etwas unbefangener. Dies bestätigt auch Christian Henniger. Der Pastor der Freien Evangelischen Gemeinde Trier ist seit zwei Jahren Vorsitzender der Interessengemeinschaft Karl-Marx-Viertel, ein Zusammenschluss von Geschäften, Galerien, Einzelhändlern, Handwerksbetrieben und Gastronomen zwischen Viehmarkt und Mosel. Die Initiative macht sich dafür stark, ein bisher namenloses Plätzchen, in das gerade Lebenslinien und Zitate von Marx eingelassen werden, nach ihm zu benennen. Bedenken der Verwaltung gegen eine Umbenennung überzeugen Henniger nicht. So habe es die Stadt doch zum Reformationsjubiläum 2017 auch geschafft, an der Konstantin-Basilika einen „Martin-Luther-Platz“ auszuweisen.

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Theresia Görgen ist eine überzeugte Linke und hat das „Kommunistische Manifest“ mit 15 gelesen. Die 60-jährige Pädagogin ist Fraktionssprecherin der Linkspartei im Stadtrat von Trier. In das enge Fraktionsbüro mit viel Papier und einem großformatigen Porträt von Marx an der Wand gelangt der Besucher - natürlich - über die Karl-Marx-Straße.

Nein, der Philosoph ist für Görgen keineswegs ein „toter Hund“. Vielmehr müsse Marx aus der „Besenkammer“ geholt werden, „in der er 200 Jahre verstaubt und unbeachtet herumgestanden hat“, sagt die Kommunalpolitikerin. Statt ihn zu verschweigen, sollte Trier im Marx-Jahr eine wirkliche Auseinandersetzung mit der historischen Person und der Aktualität seiner Ideen suchen. Als Schande empfindet sie es, dass sich im Erdgeschoss des einstigen Wohnhauses der Familie Marx in der Simeonstraße 8 nunmehr eine Filiale des Billig-Discounters „Euro-Shop“ befindet. Dort angebotene Waren seien unter Arbeitsbedingungen produziert, die schon Marx gegeißelt habe.

Im Herbst 1819 erwarb die Familie ein kleineres Wohnhaus in unmittelbarer Nachbarschaft zur Porta Nigra. An der Adresse gibt eine kleine Gedenktafel Auskunft, dass Karl Marx hier bis 1835 lebte. Zur Schule hatte es Karl nicht allzu weit. Von der Simeonstraße führt der Schulweg schnurstraks über den Hauptmarkt in die Brotstraße bis zu einem weiß gestrichenen Gebäude mit rotbraunen Fensterrandungen und einer bewegten Geschichte. Das ehemalige Jesuitenkolleg war nach der Franzosenzeit ab 1815 Königlich-Preußisches Gymnasium, ab 1896 Friedrich-Wilhelm-Gymnasium - mit großzügiger Promotionsaula und barocker Bibliothek. Mit 32 Mitschülern, von denen die Hälfte ins Priesteramt strebte, legte Marx 1835 das Abitur ab.

Im heutigen Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, zu dessen prominenten Alumni der Schüler Karl ebenso wie der spätere Kölner Kardinal Joseph Höffner und Oswald von Nell-Breuning, Nestor der katholischen Soziallehre, gehört, wird letzte Hand angelegt: Unter Anleitung von Hayo Krüger, Lehrer für evangelische Religion, Ethik und Philosophie, fertigen Schüler einer Beton-AG mit einer Gussform Marx-Statuen an. Später werden sie im Schulgarten aufgestellt. „Man kann nicht an Marx vorbei“, findet Gymnasiallehrer Krüger. Und im Unterricht gehe es durchaus um anthropologische Fragen, die Marx aufgeworfen hat, und um seine Religionskritik.

In der an das ehemalige Gymnasium angrenzenden Jesuiten- oder Dreifaltigkeitskirche wurde Karl Marx an Palmsonntag 1834 konfirmiert. Die ehemalige Klosterkirche, in deren Krypta der Jesuitenpater und Bekämpfer der Hexenverfolgung Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635) beigesetzt ist, musste den politischen Umwälzungen Tribut zollen: ab 1779 war sie Seminarkirche des Bischöflichen Priesterseminar, in der französischen Zeit „Tempel der Vernunft“, um 1818/1819 Simultankirche und danach bis 1856 protestantische Kirche.

Am Sitz der Volksbank in der Neustraße erinnert eine Tafel an Jenny von Westphalen, die Ehefrau von Karl Marx. An diesem Ort befand sich das Haus der Familie Westphalen. Doch mit der Bronzetafel waren die Trierer auf ein falsches Bildnis reingefallen. Ein russischer Wissenschaftler wies nach, dass ein häufig verwendetes Jugendbildnis nicht Jenny zeigte, sondern eine Freundin. Vor zehn Jahren konnte schließlich eine korrekte Gedenktafel enthüllt werden. Nach der Marx-Gattin, die als Johanna Bertha Julie Jenny von Westphalen am 12. Februar 1814 in Salzwedel geboren wurde, ist auf dem Trierer Petrisberg zudem eine Straße benannt.

Nach siebenjähriger Verlobung wurde aus Fräulein Jenny, Karls Jugendliebe, die er noch Jahrzehnte später als „das schönste Mädchen von Trier“ rühmte, am 19. Juni 1843 Frau Marx. In Bad Kreuznach, wo Jenny mit Ihrer Mutter nach dem Tod von Joseph von Westphalen lebte, wurde die Ehe zunächst auf dem Standesamt geschlossen, danach wurde das Paar in der Kreuznacher Pauluskirche kirchlich getraut. Stationen der Hochzeitsreise waren die Ebernburg, Bingen und, nach einem Abstecher in die Schweiz, Baden-Baden. Mit der Regelmäßigkeit, mit der das Ungeheuer von Loch Ness auftaucht, ist in Trier der Ruf zu vernehmen, die vor einem halben Jahrhundert neu gegründete Universität nach Karl Marx zu benennen. Ein Vorstoß des ASTA vor einigen Jahren fand in den Gremien keine Mehrheit. Auch die Anregung des Linken-Politikers Gregor Gysi, eine Änderung des Namens der Hochschule zu erwägen, blieb ohne Resonanz.

Streitbarer Geist

Für Universitätspräsident Wolfgang Jäckel ist die Sache auch für das Marx-Jahr klar: Ein Namenspatron Marx liefert für die Hochschule keinen Mehrwert. Universitäten im 21. Jahrhundert seien nicht Anwälte bestimmter Ideen oder politischer Überzeugungen, gefragt sei vielmehr Offenheit statt Verengung. Und Jäckel versäumt auch nicht den Hinweis, dass sich die Universität Leipzig 1991 von dem Namensgeber Karl Marx verabschiedet habe.

Als entkrampft nimmt Beatrix Bouvier, wissenschaftliche Leiterin der Landesausstellung, den Umgang mit Marx in Trier war. Er sei ein streitbarer Geist gewesen und deshalb sei es selbstverständlich, dass es neben dezidierten Fans auch Kritiker gebe. Die Historikerin, die ein Jahrzehnt lang das Karl-Marx-Haus leitete und für Veranstaltungen öffnete, führt die entspannte Begegnung darauf zurück, dass die Annäherung an den Denker Marx nicht mehr von der Folie des Kalten Krieges verdunkelt werde.

Doch so ganz im Reinen scheint die Stadt mit ihrem berühmten Sohn noch nicht zu sein. Auf der Liste der Ehrenbürger von Trier, die 18 Persönlichkeiten - darunter Otto von Bismarck, Paul von Hindenburg und Theodor Heuss - umfasst, fehlt Karl Marx. Zuletzt wurde 2003 dem Luxemburger Jean-Claude Juncker diese Ehre zuteil. Ihm obliegt es denn auch, die Festrede zum Start der Marx-Ausstellung zu halten.

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Rainer Clos (Text) / Markus Hoffmann (Fotos)

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