Grundlegend

Wenn Technik zur Religion wird
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O’Connells großangelegte Reportage führt in eine Welt, in der Technik den Tod überwinden will.

Mark O’Connell, geboren in Dublin, ist promovierter Literaturwissenschaftler und Journalist. Er hält die menschliche Natur, wie sie uns geschenkt wurde, für ein „suboptimales System“. Insofern hat er großes Verständnis für jede Rebellion des Menschen gegen das eigene Dasein. Schon Francis Bacon, der vielen als Begründer der modernen wissenschaftlichen Methodik gilt, glaubte, dass Wissenschaft lediglich die entartete Schwester der Religion sei. Nur durch die Anwendung von Wissenschaft, so Bacon, könnten wir einen Teil unserer ursprünglichen Perfektion wiedererlangen, die uns einst vor dem Sündenfall auszeichnete. Gemeint war ein Urzustand der Unsterblichkeit sowie des göttlichen Wissens und Friedens. Auch heute, das erweist O’Connells Recherche, gibt es eine Forscherelite, die glaubt, durch Wissenschaft und Technik die Folgen der Ursünde revidieren zu können. Es handelt sich dabei vor allem um Anhänger des so genannten Transhumanismus.

Diese arbeiten geradezu fieberhaft an der Verlängerung des Lebens bis hin zur Unsterblichkeit. Um dies zu erreichen, müsse sich der Mensch allerdings seiner biologischen Wurzeln entledigen. Nur mit Hilfe der Technologie könne unser Körper und unser Denken entscheidend verbessert werden. Es geht dabei somit weniger um Genforschung, sondern vielmehr um künstliche Intelligenz (KI). Das Ziel ist die vollkommene Verschmelzung von Mensch und Maschine. Die transhumane „Befreiungsbewegung“ strebt also nach absoluter Emanzipation von der Biologie. Und sie riskiert dabei bewusst die endgültige und totale Versklavung des Menschen durch Technik.

Bei seiner aufregenden „Reise in die Zukunft des Menschen“ besucht O’Connell zahlreiche Forschungslabore, Tagungen und Ausstellungen. Er spricht sowohl mit den Protagonisten als auch mit den Kritikern der transhumanistischen Bewegung. Dies gewährt dem Leser - je nach eigener Befindlichkeit - verheißungsvolle oder aber auch beängstigende Einblicke in ein Szenarium, welches uns eher an Science-Fiction denn an Realität erinnert: Lagerhallen voller abgetrennter und eingefrorener Köpfe, die darauf warten, zum Leben erweckt zu werden. Rechner, die versuchen, menschliches Bewusstsein in die Cloud (Datenwolke) hochzuladen. Insekten, die als Cyborgs (biohybride Mischwesen) über ein drahtloses Modem fremdgesteuert werden.

Der festen Überzeugung, dass wir mittels Technologie von unserer Natur „erlöst“ werden sollten, ist man vor allem im kalifornischen Silicon Valley. Dort glauben manche Programmierer, Unternehmer, Investoren und einige weltfremde egomanische Computer-Freaks und Geeks, dass sie bereits das Schicksal der Menschheit fest in ihren Händen halten. Nach O’Connel herrsche dort die Idiotie einer bestimmten Art von Intelligenz vor, „eine geradezu lächerliche binäre Eschatologie, nach der wir entweder durch schlechten Code vernichtet oder durch guten Code gerettet“ würden.

O’Connells großangelegte Reportage führt in eine Welt, in der Technik längst zur Religion geworden ist und alles einem einzigen Ziel untergeordnet wird: den Tod zu besiegen. Der Leser lernt außerordentlich intelligente und enorm erfolgreiche Persönlichkeiten kennen. Technisch hochbegabte Menschen, die zumeist jedoch absolut unfähig sind, sich selbst in ihrer Menschlichkeit zu akzeptieren - und die sich daher nichts sehnlicher wünschen, als eine Maschine zu werden. O’Connell ist es gelungen, aufzuzeigen, dass dieser Wunsch einerseits eine faszinierend menschliche Seite hat. Andererseits vermittelt dies Buch aber durchaus auch einen Hauch von Wahnsinn. Immerhin einen Wahnsinn, der etwas Grundlegendes über das offenbart, was wir für Vernunft halten.

Reinhard Lassek

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