Das Unsichtbare

Steve Gunns Neue gefällt
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Mit Religiosität hat es Steve Gunn nicht so, dafür aber mit dem Unsichtbaren.

Das einzig Gute an der zunehmenden Nutzung von Streamingdiensten ist wohl, dass wir getroster Namen droppen können. Referenzgrößen sind ja nun in einer Hand gleich parat. Bei dem New Yorker Singer-/Songwriter Steve Gunn darf der Assoziationsfuror darum kurz von der Kette, da ihn hier noch kaum einer kennt: Soundfarben erinnern an Rain Parade, sein Gitarrenpicking lässt an Britfolker wie Pentangle oder Fairport Convention denken, die Diktion teils an Donovan. Aktuellerer Bezug ist Kurt Vile, in dessen Band er einst spielte. Er selbst nennt indianische Musik und Minimalavantgardist La Monte Young als Einflüsse, betont aber auch, dass er Vergleiche nicht schätzt.

Er hat Recht. Sein ein gutes Dutzend Alben umfassendes Werk spricht für sich: Psychedelischer Folk-Rock erster Güte mit schwelgenden Melodien, Twang und grandioser Gitarrenarbeit. Starke Songgeschichten mit Liebesgezeiten, Alltagsmelancholie und prekären Schicksalen oder der berührenden Beziehung eines Barkeepers zu einer Katze in „Luciano“ kommen hinzu – einer der neun Songs des neuen Albums „The Unseen in Between“. Mit Religiosität hat es Gunn nicht so, dafür aber mit dem Unsichtbaren. Das macht auch die Faszination des Albums aus, musikalisch wie textlich. Mit einschmeichelnd jugendlicher Stimme, deren Reiz er erst spät entdeckte (er begann seine Karriere im Hardcore-Spektrum), erreicht er Seelenregionen zwischen Schmerzecho, Sehnsucht und gesteigerter Präsenz, die Wohlgefühl auslösen. Damit führt er leichthändig elegant in einen Dschungel der gemäßigten Zonen, wo ständig etwas kreucht und wuchert, nicht feucht, nicht heiß, nur angenehm üppig und verschlungen. Freundlicher Eigen- und Rückzugsort, kein Exil, eher eine Kapelle der Selbstbegegnung. Gefahr oder Bedrohungen lauern hier nicht, nur leicht schreitendes Suchen und Besinnen und Ernst auch etwa in „Stonehurst Cowboy“, das seinem jüngst an Krebs verstorbenen Vater gewidmet ist, der freundschaftlichen Nähe, die sie auf den letzten Metern zueinander fanden.

Gunn erzählt unverstellt, schlicht, in lyrischer Verknappung, eine Art schwebender Duktus – die Stimmung verträumt klarsichtig. Beim Hören entsteht eine eigenartig verbindliche Nähe. Etwa in dem berührenden „Morning is Mended“, offenbar nach einer Abschiedsnacht, oder im Opener „New Moon“, wo Hauch und Euphorie zu Zeilen wie All goes up and now it‘s gone / I have never known you but just hang on hymnisch aufeinander treffen. Arrangements und Stimmung, Erzählung, alles passt, eingespielt mit Könnern wie Bob Dylans Tour-Bassist Tony Garnier oder der Folk-Ikone Meg Baird. Kurzum, Steve Gunn ist eine Entdeckung und „The Unseen in Between“ die Eintrittskarte in eine Songwelt, in der sogar der Schlusssong „Paranoid“ gut tut.

Udo Feist

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