Etwas Hoffen

Verzweigte Familiengeschichte
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Europäische Religionsgeschichte wird mit viel historischem Wissen auf zweihundertachtzig Seiten am Beispiel einer Familie dargestellt.

Die weite Reise in die Vergangenheit der Familie Oettinger beginnt im 19. Jahrhundert in Westpreußen und führt über Berlin nach Pakistan und Indien, um in London anzukommen.

Am Flughafen Heathrow setzt Gerdien Jonkers Geschichte ein, wo sie von Suhail Ahmad, dem Sohn der Malerin Lisa Oettinger, abgeholt wird. „Für das Verstehen dieser Familiengeschichte war es unabdingbar, mit den Nachkommen ständig Kontakt zu halten“, so die Autorin, der Ahmad und seine Cousine Anisah Rani ihre drei Schatzkisten öffnen. Die darin verwahrten Dokumente, Fotos und persönlichen Gegenstände, wie alte Spitzendecken aus der Produktion der Großeltern, Gebetsmatten, Spielzeug, Bücher und besondere Kleidungsstücke, geben Hilfestellung beim Erinnern an sieben Generationen und sind optischer Bestandteil des Buches „Etwas hoffen muß das Herz“.

„Wir wollten deutsch sein und sonst nichts“, sagten noch die preußisch-jüdischen Vorfahren, als sie in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts zum evangelischen Glauben konvertierten. Wenig später kokettierten dann die jungen Frauen der Familie mit einem anderen Abenteuer, einem neuen Lebensentwurf, indem sie für fernöstliche Religionen schwärmten. Buddhisten, Hindus, Bahai und Muslime hatten in Berlin, wie in ganz Europa, Missionsstationen gegründet, die mit „östlicher Weisheit“ das gebildete Publikum anzogen.

Darunter die Ahmadiyya-Reformbewegung aus Britisch-Indien, die heute noch als Muslim-Gemeinschaft existiert und in die eine Oettinger Tochter einheiratete. Mit viel Enthusiasmus träumte sie von einer kosmopolitischen Welt, doch die Realität sah anders aus. Während Teile der Familie in Deutschland nach dem Kaiserreich die Weimarer Republik, Inflation, Nationalsozialismus und Flucht vor Entdeckung, den Krieg, Armut und Neuanfang durchlebten, versuchte sie sich in Indien in die muslimische Familie zu integrieren, die der gehobenen Gesellschaftsschicht angehörte. Man sprach englisch, war weltoffen, in Lahore gab es europäisches Leben, von dem jedoch Lisa Oettinger als Frau eines indischen Moslems ausgeschlossen blieb. Bevor sie ihre deutsche Familie nachholen konnte, brach der Krieg aus, erst 1947 sah man sich wieder und war sich fremd geworden. London, die weltoffene Stadt, wurde von den Oettinger Schwestern Susanna und Lisa als Wohnsitz auserkoren. Zerrissen zwischen Juden- und Christentum, dem Islam und Hinduismus, finden weder die Schwestern, noch deren Kinder Suhail Ahmad und Anisah Rani zueinander. Was sie verbindet, sind die Truhen mit Erinnerungen, die über Jahrzehnte gefüllt wurden.

Die vier Kinder von Anisah Rani sind die letzten der einst weitverzweigten Familie. Sie bezeichnen sich als deutsch-indisch-jüdisch, in England geboren, mit Wurzeln im heutigen Usbekistan und Pakistan. Ihr Glaube? Sie gehören der Centre Church in Großbritannien an, einer Mission der Pfingstbewegung, der viele interkulturelle Menschen beigetreten sind. So mündet diese Reise durch die Religionen wieder im Christentum.

Die Religionshistorikerin Gerdine Jonker hat dieses Buch zwar als Familiengeschichte angelegt, aus der in der komplexen Beschreibung eher eine wissenschaftlich angelegte Biographie geworden ist. Die Akribie der Recherche geht ein wenig zu Lasten des Erzählflusses, auch Zeitsprünge, Ortswechsel, viele Schicksale und weitverzweigte Familienstrukturen, erfordern große Konzentration. Europäische Religionsgeschichte wird mit viel historischem Wissen auf zweihundertachtzig Seiten dargestellt, davon fünfzig Seiten mit Anmerkungen und Quellenangaben im Anhang, ohne die sich vieles nicht erschließen lässt.

Angelika Hornig

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