Spekulativ

Kein neuer Blick auf Jesus
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Das Buch bleibt im Bereich von Spekulationen und erscheint nicht als ein seriöser Beitrag zur Erforschung des Neuen Testaments.

Jesus starb nicht am Kreuz. Er litt an einer Kohlendioxid-Narkose nach einer Lungenverletzung und der Lanzenstich des Soldaten (Johannes 19,34) rettete sein Leben, da so die in der Lunge angesammelte Flüssigkeit abfließen konnte. Er erholte sich im Grab und wirkte anschließend als Wanderprediger in Jerusalem, in der Dekapolis, in Ägypten und in Syrien. Die Idee von der Auferstehung, dessen „prominentestes Opfer“ Paulus war, verbreiteten unter anderen Nikodemus und Joseph von Arimathäa. Texte wie die christlichen Apokryphen und jene, als häretisch geltenden Zeugnisse der frühen Kirche, enthalten noch Spuren der zweiten Lebensphase Jesu.

Dies sind die wichtigsten Thesen, die Johannes Fried, Historiker und emeritierter Professor für Mediävistik, in seinem Buch provokant formuliert. Der Verfasser will einen neuen Blick wagen und die alten Texte im Angesicht naturwissenschaftlicher Erkenntnisse lesen. Dabei befindet er sich in guter Gesellschaft: Zum einen gab es verschiedene Thesen zu Jesu Tod im Lauf der Kirchengeschichte immer wieder und zum anderen reiht sich das Buch in die Versuche ein, Erzählungen der Bibel naturwissenschaftlich zu erklären, wodurch die Texte jedoch ihre Dimension als Glaubenszeugnisse einbüßen.

Fried betont mehrfach, dass seine Überlegungen Hypothesen sind und – so offen man gegenüber seinen Ideen auch sein will – sie können nicht überzeugen. Der Verfasser präsentiert eine Reihe von Gedankengängen, die voneinander abhängig sind und immer spekulativer werden. Mag man ein Lungentrauma noch für denkbar halten, so finden sich für die betrügerische Verbreitung der Auferstehung und das Weiterleben Jesu keinerlei Hinweise. Dass das Verhältnis von Gott und Mensch in Jesus Christus die frühe Kirche intensiv beschäftigt hat, ist verständlich auch ohne Annahme seines Überlebens.

Auch methodisch ist Frieds Buch schwierig: Oft ist unklar, warum er manche Texte als historisch zuverlässig, andere hingegen als legendarisch ansieht. Dass der Verfasser des Johannesevangeliums ein Augenzeuge sei, ist ebenso unwahrscheinlich, wie die These, das Evangelium des Markion habe als Quelle der anderen Evangelien gedient. Gerade Letzteres ist eben kein Konsens in der neutestamentlichen Wissenschaft, was Fried aber derart vereinfacht darstellt.

Die Anmerkungen am Ende sind kaum aufschlussreich, besonders dort, wo Wikipedia-Artikel genannt werden. Auch wenn das Buch sich an ein nichtwissenschaftliches Publikum richtet, ist doch zu erwarten, dass Thesen nachvollziehbar und wissenschaftlich begründet dargelegt werden. Ein „Warum nicht?“, wie es Fried so oder ähnlich öfter formuliert, kann als Grund für solch umfassende Behauptungen nicht überzeugen. So bietet das Buch letztlich eine Reihe von kreativen Überlegungen, die nicht mehr sind als das, was der Verfasser sich vorstellen kann.

Das Buch leidet unter vielen Wiederholungen und vermeintlich provokanten Fragen, die unbeantwortet bleiben. Dies ist überaus suggestiv und manipulierend: Fried vermeidet mit seinen spekulativen Fragen klare Begründungen und lässt so die Lesenden mit seinen Gedankenspielen allein. Dabei suggeriert er, es handele sich um plausible Möglichkeiten, zugleich präsentiert er sich selbst als mutigen Bekämpfer verstaubter Lehrsätze wie zum Beispiel „Dürfen wir solcher Aufklärung nachgehen?“.

Für das Verstehen biblischer Texte sind neue Blickwinkel ausgesprochen anregend, doch verbleibt das Buch Kein Tod auf Golgatha im Bereich von Spekulationen und erscheint so nicht als ein seriöser Beitrag zur Erforschung des Neuen Testaments und der frühen Kirche.

Judith Filitz

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