Vertrauen und Erkennen

Klartext
Foto: Detlef Güthenk
Foto: Detlef Güthenk
Die Gedanken zu den Predigttexten in den kommenden Wochen kommen diesmal von Rolf Wischnath, Generalsuperintendent i.R., Gütersloh.

Formale Logik

Sonntag Septuagesimä, 17. Februar

Sei kein Tor! (Prediger 7,17)

Predigthilfen weisen gerne darauf hin, dass in der Bibel „Torheit“ ein pflichtvergessenes, sündhaftes, frevelhaftes Handeln gegen Gott sei. Aber bei der Verwendung der in der Schrift gebrauchten Worte „Tor“ und „töricht“ gibt es unterschiedliche Deutungen. Eine außerordentliche Zuspitzung steuert Paulus mit der These bei, dass das Evangelium vom Kreuz für die Griechen eine Torheit sei, die göttliche Torheit aber weiser als die des Menschen.

Der Heidelberger Katechismus von 1563 bestimmt den „wahren Glauben“ als „eine gewiss machende Erkenntnis“ und „ein herzliches Vertrauen“ (Frage 21). Heute wird der Gesichtspunkt verständlicher Erkenntnis aber häufig unterbelichtet. Der Glaubensaspekt des herzlichen Vertrauens muss dann emotional aufgerüstet und zum entscheidenden Moment des Glaubens erklärt werden. Aber gibt es im Glauben ein seelenvolles Vertrauen ohne verlässliche Erkenntnis?

Sei kein Tor! Die Verkündigung des Evangeliums ist stets dem einfachen Postulat gedanklicher Folgerichtigkeit nachgekommen, wenn sie nicht Torheit auf Dauer stellen wollte.

Predigt und Unterricht, Gespräch und Seelsorge, synodale Denkschriften und Diakonie müssen sich wie andere sinnvolle, auf Kommunikation angelegte Bemühungen auf das vernünftige Denken einlassen. Man kann auch sagen: Sie sollten von den einfachen Regeln der formalen Logik geleitet sein. Der Theologe Paul Tillich (1886-1965) hat darauf hingewiesen, dass „die Theologie wie jede andere Wissenschaft von der formalen Logik abhängig“ ist.

Stattdessen ist oft gefühlsbetonte Torheit zu hören, zu sehen und zu lesen. Und es herrschen gedankliche Willkür und stilistische Mittel wie Pointe, Aperçu und Wortspiel statt stimmiges Folgern, Schließen, Bestimmen, Ableiten und Verknüpfen. Manierismus und Eitelkeit treiben ihre Blüten. Denn kapriziöse Formen und Stilmittel sind scheinbar interessanter als Inhalte. Aber sei kein Tor! Denn ich will erkennen und verstehen, was ich glaube.

Nächste Schritte

Sonntag Sexagesimä, 24. Februar

Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht. (Apostelgeschichte 16,9)

Helmut Schmidt, der vor einiger Zeit hundert Jahre alt geworden wäre, wurde einmal nach seiner „großen Vision“ gefragt. Und er gab die bekannt gewordene und oft zitierte Antwort. „Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen.“

In der Apostelgeschichte ist ausdrücklich von einer Vision (griechisch horama, lateinisch visio) die Rede, als Paulus in Troas die Augen aufgehen, von Luther als „Erscheinung“ übersetzt: „Und Paulus hat eine Vision bei Nacht: Ein Mann aus Mazedonien steht da und bittet ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns.“

Der christliche Glaube ist also durch eine Vision nach Europa gekommen, aber eine vom nächsten Schritt. Paulus hat keine Vision von der künftigen Gestalt des Christentums auf dem Kontinent. Er hat auch keine, die ihm Klarheit darüber schafft, was aus seinem Wirken werden wird. Der Völkerapostel hat nur eine Vision davon, wohin er seinen nächsten Schritt lenken soll.

Und eine solche Vision benötigen auch wir. Aber sie lässt sich in einer Kirche des Priestertums aller Getauften nur gemeinsam entwickeln. Da gibt es keinen Weg vorbei an Kindergärten und Konfirmandengruppen, Bibelkreisen und Kirchengemeinderäten, Synoden und Kirchenleitungen und - der Diakonie. Diese Gruppen, Einrichtungen und Gremien sind nicht geringzuachten, was oft geschieht, sondern vor Überforderungen zu schützen. Denn Visionen können anstrengend sein. Die Kultur der Achtsamkeit, von der heute gern die Rede ist, beginnt mit der Bewährung der von Jesus gebotenen Freundlichkeit auch in den Einrichtungen der verfassten Kirche.

Der Genfer Reformator Johannes Calvin (1509 - 1564) hatte eine Vision von Kirche, indem er von der „Auferstehung der Kirche“ spricht. Nicht nur von der großen Auferstehung am Ende unserer Zeit, sondern der, die sich schon jetzt ereignet: „Obwohl die Kirche zur Zeit kaum zu unterscheiden ist von einem toten oder doch kranken Manne, so darf man doch nicht verzweifeln, denn auf einmal richtet der Herr die Seinigen auf, wie wenn er Tote aus dem Grabe erweckte. Das ist wohl zu beachten. Denn wenn die Kirche nicht leuchtet, halten wir sie schnell für erloschen und erledigt. Aber so wird die Kirche in der Welt erhalten, dass sie auf einmal vom Tode aufsteht, ja am Ende geschieht diese ihre Erhaltung jeden Tag unter vielen solchen Wundern. Halten wir fest: das Leben der Kirche ist nicht ohne viele Auferstehungen.“

Gutes erwählt

Sonntag Estomihi, 3. März

Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hört seiner Rede zu ... Marta aber sprach: „Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen?“ (Lukas 10,39-40)

Was hat Maria gearbeitet, was hat sie fertiggebracht? Nichts. Was hat sie erfahren, was ist mit ihr geschehen? Sie hat Jesus gefunden. Marta redet und tut, während Maria kein einziges Wort sagt. Auch ein Bekenntnis zum Heil in Jesus Christus ist von ihr nicht zu hören. Aber für Jesus hat Maria „das gute Teil erwählt.“ Das Verb „erwählen“ wird im Neuen Testament allgemein Gott oder Christus zugeschrieben, nicht als Beschreibung der religiösen Aktivität eines Menschen gebraucht.

In einem Siegerländer Gemeindehaus sah ich einmal in großen Lettern an die Wand geschrieben: „Du musst dich entscheiden! Entscheide dich für Jesus! Sonst gehst du verloren!“ Hier wird der Mensch vor eine Entscheidung gestellt, ohne die er nicht in den Himmel kommt. Bei Maria gilt aber nicht die fromme Aktivität, sondern die Zuwendung zu dem, zu dessen Füßen sie sitzt. Maria hört zu. Mehr tut sie nicht. Und Jesu Urteil setzt die Erwählung des dreieinigen Gottes voraus. Wenn Jesus sagt, Maria habe das gute Teil erwählt, dann ist ihr Erwählen eine Wirkung ihrer Erwählung durch Gott, der Prädestination.

„Eine völlig neue Welt tat sich ihr auf und zog Maria in ihren Bann.“ Und dann: „‘Marta, Marta,’ sagt Jesus, du machst dir viel Mühe, nur wenig ist notwendig. Maria hat gefunden, was notwendig ist. Das darf ihr niemand nehmen!“ (Ingo Baldermann). So werde ich es am 3. März predigen. Und im Anschluss möchte ich mit der Gemeinde singen: „Da ich noch nicht geboren war, da warst du mir geboren und hast dich mir zueigen gar, eh ich dich kannt, erkoren. Eh ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir bedacht, / wie du mein wolltest werden.“

Neue Perspektive

Sonntag Invokavit, 10. März

Weil wir denn einen großen Hohen Priester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohen Priester, der nicht könnte mitleiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. (Hebräerbrief 4,14-15)

Für den Verfasser des oft schrägen Hebräerbriefes ist das Priestertum Israels, sein Opfer und die Arbeit des Hohen Priesters überwunden. Denn Jesus ist ein für alle Mal Opfer, Priester und Altar. Der Hebräerbrief transzendiert dieses priesterliche Handeln in den Himmel: „Wir haben einen Hohen Priester, der die Himmel durchschritten hat.“ Insofern geschieht hier etwas, das keine religiöse Zeremonie bewirken kann.

Wie können wir die Rede vom Hohen Priester Jesus und seinem Opfer verstehen? Was ist gemeint, wenn im Blick auf den Gekreuzigten von „Versöhnung“ und Darbringung des „Sühnopfers“ die Rede ist. Es gibt eine Antwort, die bis heute Schaden anrichtet: Sie besteht in der Opfertheorie, nach der ein Gott zufriedengestellt werden muss, der durch die Sünden der Menschen beleidigt worden ist und zürnt. Der Sohn Gottes Jesus wird hier präsentiert als reiner Hoher Priester mit einem reinen Opfer - nämlich mit sich selbst. Er bringt es dem Vater dar, um Sühne für die unzähligen Sünder und ihre zahllosen Sünden zu wirken und den Zorn des Vaters zu stillen.

Eine solche Rede transportiert ein furchtbares Gottesbild. Und damit werden viele Zeitgenossen, auch Christen, nicht fertig. Und sie haben Recht, wenn sie sich weigern, das zu akzeptieren. Wie soll man auch ohne Schaden an einen Gott glauben können, der zu seiner Besänftigung und Versöhnung das Blut seines eigenen Sohnes fließen lässt und ihn in den Tod zwingt?

Steht Gott auf Blut? Muss er durch ein blutiges Opfer versöhnt werden? Nein. Und man kann diese Nein gar nicht dick genug unterstreichen. Denn mit Gott und den Menschen verhält es sich gerade umgekehrt: Nicht ein böser Gott musste durch das böse Werk an einem guten Menschen versöhnlich gestimmt und in seinem Rachebedürfnis befriedet werden. Vielmehr muss der von Gott abgefallene Mensch umgekehrt werden. Nicht Gott wird versöhnt, sondern der Mensch, das menschliche Geschlecht, „die Welt“ (2. Korinther 5, 19).

„In Christus war die Gestalt des Menschen vor Gott neugeschaffen“, betonte der von den Nazis ermordete Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945). Aber wie? „Wir haben nicht einen Hohen Priester, der nicht mit uns zu leiden vermöchte in unserer Ohnmacht, sondern einen, der - gemäß der zwischen ihm und uns bestehenden Ähnlichkeit - geprüft worden ist, doch ohne Sünde“, betont der Hebräerbrief. Mithin hält Gott sich im Sohn nicht zürnend und mitleidlos fern von Schuld und Leiden der Menschen. Gott hat sich in der Gestalt des Sohnes vielmehr selbst in unsere Schuld und Sünde begeben und deren letzte Konsequenz, den seelenlosen und gottlosen Tod, auf sich genommen.

Der Gekreuzigte starb für alle Menschen aller Zeit und aller Orte. Er starb für die ganze gottfeindliche Menschenwelt. So wurde er zum Hohen Priester und zum Opfer - aber nicht für einen zornigen Gott, sondern für den Menschen, für die Welt: „Der von seiner Schuld erdrückte Mensch kann allein dadurch zum Leben wiedergeboren werden, dass ein anderer sein vertanes und verlorenes Leben in den eigenen Tod mit hineinnimmt und ihm in seinem Sterben unverdientes, neues Leben schenkt“ (Gisela Kittel).

Das ist der Zusammenhang, wenn im Blick auf den Tod Jesu von Hohem Priester, stellvertretendem Sühneopfer und Versöhnung gesprochen wird. In dieser Perspektive werden die im Neuen Testament dafür gebrauchten Begriffe für das Verständnis des Kreuzes zurechtgerückt und zu Ehren gebracht. Sie sind weit mehr als eine Deutung oder eine theologische Theorie. Vielmehr sind sie die Sache selbst. Und das ist für das Verstehen des Todes Jesu unabdingbar.

Rolf Wischnath

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