Ohrenschmaus

Jazz in vier Städten
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Mit diesem Album lässt sich über das ganze Jahr kommen.

Eine weiße Kuh und ein Stier vor einem Pflug aus Erz: Die Furche markiert das begrenzende Geviert. Wo Tore hin sollen, trägt er den Pflug, und die nach innen aufgeworfenen Schollen zeigen den Verlauf der Mauer. Wo sich die Lang- und Querachse kreuzen, legt der Leiter des Rituals den mundus an (lateinisch: Welt), die Grube für die Erstlingsopfer. So gründeten die alten Etrusker eine Stadt. Der 35-jährige Makaya McCraven, in Chicago lebender Jazz-Drummer und Produzent macht das anders: Sein Konzept der organic beat music beruht auf freier Improvisation aus Live-Sessions, die er aufnimmt, nachbearbeitet und neu zusammensetzt. Sein Album In the Moment machte 2015 damit Furore, dann legte er nach, verfeinerte, baute aus.

Nun folgt Universal Beings, dessen Vierer-Aufriss an die etruskische mundus-Divination der Himmelsrichtungen erinnert, doch fällt seine Scholle um einiges überraschender, besonders greifbar übrigens in der Vinylfassung mit dem Doppelalbum-Schema der vier Seiten. Während einer Tour traf er sich in New York, Chicago, London und Los Angeles in Clubs und Studios mit befreundeten Hochkarätern der jazzbasierten aktuellen Musikinnovation zu Sessions. Fesselnde Intensität und die hyperaufmerksame, geistoffene Kommunikation der Improvisation sind durchlaufende Faktoren an allen vier Orten. In seiner organic beat music-Nachbearbeitung erhalten sie dann die besondere Dynamik mit viel und auch vertracktem Groove. Auf Namedroppping sei verzichtet, bloß so viel:

Im Club H0l0 in New York spielte er erstmals mit der Harfenistin Brandee Younger (plus Bass, Vibraphon und Cello). Der Auftritt, heißt es bei Kritikern, sei umwerfend gewesen. Die Albumfassung hat einen mystischen Touch. In Chicago war der quirlige Saxophonist Shabaka Hutchings aus London dabei, der gerade für einen Gig in der Stadt war. Diese Seite mutet fiebrig-hitzig an und hat viel Tiefe, emblematisch ist der Neun-Minüter Atlantic Black: Komplex treibende afrikanische Rhythmen, fast hektisch, wüst und free, bis das Forcieren in ein lyrisches letztes Drittel kippt. Seite drei ist tricky und doch launchig, also auch nebenbei zu hören, eben Clubmusik. Der Sog ist aber stark, also nahrhafte Unterhaltung. Seite vier, die LA-Session, dominieren Seele und Entspannung. 22 begeisternde Tracks insgesamt, die das neue, so erfrischend undogmatische Jazzpublikum vom „heißesten Scheiß, der gerade zu kriegen ist“ reden lassen. Oder anders: Mit dem Album lässt sich über das ganze Jahr kommen. Große Kunst und prächtiger Ohrenschmaus, dem der Blick auf den Geist des Raumes und des Augenblicks die Richtung vorgibt. So beginnen Entdeckungen. Doch im Mittelpunkt steht der Mensch. Und atlantisch schwarz, wie am Anfang, ist seine musikalische Seele.

Udo Feist

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