Das chinesische Zeitalter naht

China will wieder die Position einnehmen, die es für angemessen hält: führend in der Welt
Ausdruck weltweiter Ambitionen: der chinesische Flugzeugträger Liaoning. Foto: Picture Alliance/Hu Kaibing/ColorChinaPhoto
Ausdruck weltweiter Ambitionen: der chinesische Flugzeugträger Liaoning. Foto: Picture Alliance/Hu Kaibing/ColorChinaPhoto
Unter ihrem Präsidenten Donald Trump zieht sich die USA aus der Weltpolitik zurück. Die Lücke versucht die aufstrebende Diktatur China zu füllen. Ist die Volksrepublik inzwischen die mächtigste Nation der Welt? Das fragt sich der langjährige taz-Korrespondent in China, Felix Lee.

Die Sonne knallt auf die Haut. Die Luft ist dennoch kalt. Denn die über Jahrhunderte vom scharfen Wind zerfressenen Ruinen des Forts von Tashkurgan liegen auf 3.300 Meter Höhe. Gleich dahinter erhebt sich der Karakorum, ein Hochgebirge mit mehreren Achttausendern. Sie sind allesamt mit Schnee bedeckt. Auch von den Mauern, die das Fort einst vor Eindringlingen schützte, sind nur noch Reste vorhanden.

In fast allen Dynastien diente das Fort an der westlichsten Grenze Chinas als ein wichtiger Stützpunkt, um die Handelsstraße zu überwachen, die ein paar Hundert Meter weiter entlang führte. Bei dem Pfad handelte es sich um einen Ausläufer der antiken Seidenstraße, die China schon vor zweitausend Jahren mit dem Indischen Ozean verband. Im Laufe des 17. Jahrhunderts verlor die Route an Bedeutung, das Forts verkam zu Ruinen.

Heute verläuft in Sichtweite des Forts die Nachfolge der antiken Seidenstraße: eine moderne vierspurige Autobahn. Wo früher voll bepackte Kamelkaravanen den Pass überquerten, fahren momentan noch wenige Lastkraftwagen. Doch das soll sich rasch ändern. Ebenfalls nicht weit vom alten Fort entfernt ziehen Baukräne ein neues Stadtviertel hoch mit Büros, Geschäften und Wohnhäusern. Die Volksbefreiungsarmee hat ihre neue Kaserne bezogen. Ein Hubschrauber hebt von dem Gelände ab und rattert gen pakistanische Grenze.

Dies alles ist nur ein kleiner Teil des Netzes von Handelswegen, die China unter dem Markenzeichen der „Neuen Seidenstraße“ wiederbeleben will. Sie ist Teil der riesigen Anstrengungen, mit denen China die Rückkehr zu seiner alten Bedeutung heraufbeschwört. Hinter dem altertümlich-romantischen Namen verbirgt sich sehr viel mehr als nur die Wiederbelebung der historischen Routen zwischen Ostasien und dem Mittelmeerraum. Es handelt sich um eine außen- und wirtschaftspolitische Großoffensive, mit der China seine Stellung als globale Supermacht zurück erlangen will.

Ein gigantisches Unterfangen, das den Ausbau von Straßen, Schienen- und Wasserwegen umfasst, die Errichtung von Flughäfen, Häfen und Staudämmen, Kraftwerken und Pipelines, neuen Wirtschaftszonen, Glasfasernetzen und Industrieparks. Mehr als sechzig Länder sollen an die neue Seidenstraße angeschlossen werden, neben Asien auch Staaten in Europa, insbesondere Osteuropas. Duisburg ist auf dem Schienenweg ein Ziel, die Häfen von Piräus und Genua auf dem Seeweg. Bis nach Afrika soll die Handelsroute reichen, ja sogar in die Antarktis. Umgerechnet rund 900 Milliarden Euro - so viel will Peking sich das gigantische Verkehrsinfrastrukturprojekt in den kommenden Jahrzehnten kosten lassen.

Dreimal in den vergangenen zweitausend Jahren war China Weltmacht gewesen: Während der Han-Dynastie im 3. Jahrhundert, in der Tang-Dynastie zwischen dem 6. und 9 Jahrhundert und dann noch mal in der Qing-Dynastie ab 1644. Noch um 1840 herum steuerte China fast ein Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung bei. Dann kamen die Opiumkriege. Innenpolitisch zermürbt, außenpolitisch komplett chancenlos musste sich China schließlich den europäischen Großmächten unterwerfen. Das Reich der Mitte verarmte.

Diese 150 Jahre als rückständiges Land gelten aus Sicht der heutigen chinesischen Führung lediglich als „historischer Unfall“, schreibt der britische Politikwissenschaftler und Autor Martin Jacues in seinem Buch „When China Rules the World“. Nun, nach vierzig Jahren Reform- und Öffnungspolitik, so sieht es die KP-Spitze, sei die Zeit gekommen, dass China wieder die Position einnimmt, die dem Riesenreich zusteht, die einer Weltmacht.

Absolute Armut besiegt

Genau so hat das Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping nach seinem Amtsantritt 2012 auch formuliert. Vom „Chinesischen Traum“ sprach er und setzte sich noch sehr viel mehr als seine Vorgänger sehr konkrete Ziele für sein Land. Bis 2025 solle China technologisch mit den führenden Wirtschaftsmächten mithalten können, bis 2049, zum 100. Geburtstag der Volksrepublik, soll China führend in so ziemlich allem sein: Wirtschaftlich, technologisch, militärisch und politisch. Kein Land dürfe mehr auf China herabblicken, lautet die Devise.

In diesem Jahr feiert die kommunistische Führung zunächst den siebzigsten Geburtstag der Volksrepublik. Zu diesem Jubiläum kann sich Chinas bisherige Bilanz durchaus sehen lassen. Das durchschnittliche Jahreseinkommen im bevölkerungsreichsten Land der Welt hat sich in den vergangenen dreißig Jahren von rund 200 auf über 9.600 Dollar erhöht. Lebten 1989 noch rund 80 Prozent der Menschen in China unter der Armutsgrenze, deren Grenze die Weltbank bei einem täglichen Einkommen von 1,90 Dollar sieht, konnten seitdem mehr als 800 Millionen Menschen daraus entkommen. 2020 dürfte die absolute Armut in China quasi besiegt sein. Hauptsächlich China war es zu verdanken, dass die Vereinten Nationen die im Jahre 2000 vereinbarten Milleniumsziele zur Halbierung der weltweiten Armut 2015 erreichte.

Heute ist China größte Handelsmacht, größter Automarkt und Halter der meisten Währungsreserven der Welt. Das Land trägt zu mehr als einem Viertel des weltweiten Wachstums bei. 2017 war die Volksrepublik größter Auslandsinvestor und Firmenkäufer - auch in Deutschland. Spätestens mit der Finanzkrise von 2009, als die gesamte Wirtschaft der westlichen Welt in eine tiefe Krise schlitterte, lief Chinas Konjunktur unbeirrt weiter. Der Rest der Welt hatte es den Chinesen zu verdanken, dass die Krise nicht noch sehr viel tiefere Wunden hinterließ und die Weltwirtschaft sich wieder rasch erholte. Schon jetzt ist klar: Chinas Volkswirtschaft wird in weniger als zehn Jahren die USA als größte Volkswirtschaft der Welt abgelöst haben. Auch das seien „Menschenrechte“, argumentiert die kommunistische Führung. Innerhalb so kurzer Zeit Wohlstand für so viele Menschen zu schaffen - das habe noch kein Land geschafft.

Doch es sind nicht nur die hohen Wirtschaftswachstumsraten, mit denen China punktet. Auch das Ziel der kommunistischen Führung, bis 2025 technologisch führend zu sein, ist keineswegs aus der Luft gegriffen. Die Digitalisierung geht in China deutlich schneller voran als in Europa. Mobile Zahlungssysteme sind flächendeckend eingeführt. Die Chinesen sind Weltmarktführer für Solarzellen, Smartphones, Mikrochips, Displays und Drohnen. Ein Imitator ist China schon lange nicht mehr, sondern - wie die hohe Zahl der angemeldeten Patente zeigt - ein führender Innovator.

Kein Land investiert derzeit so viele Milliarden in Künstliche Intelligenz, G5-Netzwerke, Mikrochips und Industrieroboter wie die Volksrepublik. Der technologische Fortschritt zeigt sich auch militärisch. Peking leistet sich die weltweit zweitgrößten Militärausgaben.

Keine Frage: Die Kräfteverhältnisse in der Weltpolitik haben sich verschoben. Die USA sind unter Trump aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgetreten. Er hat dem transpazifischen Handelsabkommen tpp eine Absage erteilt, das eigentlich die größte Freihandelszone der Menschheitsgeschichte schaffen sollte. Die einstigen Verbündeten in Europa und im Fernen Osten können sich nicht mehr auf die USA verlassen.

Chinas Staatschef Xi hingegen liefert seitdem das Kontrastprogramm. Sein Land hat sich bei den Klimaschutzverhandlungen vom Saulus zum Paulus gewandelt und will auch in der Umwelttechnologie zum Vorreiter werden. Kein Land hat in den letzten Jahren so viele Solarpanelen auf die Dächer geschraubt und so viele Windkraftanlagen errichtet wie die Volksrepublik. Wird es Peking gelingen, die Lücken zu füllen, die Washington unter Trump hinterlassen hat? Folgt auf das amerikanische nun das chinesische Zeitalter?

So sehr sich der chinesische Staatschef im Ausland unter den Freihandelsbefürwortern feiern lässt - mit dem politischen System deckt sich der von Xi beschworene Liberalismus nicht. China ist mehr denn je eine Einparteiendiktatur, die das Land mit eisernem Griff regiert. Menschenrechte werden weiterhin missachtet. Schlimmer noch: Die Führung geht gegen seine Kritiker härter vor als jemals zuvor.

Insbesondere seit dem Amtsantritt von Xi Jinping 2012 hat sich die Menschenrechtslage in China dramatisch verschlechtert. Beobachter klagen über eine lange Liste von Menschenrechtsverstößen. Die Festnahme von rund dreihundert Rechtsanwälten und Menschenrechtsverteidigern im Juli 2015 markierte einen vorläufigen Höhepunkt. Seitdem trauen sich auch kritische Anwälte mit ihren Anliegen nur noch selten an die Öffentlichkeit. Brutal gehen die chinesischen Sicherheitskräfte auch wieder gegen die muslimische Minderheit der Uiguren in Xinjiang im Nordwesten der Volksrepublik vor. Hatte China seine berüchtigten Umerziehungslager aus Maos-Zeiten 2015 offiziell für verboten erklärt, sind sie im Umgang mit den Muslimen in Xinjiang wieder eingeführt. Die Inhaftierung Verdächtiger ohne Gerichtsverfahren ist dort ebenso wieder Praxis wie die „ideologische Erziehung gegen Extremismus, psychologische Behandlung und Verhaltenskorrekturen“. Die vielen Todesurteile gehören in China zum Alltag. Menschenrechtsorganisationen gehen davon aus, dass in China mehr Menschen exekutiert werden als im Rest der Welt zusammen.

„Wir sind heute noch weiter von der Demokratie entfernt als 1989“, sagt Teng Biao, der inzwischen in die USA geflohene chinesische Menschenrechtsanwalt. Der zunehmende Wohlstand hat flächendeckend bisher kein Streben nach Freiheit ausgelöst. Stattdessen hat vor allem die aufstrebende junge Mittelschicht in den Großstädten schon früh verinnerlicht: Das persönliche Fortkommen und Reichtum für sich und die eigene Familie sind viel wichtiger. Die Macht der KP scheint auf absehbare Zeit gefestigt. Sie bietet einen klaren Deal an: Wirtschaftlich und materiell geht es bergauf, dafür zieht das Volk mit. Doch was passiert, wenn Chinas Führung das Versprechen auf noch mehr Wirtschaftswachstum und ein materiell immer besseres Leben nicht mehr einlösen kann?

Fehlende Softpower

So ein Szenario ist durchaus realistisch. Denn für die KP ist es sehr viel schwerer geworden, mehr von allem anzubieten. Der Lebensstandard hat ein hohes Niveau erreicht. Zuwächse sind viel schwerer zu erzielen. Und auch das ist die Wahrheit: So sehr China für seinen wirtschaftlichen Aufstieg weltweit bewundert wird, wirklich so werden wie die Volksrepublik will im Ausland kaum einer. Dafür ist China zu autoritär, die Politik zu korrupt, das Misstrauen zu offenkundig. Sobald sie es sich leisten können, wollen auch viele Chinesen weg.

Anders hingegen Europa und die USA. Deren Demokratie mag unter Trump zwar leiden. Doch im Kern sind Gewaltenteilung, unabhängige Justiz und die demokratischen Institutionen intakt. Das Land mit seinen gesellschaftlichen Freiheiten zieht auch weiter die klügsten Menschen der Welt an. Und so wie die Vereinigten Staaten für Westeuropa Vorbild waren, werden die US-Amerikaner auch in anderen Teilen für ihre Freiheitsrechte beneidet.

Ökonomisch mag China geschickt vorgehen. Doch um weltweit als Führungsmacht geachtet zu werden gehört mehr dazu als wirtschaftliche Stärke. Was China fehle sei Softpower, beschrieb Shi Anbin, Professor für Kommunikation an der renommierten Pekinger Tsinghua-Universität das Problem. Solange diese fehlt, bleibe China nur eine Macht von vielen.

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Felix Lee

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