Realismus first

Evangelische Friedensethik
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All jene, die eine neue Positionierung der EKD in der Friedensfrage anschieben wollen, sollten sich mit diesem Buch auseinandersetzen.

Friedensfreunde aufgepasst! Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) will auf ihrer nächsten Tagung im November in Dresden über Friedenspolitik diskutieren. Es wird vermutet, dass der Weg für eine neue Friedensdenkschrift der EKD freigemacht werden soll, die nach Auffassung interessierter Kreise, die „alte“ Friedensdenkschrift von 2007 („Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen“) ablösen soll. Gerüchte besagen, dass der in diesem zwölf Jahre alten Papier wichtige Begriff der rechtserhaltenden Gewalt zugunsten eines rigorosen Gewaltverzichts abgeräumt werden soll.

Mit diesem Fall der Fälle rechnet jedenfalls Hartwig von Schubert, der Autor des vorliegenden Buches. Nach einem abwechslungsreichen Berufsleben ist der promovierte Theologe seit gut zehn Jahren als Militärdekan tätig, und in dieser Eigenschaft war er 2009/2010 mehrere Monate lang Seelsorger bei den Bundeswehrsoldaten in Afghanistan. Sein kürzlich im olivgrauen Friedenstauben-Umschlag erschienenes Buch plädiert für eine „realistische Friedensethik“, die sich schon im Titel ausdrückt, der nicht nach dem biblischen Vorbild „Schwerter zu Pflugscharen“, sondern eben Schwerter und Pflugscharen lautet.

Welche Zielgruppe von Schubert dabei vor Augen hat, wird deutlich, als er aus friedensethischen Äußerungen evangelischer Landeskirchen zitiert, zum Beispiel aus einer Veröffentlichung der Evangelischen Kirche im Rheinland von 2018. Dort heißt es: „(…) Jesu Tod am Kreuz setzt alle tödliche Gewalt ins Unrecht, und seine Auferstehung zeigt, dass sie nicht das letzte Wort hat. Im Licht von Kreuz und Auferstehung ist darum ein anderes Verhalten in der Nachfolge Jesu möglich. Wir sind in unseren Reaktionen nicht mehr auf Gegengewalt angewiesen, sondern aufgefordert, anders zu handeln - zu allererst mit erlernbaren Überzeugungen und Haltungen der Gewaltfreiheit und vielfältigen in Gesellschaft und Politik entwickelten Fähigkeiten, Methoden und Erfahrungen (zum Beispiel Dialog, Mediation, Schlichtung, Rechtsmittel).“

Diesem sicherlich auch von ihm nachhaltig gewünschten Sozialverhalten setzt der Autor Überlegungen entgegen, die in der Quintessenz davor warnen, zu blauäugig an das dicke Brett Friedensethik heranzugehen. Dabei holt er auf knappem Raum weit aus und diskutiert sehr grundsätzlich und mit Akribie die Quellen christlicher Ethik, beginnend mit dem berühmten Kapitel 13 des Römerbriefes, das zumindest auf den ersten Blick als kritiklose Anerkennung jeder staatlichen Obrigkeit gelesen werden kann. Dann skizziert er anhand der zehn Gebote und anderer Bibelstellen, wie sich verschiedene Sichtweisen des Politischen in der biblischen Tradition entfaltet haben.

Im dritten Kapitel erfolgt dann die Darbietung und Diskussion wichtiger Gedanken abendländischer politischer Ethik, angefangen bei Platon und Aristoteles, deren grundlegende Gegensätzlichkeit aufgezeigt wird, bevor dann so ausführlich, wie auf engem Raum möglich, auch noch Immanuel Kants Ethik fruchtbar erschlossen wird. Dies ist dem Autor aller Komprimierungen zum Trotz meisterhaft gelungen und mit großem Gewinn zu lesen. Allerdings sei empfohlen, diese Passagen eher vormittags mit klarem Kopf als abends vor dem Einschlafen zu lesen und gegebenenfalls manches auch mehrmals.

Am Ende formuliert Hartwig von Schubert acht Thesen: zur Ethik, zum Recht, zur Politik, zum Staat, zur Strategie, zur Gewalt, zum politischen Urteil und schließlich „zur Kirche“. Hier schreibt er unter anderem: „Ihr politisches Bekenntnis und Engagement, insbesondere ihre kritische Solidarität mit Staaten als auf die Idee des Rechts verpflichteten Gewaltmonopolisten, wird die Kirche unvermeidlich kompromittieren. Eine politisch mündige Kirche entzieht sich der diesbezüglichen Kritik nicht, auch und gerade nicht angesichts der zunehmend globalen Dimensionen menschlicher Machtausübung und Gewaltprojektion. Vielmehr lernt sie aus solcher Kritik.“ All jene, die in diesem Herbst eine substanziell neue Positionierung der EKD in der Friedensfrage anschieben wollen, sollten sich mit diesem Buch auseinandersetzen. Vielleicht bringt es sie auf andere Gedanken!

Reinhard Mawick

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