Keine Grenze nach rechts

Eine kritische Lektüre des Buches „Rechtes Christentum?“
Die AfD-Politiker Jörg Meuthen (links) und Armin-Paul Hampel während einer Pressekonferenz im Mai 2017 zum Umgang der Kirchen mit der AfD. Foto: dpa/ Bernd von Jutrczenka
Die AfD-Politiker Jörg Meuthen (links) und Armin-Paul Hampel während einer Pressekonferenz im Mai 2017 zum Umgang der Kirchen mit der AfD. Foto: dpa/ Bernd von Jutrczenka
Immer wieder wird der evangelischen Kirche vorgeworfen, sich politisch zu einseitig im linksliberalen Milieu zu verorten und abweichenden Meinungen zu wenig Raum zu geben. Aber wie sähe ein „Rechtes Christentum“ aus? In einem Sammelband mit diesem Titel beschreiben Autoren ihre Positionen als „rechte Christen“. Reinhard Hempelmann, Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin, hat das Buch gelesen.

Im österreichischen Ares Verlag ist vor kurzem der Sammelband „Rechtes Christentum“ erschienen. Das Buch wird durch den zur Neuen Rechten gehörenden Verlag Antaios vertrieben. Es bezieht sich vor allem auf politische Diskurse in Deutschland und die Frage, wie eng ein „säkularisiert-universalisierter Humanitarismus“ zum christlichen Ethos gehört. Die elf Autoren wollen einer aus ihrer Sicht in Politik, Medienöffentlichkeit und Amtskirchen vorherrschenden politisch links ausgerichteten Positionierung etwas entgegensetzen. Bündnisaufrufen „gegen rechts“ soll eine „ausgewogene Betrachtung“ der Positionen „rechter Christen“ gegenübergestellt werden. „Eine konservative Sichtweise ist legitim und aus der Perspektive der Autoren zur Bewältigung der derzeitigen politischen Herausforderungen notwendig“, heißt es.

Zuerst ist das Anliegen ein kritisches, ein abwehrendes. Zugleich wird nicht allein für ein patriotisches, konservatives, rechtskonservatives, sondern für ein „Rechtes Christentum“ plädiert, wobei die Begrifflichkeiten in den Beiträgen wechseln, etwa zwischen Rechtskatholizismus, konservativem Protestantismus, zwischen wertkonservativ, rechtskonservativ et cetera. Eine „viel zu lange vorherrschende linksliberale Interpretation biblischer Aussagen und christlicher Werte“ dürfe kein Monopol beanspruchen. Der Blick müsse auf die Nähe zwischen einer rechten Programmatik und einzelnen christlichen Forderungen gerichtet werden. Bereits in der Einleitung, zu der eine kurze Skizze der einzelnen Beiträge gehört, werden alle wichtigen Themen des Buches angesprochen: „Schutz der klassischen Ehe und Familie, Skepsis gegenüber der Präimplantationsdiagnostik und Kritik der Gender-Ideologie“. Immer wieder angesprochen werden auch „Massenimmigration“, „islamischer Totalitarismus“, „amtskirchliche Selbstsäkularisierung“.

Das Fragezeichen hinter dem Titel des Buches ist insofern entbehrlich, als eine Reihe der Autoren sich einem „Rechten Christentum“ explizit verpflichtet sieht. Die Strategie scheint zu sein, negativ-wertende Begriffe in gesellschaftlichen Diskursen positiv aufzugreifen. Deshalb wird der Populismusbegriff konstruktiv aufgenommen, um die Interessen der „Mehrheit der Bevölkerung“ zu verdeutlichen im gegenüber „zur Herrschaft der Eliten“, zu deren Zielperspektiven „forcierte Einwanderung, Abtretung von Hoheitsbefugnissen an die EU, Gender-Mainstreaming, kostenintensive Umverteilungen im Zuge eines angeblich primär menschengemachten Klimawandels, …“ gehören.

Nationale Grundhaltung

Der umfangreiche Beitrag des katholischen Diplomtheologen Felix Dirsch geht auf das Thema Rechtskatholizismus ein. In historischer Perspektive geschieht dies ausführlich, in gegenwartsbezogener Hinsicht vergleichsweise kurz. Das elf Seiten umfassende Literatur- und Anmerkungsverzeichnis dokumentiert den grundsätzlichen Charakter seines Beitrags. Nach Dirsch stärkt die katholische Soziallehre Ordnungsstrukturen. Er sieht zwischen „der rechten Weltanschauung und wichtigen katholischen Theoremen … Schnittmengen“. Religion, Ordnung und institutionelle Sanktionierung werden in einem engen Zusammenhang gesehen. Daraus folgt sein Engagement für Ehe und Familie als Geschlechterordnung, für den nationalen Rechts- und Sozialstaat, ebenso seine Kritik an der „Masseneinwanderung“ und „zunehmenden Islamisierung“. Dirsch plädiert für eine nationale, „keineswegs nationalistische Grundhaltung“ und gegen die „Selbstdegradierung der Kirche zu einer globalistischen Nichtregierungsorganisation“.

Der Philosoph Harald Seubert lehrt an der evangelikalen Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule (STH) in Basel, die dem protestantischen Bibelfundamentalismus zuzuordnen ist. Er stellt in seinem Beitrag den konservativen Nachkriegsprotestantismus und seine Stellung innerhalb der heutigen evangelischen Landeskirchen dar. Er verzichtet für seine Darlegungen auf eine positive Rezeption des Begriffs „Rechtes Christentum“. Seine Ausführungen sind orientiert an konservativen protestantischen Denkern wie dem Sozialphilosophen Günter Rohrmoser (1927-2008) und unterschiedlichen konservativ geprägten Theologen wie Georg Huntemann, Helmut Thielicke und Walter Künneth, deren Profil und Wirkung keineswegs auf einer Ebene liegen. Relevante Bewegungen des konservativ protestantischen Spektrums werden genannt, ohne sie präzise zu charakterisieren, etwa die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“, die Evangelische Notgemeinschaft in Deutschland, die Konferenz Bekennender Gemeinschaften. Nach Seubert gibt es einen neuen Kirchenkampf, der „eigene theologische Studienwege begründete, … schriftgläubige Fakultäten auf universitärem Niveau, die mittlerweile gänzlich oder teilweise als vollständig den Universitätsfakultäten gleichgestellte Studienorte anerkannt sind.“

Seubert meint, das konservative Element werde im deutschen Protestantismus weithin verdrängt, in manchen evangelikalen und bekenntnisorientierten Milieus werde es gepflegt und bewahrt. Anders als bei anderen Autoren dieses Bandes soll der „Geist der Bewahrung“ allerdings nicht zur Vereinnahmung führen. „Funktionalisierungen des Glaubens in der Neuen Rechten, in „Pegida“ und Teilen der AfD (sei) entgegen(zu)treten, deren Gefahren keineswegs von der Hand zu weisen sind.“ Eine substanzlose Bezugnahme auf ein „christliches Abendland“ wird abgelehnt, ebenso grenzt er sich gegenüber einem „übersteigerten Nationalismus“ ab. Solche Sätze erstaunen. Warum beteiligt sich dieser Autor an einem Sammelband, in dem identitäre Ideen propagiert werden, auf die das zutrifft, was er kritisiert?

Gegen „Multikulturalismus“

Stefan Winckler wünscht sich als Lehrer im schulischen Kontext kritische Auseinandersetzungen mit den Themen Links- und Rechtsextremismus sowie mit dem islamischen Extremismus. Er möchte die AfD nicht als eine rechtsextremistische Partei verstehen und sieht unterschiedliche Richtungen in ihr repräsentiert. Der Beitrag von Matthias Matussek ist ein persönliches Bekenntnis zum katholischen Glauben und in Teilen seinem 2011 erschienenen Buch „Das katholische Abenteuer“ entnommen. Der Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der Bundesvereinigung Christen in der AfD, Volker Münz, sieht eine enge Verbindung zwischen Anliegen der AfD und dem christlichen Menschenbild.

„Viele bekennende Christen gehören zu den Gründern und Mitgliedern der AfD.“ Eine „Ideologie des Multikulturalismus“ wird pointiert abgelehnt. Zugleich wird darauf verwiesen, dass die AfD für eine Politik von „Vernunft und Verantwortung und damit für eine Politik aus dem Geist des Christentums“ stehe. Die Einführung zur Aufsatzsammlung steht in einer gewissen Spannung zu den Ausführungen von Münz. Hier wird hervorgehoben, dass die Alternative für Deutschland „keine spezifisch christliche Partei“ sei.

Der ehemalige sächsische Pfarrer Thomas Wawerka sucht in Anknüpfung an Werner Elert und Dietrich Bonhoeffer eine Ordnungsethik zu entwickeln, die Elemente des Ethnopluralismus aufgreift. Er plädiert für eine Wende von „wertepolitischer hin zu ordnungspolitischer Ethik“, die sich den politischen Kategorien links und rechts zuordnen lässt. Lothar Mack befasst sich mit dem Dritten Reich im Spiegel theologisch politischer Literatur und sucht Anknüpfungen an den Begriff der Nation. Daniel Zöllner thematisiert „Totalitarismen von links und von Seiten des Islam“ in einer nachvollziehbaren Argumentation. Vernachlässigt wird jedoch der Totalitarismus von rechts. Den Konflikt zum Thema Migration versteht Zöllner als Streit zwischen Universalisten und Partikularisten.

Die Beiträge von Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld sind aus einer identitären Perspektive verfasst. Sommerfeld sagt ausdrücklich, dass „Identitäre nicht gläubig sein müssen“. Sie weiß, dass die Identitäre Bewegung in ihrer Rhetorik „vom Kampf des christlichen Abendlandes gegen den Islam zehrt“. Für Identitäre kommt es auf die historischen Großerzählungen an. Der Kampf gegen den Islam ist identitätsstiftend. Die „Gewaltfreiheit“ wird von Seiten der Identitären Bewegung zwar in Anspruch genommen. Sie steht für sie freilich nicht im Widerspruch zu einem wehrhaften Christentum, für das ausdrücklich plädiert wird. Das Fazit nach der Lektüre: Obgleich die AfD ihre Distanz zum Extremismus und auch zur Identitären Bewegung betont, sind auch in dieser Publikation die Grenzen und Übergänge zwischen einem christlichen Konservativismus, Rechtskonservativismus und einem pseudochristlichen neurechten Nationalismus fließend, ebenso wie in anderen rechten Initiativen: Bibliothek des Konservatismus, Junge Freiheit, der Zeitschrift Sezession et cetera.

Mit dem Erstarken der AfD vergrößert sich das Netzwerk neurechter Bewegungen und Initiativen. Die Berufung auf das Christentum führt in rechtskonservativen Milieus kaum dazu, Grenzen zu rechtsextremen Ideologien deutlich zu markieren. Reflexionen über den Begriff des Christentums spielen in den unterschiedlichen Beiträgen keine zentrale Rolle. Vereinzelt wird daran erinnert, wie wichtig Differenzierungen zwischen der politischen und der religiösen Sphäre sind. Ohne sie könnte es religiös-weltanschauliche Vielfalt nicht geben.

Pauschale Kritik

In dem Buch kann man sich über Binnendifferenzierungen des rechtskonservativen Milieus und des „Rechten Christentums“ informieren. Charakteristisch für nahezu alle Beiträge ist eine pauschale Kritik an den Amtskirchen. Deren interne Vielfalt wird dabei nicht zur Kenntnis genommen. Ein flüchtiger Blick in die kirchliche Publizistik hätte bereits ausgereicht, um ein differenzierteres Bild zu gewinnen. Bezeichnend ist auch, wie wenig die Autoren in der Lage sind, die Vielfalt der Medienkultur in Deutschland wahrzunehmen, wie sehr sie an der Polarisierung gesellschaftlicher Debatten interessiert sind. Selbstkritische Stimmen fehlen. Dramatisierung ist ein zentrales Mittel der Rhetorik. Das Buch enthält zahlreiche Beiträge, die von pauschalisierenden Wahrnehmungen und Ressentiments bestimmt sind. Den Herausgebern ist es nicht gelungen, für ihr Projekt Verantwortungsträger aus Kirche und Theologie zu gewinnen. Dokumentiert wird eine zu berücksichtigende Vielfalt im „Rechten Christentum“, die sich keineswegs nur auf konfessionelle Differenzen bezieht.

Für das evangelische Verständnis des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche beziehungsweise Politik und Religion hat die 5. These der Barmer Theologischen Erklärung (bte) eine orientierende Bedeutung. Dabei wird ein Totalanspruch des Staates ebenso abgelehnt wie die Politisierung der Kirche. Die bte erinnert Theologie und Kirche an ihren Auftrag, das Evangelium zu verkündigen und die Geister zu unterscheiden. Heute leben wir in einem Rechtsstaat, der auf der Anerkennung der Menschenrechte beruht und als Staat an keine Religion oder Weltanschauung gebunden ist, der vielmehr unterschiedlichen religiös-weltanschaulichen und politischen Überzeugungen Freiheits- und Gestaltungsräume eröffnet. Identitäre Gesellschaftskonzeptionen, auf die sich extremistische Bewegungen heute beziehen, gehen von der fragwürdigen Utopie einer politischen und ethnischen Homogenität aus und betonen die Bedeutung des Kollektivs vor dem Individuum. Sie sind verbunden mit einem autoritären Verständnis von Gesellschaft, ebenso mit einem „Ethnopluralismus“, dem Glauben daran, dass kulturelle Prägung, Volk und Territorium zusammengehören. Vielfalt und unterschiedliche Kulturen und Lebensformen darf es nur nebeneinander geben, nicht innerhalb eines Raumes. Die Programmatik solcher Utopien verhält sich zum jüdisch-christlichen Gottesglauben ablehnend, schon deshalb, weil dieser in allen Menschen das Ebenbild Gottes sieht und sich auf der politischen Ebene mit der Betonung der Universalität der Menschenrechte verbindet.

Es ist zu bezweifeln, dass dieses Buch zu Versachlichung der Debatte über ein „Rechtes Christentum“ beitragen kann. Schon der Titel wirft viele Fragen auf. Es gibt kaum den Willen zur Abgrenzung gegenüber problematischen rechten Überzeugungen. Die christlichen Kirchen sind gut beraten, Distanz zu Konzepten eines neurechten Christentums zu halten. Die Instrumentalisierung des Christentums zur pauschalen Abgrenzung gegenüber Muslimen widerspricht dem gebotenen Respekt vor der weltanschaulichen Orientierung des Anderen. Zwischen einer identitären Überzeugung und dem christlichen Glauben gibt es keine Brücke. Selbstverständlich müssen sich Staat und Kirche in pluralistischen Gesellschaften mit unterschiedlichen ideologischen Herausforderungen auseinandersetzen. Feindbilder sind kein Spezifikum rechtspopulistischer Milieus. Der politische Kampf gegen die moderne offene und freiheitliche Gesellschaft hat unterschiedliche Gesichter. Er darf - wie immer er sich artikuliert - nicht verharmlost werden. Konflikte dürfen in einer offenen und durch weltanschauliche Vielfalt geprägten Gesellschaft nicht verdrängt werden. Die christlichen Kirchen können und müssen zum Abbau von Feindbildern und Vorurteilen und zum respektvollen Zusammenleben beitragen.

Literatur

Felix Dirsch, Volker Münz, Thomas Wawerka (Hg.): Rechtes Christentum? Der Glaube im Spannungsfeld von nationaler Identität, Populismus und Humanitätsgedanken. Ares-Verlag, Graz 2018, 251 Seiten, Euro 19,90.

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