Unökumenisch

Neue Friedensethik
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Ein friedensethisches Kompendium, das nicht ganz überzeugt.

Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff hat ein Kompendium vorgelegt, an dem künftig niemand, der sich in kirchlichem Kontext zu Fragen der Friedensethik orientieren oder äußern möchte, vorbeikommt. Materialreich, politisch umsichtig, präzise in vielen Details: Ein wahrhaft scholastisches Werk kam da heraus, auch im ruhigen Aufbau.

Für den vom protestantischen friedensethischen Diskurs geprägten Rezensenten war die Lektüre gleichwohl von Enttäuschung nicht frei. Als 2018 in Deutschland erschienenes theologisches Buch gibt sich der Band irritierend unökumenisch - und damit von vornherein eingeschränkt „global“. Friedrich Schleiermacher, Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer - sie haben zur Weltverantwortung des Christen im Horizont von Kirche und Staat, Krieg und Frieden Marken gesetzt und werden ökumenisch beachtet.

Hier kommen sie nicht vor, was nicht allein eine Bildungslücke reißt, sondern potenziell ergiebige Diskurse unterbindet. Martin Luther wird an zwei Stellen erwähnt, davon einmal in einer - aus zeitgenössischer römischer Polemik übernommenen - Verzeichnung seiner Sicht der „Türkengefahr“.

Dass die Marginalisierung protestantischer Voten einer inhaltlichen Grundentscheidung entspringen dürfte, legt die Verdrängung der friedlosen conditio humana zumindest nahe. Die herbe Anthropologie zentraler Bibeltexte sowie eben der evangelischen Rechtfertigungslehre spielt in Eberhard Schockenhoffs Erwägungen zur Friedensfähigkeit des Menschen eine untergeordnete, eigentlich verschwindende Rolle. Sigmund Freuds Überlegungen zum Krieg werden gleichfalls zur Marginalie. Von einer „totalen Korrumpierung der menschlichen Natur durch das Böse“ könne keineswegs gesprochen werden, was „bellizistischen“ Konzepten der Eindämmung des Bösen entgegenzuhalten sei.

Dass Schockenhoff letztlich die responsibility to protect nebst militärischer Gewalt als letztem Mittel bejaht, für Deutschland aktuell sogar höhere Militärausgaben fordert, verdankt sich mehr einsichtigem politischen Zugeständnis als theologisch-ethischer Systematik.

Heikel wird Schockenhoffs Duktus, wo er Manifestationen des Urbösen harmlos einebnet; dies geschieht, wenn Goebbels’ Demagogie in einem Atemzug mit britischen und französischen Parlamentsreden genannt und so die auf der Hand liegende Frage, ob das NS-Regime seine kriegerische Bekämpfung nicht allemal gerechtfertigt habe, ruhiggestellt wird. Dass Moraltheologie zwischen der Propaganda des genozidal-totalitären Staates und der streitbaren Redekunst eines Winston Churchill nicht radikal unterscheidet und dadurch das Wesen des Erstgenannten verfehlt, erscheint als prekärer Kniff, um die anti-„bellizistische“ Linie zu halten. Gerade so entpuppt sich die generelle Friedenstauglichkeit des Menschen aber als bloße petitio principii. Selbst wenn Schockenhoff sich anders positionierte, hätte ein merkliches Sich-Abarbeiten an dem, was Karl Barth unter dem Eindruck des 8. Mai 1945 auf den Punkt gebracht hat - „jenes Verborgene und Beherrschende im Menschen“, das diesen immer wieder zur Gefahr für sich selber, zum „Ungeheuer“ werden lässt -, dem Buch Tiefenschärfe geschenkt. Die Passagen zur friedensstärkenden Bedeutung von Menschenrechten, Demokratie, wirtschaftlicher Kooperation und einer transnationalen Ordnung im Sinne der Vereinten Nationen, zu Drohnen, Cyber War und atomarem Terrorismus - sie überzeugen politisch, wiegen das Manko der theo- und anthropologischen Grundlegung jedoch nicht auf.

Offen ist schließlich, ob der Titel nicht etwas zu heftig Aktualität erheischt: Hätte es „Lehrbuch der katholischen Friedensethik“ nicht getan?

Klaus Beckmann

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