Kreuzweg auf Todesstreifen

Wanderung an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze
Foto: pixelio/Dietmar Meinert

Von dem Berge zu den Hügeln, niederab das Tal entlang“, beginnt Goethes Wandergedicht, undenkbar seinerzeit, dass einmal der Weg von Weimar nach Frankfurt am Main unüberwindbar wäre. Dass nicht nur Hessen und Thüringen, sondern ganz Deutschland von Ost nach West durch den eisernen Vorhang vierzig Jahre getrennt bliebe, jede Wanderung vor dem Schild „Stoi!“, dem russischen „Halt!“ abrupt endete. Um die Erinnerung daran wach zu halten, engagiert sich die länderübergreifene Point Alpha Stiftung in der Rhön vor Ort.

Welche Tragödien spielten sich hier ab? Um das zu erfahren, empfiehlt es sich, die Wanderung am Haus auf der Grenze zu beginnen. Weit sichtbar liegt es auf der Kuppe des Rasdorfer Berges und ist das Informationszentrum der Stiftung. Bis 1991 gab es auf westlicher Seite den US-Beobachtungsposten „Point Alpha“, im Osten waren die Russen stationiert. Brisant die Lage, der Ostblock lugt hier weit in den Westen hinein und im Handumdrehen wären die Truppen des Warschauer Pakts über die Schneise „Fulda Gap“ in den US-Hauptstandorten gewesen, hier wäre der erste neue Kriegsschauplatz entstanden.

Im Haus lässt sich das Szenario in einem militärischen Planspiel interaktiv nachstellen, Zeitzeugen schildern in Videos eindringlich, welchen Einfluss die Teilung und permanente Gefahr auf ihr Leben hatte, direkt betroffen die Gemeinden Geisa und Rasdorf. Aktives Erleben auch bei einem bebilderten Gang auf dem ehemaligen Kolonnenweg, der durch das Gebäude führt. Schließlich hinaus und vor Augen Stacheldraht, ein Hochsicherheitstrakt, Grenztürme, aus denen sich Soldaten Auge in Auge auf beiden Seiten beobachteten.

Ein Weg führt zu den Baracken, in denen die US-Streitkräfte von Point Alpha untergebracht waren. Sind sie gerade erst verschwunden? Nicht nur ihre lebensgroßen Fotos im langen Gang lassen die Soldiers präsent wirken, Feldbetten, Schreibtische, Funkgeräte, technisches und lebensnotwendiges Gerät vermitteln einen Eindruck ihres Alltags. Draußen Jeeps, Panzer, Waffen und Raketen, alles scheint noch jetzt sofort einsatzbereit.

„Denn die Bande sind zerrissen, das Vertrauen ist verletzt“, heißt es bei Goethe weiter, was sich auf diesen Ort übertragen lässt. An zerrissene Beziehungen, Menschen, die die Grenze dramatisch überwinden konnten oder ihr Opfer wurden, erinnern ein Gedenkstein und schlichtes Birkenkreuz.

Ein wenig beklommen gehe ich zurück zum Grenzweg, zum Weg der Hoffnung, der 1?400 Meter bemisst, ein Zehntel der gesamten Grenze. Er ist gesäumt von 14 eisernen Skulpturen, die den Kreuzweg symbolisieren. Der Bildhauer Ulrich Barnickel, 1955 in Weimar geboren und nach mehreren Ausreiseanträgen 1984 in die Bundesrepublik ausgebürgert, brachte seine persönlichen Erfahrungen mit Diktatur und Willkür mit dem Leid Christi in Verbindung und hat sie hier umgesetzt. Seine Skulpturen stehen für Willkür, Unterdrückung, Zwang, Entsetzen, Solidarität, Mit-Leid, Gewalt, Trost, Erniedrigung, Entwürdigung, Mord, Verzweiflung, Opfer und Hoffnung und sind in ihrer Schlichtheit sehr eindringlich.

„Bleibe nicht am Boden heften, frisch gewagt und frisch hinaus!“ Mit Goethes Worten scheinen die Objekte aus der Erde zu wachsen, in die Landschaft überzugehen. Am Ende des Weges ein geöffnetes Tor, das nicht nur einen Rundumblick in die Rhön ermöglicht, sondern Hoffnung gibt und durchatmen lässt im Anblick grenzenloser Weite.

Buchempfehlung

Point Alpha Stiftung (Hg.):

Freiheit und Würde. Reflexionen zum Weg der Hoffnung. Verlag Parzellers, Fulda 2015, 87 Seiten, Euro 19,90.

Weitere Infos

Angelika Hornig

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