Irritierendes Lichtgeflacker

Ein psychologischer Widerspruch: Warum die Seele Gottesbilder braucht
Mark Rothko (1903-1970): "Gelb und Gold", 1956. (Foto: akg/© K. Rothko-Prizel & C. Rothko/VG Bild-Kunst, Bonn 2010)
Mark Rothko (1903-1970): "Gelb und Gold", 1956. (Foto: akg/© K. Rothko-Prizel & C. Rothko/VG Bild-Kunst, Bonn 2010)
Zur Kommunikation und Kontaktpflege benötigt die menschliche Seele innere Bilder vom Gegenüber. Die Erfahrung zahlreicher Gottsucher lehrt hingegen, dass man sich der göttlichen Allmacht nur bildlos annähern kann. Ein Widerspruch.

Bis zur Aufklärung war das Hauptmotiv religiöser Ak­tivitäten die Angst vor der Hölle. Man wollte sich durch gute Werke, Askese, selbst auferlegte Bußübungen, Armut und Verzicht die Seligkeit verdienen. Die religiöse Grundmotivation be­stand in der Furcht vor dem drohenden Strafgericht Gottes und davor, nicht ins Himmelreich zu ge­langen. Zahlreiche Bilder des Mittelalters stellen die Süßigkeit des Paradieses dar als ein Land, wo Milch und Honig fließt. In starkem Kontrast da­zu wurde das abgrundtiefe, kalte und finstere Höllenreich gemalt. Diese Bilderwelt war einprägsam und schuf ein Gottesbild, das in dem Schöpfer einen grausamen und kalten Patriarchen sah.

Angst vor dem strengen Richter-Gott führte häufig zu einer Frömmigkeit, die gewisse Leistungen einforderte. Solche Vorstellungen sind heute nur noch vereinzelt anzutreffen. Nicht mehr die Angst vor einem rächenden Gott treibt die Menschen an, sondern die Suche nach dem perfekten, gelingenden Leben. Erfolg, nicht Umkehr lautet das Motto. Der Schöpfergott, der den Menschen mit vielfältigen Talenten ausgestattet hat, die er eigenverantwortlich einsetzen darf, wird häufig nicht mehr beachtet. Streng funktional wird höchstens danach gefragt, welche positiven Effekte religiöser Glaube mit sich bringen kann. Dass Gott eifersüchtig sein und Interessen und Ansprüche an seine Geschöpfe anmelden könnte, wird nicht für möglich gehalten.

Nachhaltige "Gotteskrise"

Eine nachhaltige "Gotteskrise" (Johann Baptist Metz) hat zu sehr abstrakten und verschwommenen Gottesbildern geführt. Es gehört sich nicht, nach persönlichen, inneren Bildern von Gott zu fragen, weil das höchstens peinlich-betretenes Schweigen hervorruft. Sicher, in glücklichen Kindertagen gab es vielleicht noch ein konkret-kindliches Bild von einem fürsorglichen Vater im Himmel. Das hat sich aber spätestens in der Adoleszenz aufgelöst in einen diffus-kosmischen Nebel.

Genauso, wie in der Identitätsentwicklung unterschiedliche Reifestufen durchlaufen werden, unterliegt auch die Glaubensentwicklung einem Wachstumsprozess. Die Entwicklung der Persönlichkeitsstruktur ist dabei mit den emotionalen Qualitäten der Gottesbilder eng verbunden.

Die wenigen religionspsychologischen Studien zu diesem The­ma weisen darauf hin, dass Charakterreifung und Glaubensentwicklung miteinander verwoben sind, aber sehr unterschiedliche Verläufe annehmen können. Im­merhin scheint klar zu sein, dass Menschen je nach Persönlichkeit und Lebenssituation un­ter­schied­liche Gottesbilder haben und brauchen. Deshalb ist hier hohe Sensibilität und Aufmerksamkeit gefragt, um nicht von eigenen Vorverständnissen her un­zutref­fende Schlüsse zu ziehen.

Vielfältige christliche Lebens- und Glaubensstile und der allgegenwärtige religiöse Pluralismus machen es darüber hinaus schwer, für sich selber ein spezifisches Gottesbild zu kultivieren. Weiterhin erleben sich viele Menschen in unterschiedlichen Verhaltensrollen, die ein einheitliches Identitätserleben schwer machen. Aber religionspsychologisch ist unbestritten, dass ein Gottesbild ein kongruentes Selbsterleben voraussetzt.

Was meint der Begriff "Gott" im 21. Jahrhundert? Wenn sich hinter dieser Chiffre ein personales Gegenüber entdecken lässt, bekommt sie unweigerlich Konturen und ein Gesicht. Was für Bilder tauchen beim Gebet auf? Wer ist der Adressat unserer Wünsche, Sorgen und Sehnsüchte? Die Bibel stellt Gott sehr gegensätzlich vor - sowohl als Richter wie auch als Retter. Das alttestamentliche Gottesbild wird durch das des Neuen Testaments erweitert und ergänzt. Beide Aspekte Gottes sind zutreffend, sie gehören unbedingt zusammen und ergänzen sich. Durch Absolutsetzung eines Aspekts entstehen einseitige, verzerrte Gottesbilder. Beispiele für solche Schieflagen sind der Richter-Gott und der Wohlfühl-Gott.

Wunsch- und Zerrbilder

Das Bild vom Richter zeichnet Gott als unerbittlichen Gesetzeshüter, der unbarmherzig jede Verfehlung bestraft, ohne nach den Motiven und Hintergründen zu fragen. Dieser strenge Tyrann duldet keinen Widerspruch, für ihn gibt es keine verstehende Güte und keine Barmherzigkeit. Das Lebensprinzip, das daraus resultiert, ist Pflichterfüllung und Gehorsam. Beim "Wohlfühl-Gott" wird von der grenzenlosen Liebe Gottes ausgegangen und von daher erwartet, dass Gott der Garant für Erfolg und Wohlbefinden sein muss. Alle Konflikte und Widersprüche des Lebens werden ausgeblendet, die Ungereimtheiten übergangen. Die dunkle Seite Gottes, sein Zorn und sein Schweigen werden dabei ausgeblendet.

Sowohl Wunsch- als auch Zerrbilder verdecken den Zugang zum lebendigen Gott, dessen zum Teil widersprüchliches Handeln die Bibel eindrücklich be­schreibt, und dessen Handschrift bis heute in vielen Le­bensgeschichten sichtbar wird.

Aus psychologischer Sicht ergeben sich im Hinblick auf das Gottesbild drei große Herausforderungen: Zum einen benötigt die Seele zur Kommunikation und Kontaktpflege innere Bilder vom Gegenüber, wenn das Verhältnis nicht technisch und unpersönlich ausfallen soll. Zum anderen verläuft die religiös-spirituelle Entwicklung parallel zum seelischen Wachstum, entfaltet aber bei eigenständiger Dynamik ein eigenes Tempo und Gepräge. Zuletzt hängt das Selbsterleben eng mit dem Gottesbild zusammen. Je uneinheitlicher die eigene Identität wahrgenommen wird, desto verschwommener fällt auch das Gottesbild aus.

Aus der Entwicklungspsychologie ist die Tatsache belegt, dass Menschen im Prozess ihrer Entwicklung ständig innere Bilder produzieren. Gerade für eine Beziehung, die ohne akustische Verbindung und Sichtkontakt auskommen muss, sind (innere) Bilder nötig. Die Seele benötigt eine Vorstellung vom Gegenüber, um daran reifen zu können. Bilder sind nötig, um Vertrauen zu fassen und sich eine Vorstellung vom Gegenüber zu machen.

Gleichzeitig sind Bilder hinderlich, weil sie Augenblicksmomente festschreiben und dadurch Kontrolle suggerieren. Einerseits brauchen wir so eindrückliche Gottesbilder wie die des fürsorglichen Hirten. Andererseits stehen wir in Gefahr, dabei andere Merkmale Gottes aus dem Blick zu verlieren. Die Fremdheit und das Geheimnis Gottes gehen verloren, wenn eine Gotteserfahrung ausschließlich verknüpft ist mit einem bestimmten Gefühlszustand oder einer Notlage.

Rätselhaft und schweigsam

Wenn Gott nach 1.Korinther 15 "alles in allem" ist, kann er sich ganz verschiedenartig äußern - auch als rätselhaft, schweigsam oder dunkel. Jedenfalls anders als unsere Erfahrungen und Erwartungen es bisher gezeigt haben. Kein Mensch kennt aus eigener Erfahrung so eine selbstlose und umfassende Form der Liebe, wie sie nach biblischem Zeugnis Gottes Wesen ausmacht. Selbst Vater- und Mutterliebe werden immer auch durch unbewusste Eigeninteressen gesteuert.

Gottes Wesen übersteigt unseren Erfahrungshorizont und unser Vorstellungsvermögen. Es gehören deshalb besondere Aufmerksamkeit und Entschlossenheit dazu, sich der unsichtbaren Gegenwart Gottes bis auf Reichweite anzunähern und eigene Erfahrungen im Umgang mit dieser Wirklichkeit zu machen.

Wenn man diese psychologische Perspektive auf das biblisch-theologische Verständnis vom Menschen anlegt, werden die Schwierigkeiten mit dem Gottesbild offensichtlich. Nach biblisch-theologischem Verständnis meint "glauben" ja im Kern ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch. Dennoch ist und bleibt Gott auch der ganze Andere, der alle menschlichen Konzepte und Bilder übersteigt. Je mehr man sich auf eine Erfahrung Gottes einlässt, desto weniger helfen Konzepte und Begriffe - "Gott" wird "entbildet". Andererseits benötigt die Seele Bilder, wie wir gesehen haben.

Die Erfahrung zahlreicher Gottsucher lehrt hingegen, dass man sich der göttlichen Allmacht nur bildlos annähern kann. Diesen bleibenden Widerspruch gilt es im Hinblick auf die Psychologie des Gottesbildes auszuhalten. Die Nachfolge Christi beinhaltet nichts Geringeres als die Umgestaltung des inneren Menschen. Christus ähnlicher werden ist im Prinzip ein lebenslanger Prozess, bei dem es darum geht, sich immer wieder von eingefahrenen Denkmustern zu verabschieden und immer wieder neu der unglaublichen Liebe Gottes auszusetzen.

Keine Leistungsfrömmigkeit

Zweifelsohne schaffen Gewohnheiten eine beruhigende Sicherheit. Wer ist mutig genug, Gott nahe an sich heran kommen zu lassen und sich von Gott lieben zu lassen? Welche Haltung haben wir zu Gott - Angst oder Liebe? Bei Gott kommt es vor Allem darauf an, keine Angst vor der Liebe zu haben! Nicht Angst oder Liebe - keine Angst vor der Liebe!

Es geht um eine tiefe Liebesbeziehung anstelle anstrengender Leistungsfrömmigkeit. Langfristig entsteht bei letzerer automatisch die berüchtigte Scheinheiligkeit - letztlich geht es um Flucht vor Gott. Die Liebe hingegen sucht Nähe und freut sich an der Gegenwart Gottes. Gott aus Dankbarkeit zu lieben, dieses religiöse Grundmotiv entdecken viele Menschen erst später in ihrem Leben.

Gottesbilder sind zunächst biografisch und seelisch geprägt. In der aktiven Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes können aber ganz neue Sichtweisen gewonnen werden: Die Bibel und auch die Kirchengeschichte berichtet von zahlreichen Menschen, die im Laufe ihres Lebens ein radikal anderes Gottesbild gewonnen haben. Sehr häufig veränderte sich das Verhältnis zu Gott von einem dogmatischen, gesetzlichen Glauben hin zu einer ganz persönlichen Liebesbeziehung. Teresa von Avila, Martin Luther, Thomas Merton - die Liste kann leicht verlängert werden. Menschen sinnen über Gott und die Bibel nach - und legen sie zunächst nach ihrer Erziehung und Sichtweise aus.

Später kann das eintreten, was der Hebräerbrief so beschreibt: "Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als ein Schwert und unterscheidet Seele und Geist". Seelische Gottesbilder können als Wunschvorstellungen entlarvt werden, sie können als Illusion aufgegeben werden und der je aktuellen Wahrheit Gottes weichen.

Weil Gott unsichtbar ist, brauchen wir Bilder. Die wirklich wichtigen Dinge können sowieso nicht objektiv erfasst und etwa photographiert werden: Schmerz, Leid, Hoffnung, Vertrauen, Trauer, Wut, Liebe oder Angst - all das kann nicht gemessen oder reproduziert werden. Die wirklich wichtigen Dinge des Lebens erschließen sich nur zeichenhaft-symbolisch durch Gesten und Bilder. Allerdings werden wir mehr und mehr von aggressiven Bildern umlagert: Die grelle Bilderwelt von Werbung, Fernsehen, Internet, Handy-Clips zieht uns in ihren Bann, blendet uns und stumpft die Sehnerven ab. Allein mit Hilfe des Heiligen Geistes ist es möglich, Gottes Fingerzeige zwischen dem irritierenden Lichtgeflacker unserer Umgebung wahrzunehmen.

Fingerzeig zwischen Lichtgeflacker

Paulus gebracht im Römerbrief das anschauliche Bild der Wohnung. Wir sind verantwortlich für die Innenraumgestaltung unserer Seele. Wer unser Innerstes bewohnt, dessen Bil­der prägen unsere Seele. Welches Gottesbild bestimmt unsere Seele? Es kann zu einer lebendigen Gottesbegegnung kommen, wenn selbstgemachte und seelisch-biografisch ge­prägte Erwartungen zurückgelassen werden und den Widersprüchlichkeiten des Lebens ins Auge geblickt wird.

Im Kolosserbrief bezeichnet Paulus Jesus als "das Bild des unsichtbaren Gottes". Das Denken und Handeln Jesu, wie es die Evangelien überliefert haben, sind ideale Bilderquellen. Schon seit der frühsten Christenheit wird dazu die biblische Betrachtung verwendet, bei der man sich regelrecht in eine biblische Szene hineinversetzt, sie meditiert und tief in sich aufnimmt. Wie hat Jesus reagiert, als Satan ihn versuchte, wie sprach er mit Nikodemus in der Nacht, wie ging er mit der Prostituierten am Jakobsbrunnen um, wie begegnete er den beiden traurigen Jüngern auf dem Weg nach Emmaus? Wir benötigen einen biblischen Bildervorrat, um der MTV-Bilderflut etwas entgegen setzen zu können.

Michael Utsch ist Theologe und Psychologe bei der Evangelischen Zentralstelle für ­Weltanschauungsfragen.

Michael Utsch

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