Fromm und sozial

Die neuen US-Evangelikalen
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Die amerikanische Soziologin und Journalistin Marcia Pally zeichnet mit dieser Publikation ein Bild der nordamerikanischen evangelikalen Bewegung, das europäische Diskurse korrigieren und gestalten könnte.

Die amerikanische Soziologin und Journalistin Marcia Pally zeichnet mit dieser Publikation ein Bild der nordamerikanischen evangelikalen Bewegung, das europäische Diskurse zum Thema Evangelikalismus und Politik erweitern, korrigieren und realitätsbezogener gestalten könnte. Ihre Hauptthese: Zahlreiche Evangelikale hätten sich von der religiösen Rechten losgesagt und ihr politisches Engagement keineswegs länger auf den Kampf gegen Abtreibung, Pornografie und die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften beschränkt. Auf der Agenda ihrer Aktivitäten stünden auch die Bekämpfung von Armut, der Umweltschutz und das Eintreten für Gerechtigkeit und Frieden.

Der erste Teil des Buches beschreibt die politischen Rahmenbedingungen des demokratischen Rechtsstaates und das Verhältnis des Evangelikalismus zur Trennung von Staat und Kirche wie zum Umgang mit dem religiösen Pluralismus. Im zweiten Teil geht es darum, dass das amerikanische Erweckungschristentum keineswegs nur in Zusammenhang mit Militarismus und politischem Konservativismus zu betrachten ist, sondern in historischer Perspektive für die Entwicklung von Religionsfreiheit, Demokratie und Menschenrechten bedeutsam war.

Veränderungen der evangelikalen Landschaft in den vergangenen Jahren haben dazu geführt, an diese Tradition anzuknüpfen. Politische Orientierungen neuer Evangelikaler unterscheiden sich von dem, was noch vor wenigen Jahren in religionspolitischen Diskursen als charakteristisch und typisch für diese Gruppe galt. Als einschneidendes Datum wird das Jahr 2005 genannt. Der zweite Teil enthält auch zutreffende Beschreibungen evangelikaler Theologie, Frömmigkeit und Ethik, der Schwerpunkt der Ausführungen bleibt freilich politisch ausgerichtet. Das Ergebnis ihrer Darlegungen veranschaulicht die Verfasserin in 22 Interviews und Statements im dritten Teil des Buches. Repräsentanten evangelikaler Initiativen kommen zu Wort, engagierte Laien wie Pastorinnen und Pastoren, ebenso Autoren wie Jim Wallis, dessen Bücher auch in Deutschland seit langem bekannt sind. In den zusammenfassenden Bemerkungen zieht Marcia Pally ein Fazit: Die Gläubigen der New Evangelicals "haben sich von der religiösen Rechten ... getrennt. Ihre Mission reicht über Themen wie Abtreibung und Homosexuellen-Ehe hinaus zu Aktivismus gegen Militarismus, Folter, Konsumismus und Engagement für den Schutz der Umwelt...".

Die amerikanische Wissenschaftlerin ist sich darüber im Klaren, dass die Bezeichnung "New Evangelicals", also "neue Evangelikale", unpräzise bleibt. Denn historisch gesehen wissen sich die neuen Evangelikalen jenen Gruppen des amerikanischen Erweckungschristentums verbunden, für die sich die persönliche Glaubenserfahrung mit einem intensiven sozialen Engagement verband.

Pallys Darlegungen zielen auf eine differenzierte Betrachtungsweise der politischen Aktivitäten Evangelikaler. Intensive religiöse Überzeugungen und eine fromme Lebenspraxis lassen sich nach Pally auch als Gewinn für eine freiheitliche Demokratie darstellen und müssen nicht als Bedrohung gewertet werden.

Ob die Fallstudie zur evangelikalen Bewegung in den Vereinigten Staaten religionspolitisch verallgemeinerungsfähig und generell auf das Verhältnis von Religion und Politik übertragbar ist, wie ihre Überlegungen im Fazit nahelegen, muss weiter diskutiert werden.

Allerdings kommen Unterscheidungen zwischen unterschiedlichen Ausprägungen des amerikanischen Evangelikalismus in ihren Darlegungen zu kurz. Sie könnten ihren Überlegungen weitere Plausibilität verleihen. Das Buch ist insgesamt gut zu lesen, in formaler Hinsicht jedoch manchmal verbesserungsbedürftig. Ein ausführliches Literaturverzeichnis und Anmerkungen geben dem Leser wichtige Hinweise.

Marcia Pally: Die neuen Evangelikalen in den USA. Berlin University Press, Berlin 2010, 353 Seiten, Euro 29,90.

Reinhard Hempelmann

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