Einladung zum Dinner

Die Auserwählten wollen um die Elite werben
Die Evangelische Kirche in Deutschland sucht den Kontakt zur Elite. Das ist mutig und notwendig, wie auch die jüngste Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise gezeigt hat. Und dennoch sorgt das offene Werben der Kirche um die Mächtigen für Unbehagen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland sucht den Kontakt zur Elite. Das scheint ein Widerspruch in sich zu sein, denn im protestantischen Verständnis sind ja bereits alle Getauften "electi", also von Gott Auserwählte und in diesem Sinne Teil einer Elite. Und das gerade und ausdrücklich ganz ohne etwas zu leisten. Gottes Liebe gilt allen, das ist der radikal egalitäre Charakter des Evangeliums.

Doch den Autoren des jetzt vorgestellten Papiers, in dem ausdrücklich auf diesen Hintergrund hingewiesen wird, geht es um etwas anderes. Sie verweisen auf die gesellschaftliche Realität und das dort herrschende Leistungsprinzip. Niemand will zurück in eine Welt, in der allein die familiäre Abstammung darüber entscheidet, welchen Platz ein Mensch in der Gesellschaft findet. Doch auch in einer demokratischen Gesellschaft, in der die sozialen Grenzen durchlässig sind, gibt es Menschen, die mehr Verantwortung tragen als andere und die durch ihre Position in Politik, Wirtschaft und Kultur überdurchschnittliche Gestaltungsmöglichkeiten besitzen.

Die Hand reichen

Wenn die Kirche nun diejenigen gezielt anzusprechen sucht, die ihre Verantwortung aus einer protestantischen Haltung heraus übernehmen, ist das einerseits mutig. Denn auch innerkirchlich ist eine unreflektierte Ablehnung gegenüber "denen da oben" weit verbreitet - und es wird öfter mit dem moralischen Zeigefinger auf sie gedeutet, als ihnen zum Gespräch begrüßend die Hand gereicht.

Andererseits ist ein solcher Schritt auch notwendig. Die jüngste Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise ist auch auf mangelnde ethische Reflexion der Entscheider über ihr Tun zurückzuführen, die eben nicht im normativ luftleeren Raum agieren, die sich allzu häufig eher den Gesetzen des Marktes oder der Macht unterwerfen als ethischen Werten.

Hier kann die Kirche ein Gegengewicht schaffen. Eine wirkmächtige Position ersetzt ja keineswegs den Bedarf an Seelsorge, sie schafft diesen möglicherweise in besonderem Maße. Und weil die Kirche von der Kompetenz der Verantwortungsträger profitieren und mehr Einfluss an entscheidenden Stellen gewinnen kann, dürfte eine Öffnung der oft abgeschotteten Milieugrenzen gewinnbringend für alle sein.

Unbehagen

Und dennoch sorgt das offene Werben der Kirche um die Mächtigen für Unbehagen. Trägt nicht zum Beispiel eine Krankenschwester auf der Intensivstation eines evangelischen Hospitals mindestens genauso viel Verantwortung wie der Gesundheitsminister? Und werden in evangelischen Kitas und Schulen nicht Biographien von Kindern und Jugendlichen geprägt, und wird damit dort nicht in äußerstem Maße wirkmächtig gearbeitet?

Wer wird also zum Dinner am Tisch des Bischofs eingeladen? Elite will unter sich bleiben - ist das nur ein abgestandenes Vorurteil? Es zu entkräf- ten - auch das ist eine Aufgabe der Kirche: Der Elite wieder jene näher zu bringen, die in unserer Gesellschaft die stille Arbeit tun, auf die wir angewiesen sind. Eine Begegnung von Elite und Erzieherinnen oder Krankenschwestern - um nur zwei Beispiele zu nennen - beim Bischof könnte für alle Seiten inspirierend sein.

Stephan Kosch

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