Die Vuvuzelas sind verstummt

Südafrika - von der Rainbow-Nation in die Krise
Blick auf das Township Khayelitsha nahe dem südafrikanischen Kapstadt. Etwa drei Millionen Menschen leben hier. Foto: dpa/Ralf Hirschberger
Blick auf das Township Khayelitsha nahe dem südafrikanischen Kapstadt. Etwa drei Millionen Menschen leben hier. Foto: dpa/Ralf Hirschberger
In Südafrika stehen am 18. Mai Kommunalwahlen an: Die Arbeitslosenzahlen sind hoch, das Bildungssystem steckt in einer Krise, die Unzufriedenheit steigt. Und das, obwohl die Regierung sich Anfang des Jahres vorgenommen hat, mit einem neuen Wachstumsplan bis zum Jahr 2020 fünf Millionen neue Jobs zu schaffen, wie die Journalistin Renate Wilke-Launer berichtet.

Im November vergangenen Jahres wandte sich die Nelson Mandela Foundation mit einer Bitte an die Öffentlichkeit: Man möge keine weiteren Anfragen für Interviews, Fototermine, Unterstützung, Vermittlung, Präsenz an den 92-Jährigen richten. Der südafrikanische Politiker Mandela hatte sich schon 2004 offiziell aus dem öffentlichen Leben verabschiedet, doch die Stiftung erhielt fünf Jahre danach immer noch 4000 Gesuche im Monat.

Auch Desmond Tutu, südafrikanischer Erzbischof und Friedensnobelpreisträger, wie Nelson Mandela für viele Menschen Quelle der Inspiration und Orientierung sowie "Patron" unzähliger Initiativen und Institutionen, verabschiedete sich im Oktober 2010 weitgehend ins Privatleben: Er wolle weniger Zeit auf Flughäfen verbringen und mit seiner Frau Leah Rooibostee trinken, hatte er im Juli gesagt und seinen 79. Geburtstag zum Rückzugstermin erklärt.

Unpolitischer Patroitismus

Bei der Fußball-Weltmeisterschaft im vergangenen Sommer konnte man noch einmal den Geist der "Rainbow Nation" erleben, von der Desmond Tutu einst nach Nelson Mandelas Amtseinführung als Präsident gesprochen hatte. Während des World Cup sei ein Patriotismus spürbar gewesen, der, erstmals in der Geschichte Südafrikas, keine politische Ansage gewesen sei, sondern einem Gefühl der Freude und Zugehörigkeit Ausdruck verliehen habe, schrieb der Journalist Mark Gevisser. Er sang - zu seiner eigenen Überraschung - zum ersten Mal die ganze Nationalhymne mit, die aus dem alten Kirchenlied "Nkosi Sikelel’ iAfrica" und aus "Die Stem" aus der Apartheid-Zeit besteht. Früher hatte er sich nicht überwinden können, in die Burenhymne einzustimmen, aber nun hörte er seine weißen Landsleute "Nkosi Sikelel’ iAfrica" artikulieren und die schwarzen Mitbürger "Die Stem" schmettern.

"Ach, und wo stehen wir jetzt schon wieder?" Der emeritierte Erzbischof musste gar nicht weitersprechen, weil alle geladenen Gäste des Institute of Justice and Reconciliation in Kapstadt genau wussten, worauf er anspielte. Denn wenige Wochen nach dem World Cup war die Stimmung in Südafrika schon wieder im Keller. Die täglichen Enthüllungen über Korruption und Misswirtschaft, dazu der dreiwöchige Streik im Öffentlichen Dienst und schließlich die geplanten neuen Presse- und Sicherheitsgesetze - von Aufbruchstimmung und Ausgelassenheit keine Spur mehr.

Absurde Diskussionen

Kaum waren die Vuvuzelas verstummt, war auch wieder die alte Kakophonie des Streits innerhalb der "Dreiparteienallianz" zu hören. Zu ihr gehören die Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC), die Kommunistische Partei (SACP) und der Gewerkschaftsdachverband (COSATU). Die drei sind sich keineswegs einig, weder in der Bewertung der gegenwärtigen Politik noch im Blick auf die zukünftige Richtung. So kommt es zu absurden Debatten, bei denen sich Vertreter der Kommunistischen Partei gegen die Nationalisierung der Minen aussprechen, während der Chef der ANC-Jugendliga sie vehement fordert und dabei auch die Partikularinteressen schwarzer Minenbesitzer vertritt.

"Wir sind eine Nation von Kopfschüttlern geworden", hat die Schriftstellerin Antjie Krog über die Reaktionen nach der täglichen Zeitungslektüre gesagt: Kopfschütteln über eine marode Mine, die nun einem Enkel von Nelson Mandela und einem Neffen von Präsident Zuma gehört. Während Khulubuse Zuma über einen stattlichen Fuhrpark ansehnlicher Karossen verfügt, müssen die Arbeiter von Lebensmittelspenden der Gewerkschaft leben. Die Bürgerinnen und Bürger reiben sich die Augen, wenn sie lesen, dass der Diebstahl der öffentlich Bediensteten um 400 Prozent zugenommen hat. Oder dass die Chefin des Büros zum Schutz der öffentlichen Anliegen erklärt, dass Milliarden Rand durch Korruption bei Ausschreibungen oder gar nicht erst ausgeschriebene Vorhaben verloren gehen. Sie starren ungläubig auf Fotos aus einem Club, bei dem neureichen ANC-Anhängern Sushis vom Körper einer spärlich bekleideten weißen Frau serviert werden. Und wenn sie Bilder sehen, wie bei Protesten sogar die gerade erst erbauten Bibliotheken angezündet werden, dann schütteln sie missbilligend den Kopf und ahnen dabei, wie groß der Frust im Township sein muss.

Manisch-depressives Wechselbad

Eine Gruppe der schwarzen Bevölkerung ist desillusioniert, weil sie nicht bekommt, was sie erhofft hat, und was ihr versprochen wurde. Gelegentlich kann man sogar hören, dass es früher "besser" gewesen sei. Das ist keineswegs Apartheids-Nostalgie, sondern die Erinnerung daran, dass die Kriminalität niedriger, die Gesundheitsversorgung und das Schulwesen mancherorts besser waren. Die übrigen Bevölkerungsgruppen - die Minderheiten der Weißen, der Inder und der Coloureds (von den Ureinwohnern, den ehemaligen malayischen Sklaven und Europärern abstammende Minderheit) - haben zunehmend das Gefühl, dass nicht wirklich eine Regenbogennation geschmiedet wird, sondern die neue Machtelite sich auf Dauer komfortabel einrichtet und mit der Entsendung ihrer "Kader" in die Machtpositionen aller Ebenen alles und jedes bestimmen will.

Der Journalist Gevisser hat seinen Landsleuten eine Neigung zum manisch-depressiven Wechselbad bescheinigt. Nicht nur im Gefühlshaushalt der Nation, auch in den Statistiken lässt sich vieles finden, was man feiern kann oder fürchten muss. Die Optimisten verweisen darauf, dass die nunmehr fast siebzehn Jahre amtierende ANC-Regierung Beachtliches geleistet hat: Sie hat drei Millionen subventionierte Häuschen bauen lassen, sie hat Leitungen für Strom und Wasser gelegt, sie investiert vergleichsweise viel in das Bildungs- und Gesundheitswesen. Vor allem aber beziehen heute 14 der 50 Millionen Südafrikaner staatliche Transferleistungen, in erster Linie Kindergeld. 1999 waren es erst 2,5 Millionen. Moeletsi Mbeki, der Bruder des früheren Präsidenten, nennt Südafrika "den größten Sozialstaat der Dritten Welt".

Dass es möglich ist, so viel Geld für Sozialleistungen auszugeben, verdankt die Regierung der hervorragend arbeitenden Steuerbehörde. Doch auf Dauer ist es kaum finanzierbar, so viele Menschen zu unterstützen. Die Skeptiker verweisen auf die beunruhigenden wirtschaftlichen Grunddaten. Zwar hat Südafrika seit dem Ende der Apartheid ein stetiges Wirtschaftswachstum zu verzeichnen, aber es ist zu gering, um die Arbeitslosigkeit zu verringern. Dazu müsste es nach Angaben von Finanzminister Pravin Gordhan mindestens 6 Prozent betragen - aber alle Prognosen für die kommenden Jahre liegen darunter.

Viele ohne Schulabschluss

Die Arbeitslosigkeit beträgt nach der engen Definition der Regierung 25,3 Prozent; zählt man die "Entmutigten" hinzu, sind es 33,1 Prozent, die wirkliche Rate aber wird inzwischen auch auf über 40 Prozent geschätzt. Die Regierung hat sich Anfang 2011 mit einem neuen Wachstumsplan vorgenommen, bis zum Jahr 2020 fünf Millionen "anständige" neue Jobs zu schaffen. Um ein so ehrgeiziges Ziel zu erreichen, müsste zunächst einmal der Staatsapparat besser funktionieren. Und schon jetzt gibt es einen gravierenden Fachkräftemangel - so schwerwiegend, dass die Regierung sogar im Ausland qualifiziertes Personal anzuwerben versucht. Viele Arbeitslose sind zudem, das wird inzwischen offen ausgesprochen, kaum "beschäftigbar".

Obwohl die Regierung mit mehr als 5 Prozent des Bruttosozialprodukts viel für Bildung ausgibt, ist die Qualität vieler Einrichtungen, vor allen Dingen die der Öffentlichen Schulen, miserabel. Der Bildungsexperte Graeme Boch hat das Schulwesen als "nationales Desaster" bezeichnet. Die Hälfte der Kinder verlässt die Schule vor dem Abschlussexamen. Und obwohl dort weniger als 50 Prozent der Aufgaben richtig gelöst werden müssen, ist der Anteil derjenigen, die bestehen, sechs Jahre lang gefallen. 2010 stieg sie zum ersten Mal wieder: auf 67,8 Prozent. Besonders schlecht sind die Ergebnisse in Mathematik und den Naturwissenschaften. Bei internationalen Vergleichstests lag Südafrika ganz hinten - noch hinter anderen afrikanischen Ländern.

Eine der Ursachen für diese Misere sind schlecht qualifizierte, oft wenig motivierte Lehrer und unzureichend ausgestattete Schulen. Gleichzeitig ist mit der Gewerkschaft "South African Democratic Teachers’ Union" eine starke Interessenvertretung erwachsen, die immer wieder zu Streiks aufruft und bisher Qualitätskontrollen und Disziplinarmaßnahmen weitgehend verhindern konnte. Das nehmen ihr die Eltern übel, die mit dem Schulbesuch der Kinder sehr große Hoffnungen verbinden. Wer irgend kann, schickt seine Kinder auf Privatschulen, an denen es sehr gute Pädagogen gibt.

Tickende Zeitbombe

Immerhin nehmen aber weit mehr junge Schwarze ein Studium auf - oft sind es die Kinder der Hausangestellten, die hier zum Aufstieg in die Mittelschicht Anlauf nehmen. Die Zahl der schwarzen Absolventen an öffentlichen Universitäten ist seit 1991 um 335 Prozent gestiegen und liegt jetzt über denen der weißen. Doch auch sie finden nicht immer schnell Arbeit, weil ihre Ausbildung nicht dem Arbeitsmarkt entspricht.

So ist die Jugendarbeitslosigkeit eines der gravierendsten Probleme Südafrikas - vom Minister für höhere Bildung, Blade Nzimande, als "tickende Zeitbombe" bezeichnet. 2,5 Millionen junge Menschen zwischen achtzehn und 24 Jahren stehen weder in einem Ausbildungs- noch in einem Arbeitsverhältnis. Die meisten haben die Schule vorzeitig verlassen. Bei jungen schwarzen Frauen zwischen fünfzehn und 24 Jahren ist die Arbeitslosigkeit am höchsten: 63 Prozent haben keinen Job. Und sie haben auch schlechte Aussichten, einen verlässlichen Partner zu finden und ihre Kinder mit ihm gemeinsam zu erziehen.

Toxische Männlichkeit

Obwohl Südafrika in Verfassung und Gesetzgebung vorbildliche Regelungen zur Gleichstellung sowie zum Schutz von Frauen hat und 43 Prozent der Abgeordneten weiblich sind, leidet das Land, leiden vor allem die Frauen unter einer "toxischen Männlichkeit": Männer beharren auf Unterordnung, greifen zu Gewalt, um sie durchzusetzen und sich "Respekt" zu verschaffen. Mehr als ein Viertel aller männlichen Erwachsenen hat schon einmal eine Frau vergewaltigt, schlossen die Wissenschaftler des "Medical Research Council" nach einer repräsentativen Befragung. Umgekehrt nehmen viele Männer ihre Verantwortung als Väter kaum wahr: Nur in 28,6 Prozent der schwarzen Familien leben die Kinder mit beiden Eltern zusammen. Bei den Coloureds sind es etwas mehr als die Hälfte, bei den anderen Minderheiten um die drei Viertel.

Südafrika ist eine vielfach gespaltene Nation: Trotz der umfangreichen Investitionen in grundlegende Versorgung, der beschleunigten Quotenpolitik zugunsten schwarzer Bewerberinnen und Bewerber im Staatsdienst und der forcierten Beteiligung von Schwarzen an Wirtschaftsunternehmen (Black Economic Empowerment, BEE) hat das Land die am stärksten von Ungleichheit geprägte Gesellschaft der Welt. Der Gini-Koeffizient, das Maß für die Ungleichheit, hat sich in den vergangenen Jahren sogar noch verschlechtert, nur innerhalb der Minderheit der Weißen nahm die Ungleichheit leicht ab. Den Weißen geht es wirtschaftlich nicht schlecht, noch immer ist ihr Pro-Kopf-Einkommen fast achtmal so hoch wie das der Schwarzen. Aber es gibt eine wachsende Gruppe armer Weißer. Die schwarze Bevölkerung hat sich ebenfalls ausdifferenziert: in eine große arme Mehrheit, eine wachsende und sehr konsumorientierte Mittelschicht und eine kleine Gruppe von Menschen, die politisch gut vernetzt und innerhalb ganz kurzer Zeit zu Millionären und Milliardären geworden sind.

Trotz dieser Einkommensunterschiede und der wachsenden Unzufriedenheit: Niemand zweifelt daran, dass der ANC bei den am 18. Mai 2011 anstehenden Kommunalwahlen insgesamt wieder eine satte Mehrheit gewinnen wird. Zu sehr wird das Wahlverhalten von den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit und der ethnischen Zugehörigkeit bestimmt. Für die meisten schwarzen Südafrikaner steht der ANC für die Befreiung von der Apartheid und den Teilhabeanspruch im demokratischen Südafrika.

"Bling Bling"

Die Ende 2008 von unzufriedenen ANC-Mitgliedern gegründete Partei "Congress of the People (COPE)" hat zwar bei den Wahlen 2009 einen guten Start gehabt und 7,42 Prozent erreicht, seither aber durch böse, teilweise groteske Führungsstreitigkeiten ihre Attraktivität weitgehend eingebüsst. Die "Democratic Alliance (DA)" hat bei den Parlamentswahlen 2009 16,6 Prozent erreicht und leistet dem Land als energische "offizielle Opposition" einen wichtigen Dienst. Sehr zum Verdruss des ANC regiert sie recht erfolgreich die Provinz "Western Cape". Doch sie wird bisher überwiegend von Weißen und Coloureds gewählt und hat - trotz beachtlicher Nachwahlerfolgen auf lokaler Ebene - immer noch Mühe, schwarze Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Dass allein "Leistung" zählen soll, kommt nicht gut an in einem Land, in dem Millionen Menschen per Gesetz ausgeschlossen und im Alltag diskriminiert wurden.

Das so anspruchsvoll und mit Sympathie aus aller Welt gestartete "neue" Südafrika steckt ganz offensichtlich in einer gesellschaftlichen Krise. Darin zeigt sich zum einen das strukturelle Erbe der Apartheidpolitik, darin zeigt sich aber auch, dass die zur Korrektur ergriffenen Maßnahmen recht zwiespältig sind. Zwar ist der Öffentliche Dienst jetzt "demographisch repräsentativer", aber die Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger haben sich nicht verbessert, sondern an vielen Stellen weiter verschlechtert. Das "Black Economic Empowerment", welches durch Quoten die wirtschaftliche Teilhabe der Schwarzen vergrößern sollte, im Wert von mehr als 500 Milliarden Rand (rund 52 Milliarden Euro) hat eine kleine Gruppe sehr reicher Tycoons geschaffen. Dazu kommt die Gruppe der Ausschreibungsgewinnler ("tenderpreneurs"), die von der Vergabe von Staatsaufträgen nach Hautfarbe profitieren. Und schließlich ist mit den differenzierten Verfahren zur Auftragsvergabe nach politischen Vorgaben ein ungeheurer bürokratischer Aufwand entstanden.

Bei der Veränderung der durch die Apartheid geschaffenen strukturellen Ungleichheit sollte es um Gerechtigkeit gehen, doch heute geht es vor allem ums Geld: "bling bling" wird der Konsum- und Statussymbol-orientierte Lebensstil in Südafrika genannt. Die BEE-Tycoone und viele Politiker leben es vor.

Vom hehren Anspruch der einstigen Befreiungsbewegung ANC ist nicht mehr viel übrig. In seinem jüngsten Bericht zur Lage der Partei schrieb der Generalsekretär Gwede Mantashe, der ANC sei zu einer Beschäftigungsagentur verkommen, der Leute beitreten würden, um reich zu werden. Zwelinzima Vavi, der Generalsekretär von cosatu, ging im August 2010 sogar so weit, angesichts der Selbstbereicherung eines Teils des ANC-Personals und der dafür geschaffenen Strukturen von einem "Raubtierstaat" zu sprechen, "in dem eine machtvolle, korrupte und demagogische Elite von politischen Hyänen vermehrt den Staat nutzte, um sich zu bereichern".

Schlendrian und Inkompetenz

Dass die Medien immer wieder Inkompetenz, Schlendrian und Pfründenwirtschaft aufdecken und die Regierungspolitik scharf kommentieren, ist insbesondere dem ANC ein Dorn im Auge, an der Basis ebenso wie an der Parteispitze. Der Vorschlag, ein "Medientribunal" zu schaffen, hat nicht nur Journalisten und Verleger alarmiert. Mit einem "Gesetz zum Schutz der Information" soll die Regierung außerdem Informationen, die bisher öffentlich zugänglich waren, als "geheim" einstufen können. Wer sie dennoch veröffentlicht, kann dann mit bis zu 25 Jahren Gefängnis bestraft werden.

Noch sind die beiden Vorhaben in der parlamentarischen Beratung - doch das bloße Ansinnen hat so viele Befürchtungen geweckt, dass es die "Zivilgesellschaft" auf den Plan gerufen hat. Der Mangel an Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung ist einer der Gründe dafür, dass das Land in den Demokratie-Ranglisten keine richtig guten Noten erhält. Der Economist stuft Südafrika als mängelbehaftete Demokratie ein, und auch der zweite "African Governance Report" der UN-Wirtschaftskommission für Afrika sieht das Land nicht "in der Pole-Position", wie zwei Experten des "South African Institute of International Affairs" kritisch anmerken.

Die Einstellungen der Ermittlungen zum Rüstungsbeschaffungsskandal, die Auflösung der Polizeieliteeinheit "Scorpions", die Entsendung von Parteikadern in Parlamente und hohe Ämter, die gravierenden Personalprobleme an der Spitze der großen parastaatlichen Institutionen und die Dysfunktionalität vieler Kommunen - alle diese Entscheidungen und Entwicklungen haben Befürchtungen verstärkt, dass die ehemalige Befreiungsregierung vor allem an der Zementierung ihrer Macht interessiert ist und sich für den einzig legitimen Repräsentanten des "Volkes" hält.

Visionen fehlen

Anders als sein autokratischer Vorgänger Thabo Mbeki gesteht der derzeitige Präsident Jacob Zuma ein, dass nicht alles zum Besten stehe. Er hat es durch geschicktes Agieren und Lavieren verstanden, die verschiedenen Flügel der Allianz bei der Stange zu halten und Julius Malema, den Flegel an der Spitze der ANC-Jugendliga, endlich in die Schranken zu weisen. Eine Vision für das Land aber hat er nicht erkennen lassen, was insbesondere den linken Flügel erzürnt, der ihm zur Macht verholfen hat und nun erkennen muss, dass der Präsident und seine Vertrauten aus KwaZulu Natal, die an den Schaltstellen der für die Sicherheit verantwortlichen Ministerien sitzen, ein eher autoritär-konservatives Gesellschaftsverständnis haben.

Nelson Mandela, der eigentlich nie Präsident werden wollte, sich aber von der Partei in die Pflicht nehmen ließ, hat sich mit Kritik an seinen Nachfolgern zurückgehalten. Bereits 1998 notierte er, dass einstige Revolutionäre häufig der Gier verfielen und der Drang, öffentliche Gelder zur persönlichen Bereicherung abzuzweigen, am Ende den Sieg davon trage. Desmond Tutu, der so wunderbar zu loben versteht, hat Fehlentwicklungen und Versäumnisse immer wieder scharf kritisiert. 2008 drohte er sogar einmal damit, nicht zur Wahl zu gehen und bat: "Bitte lasst uns, die Alten, nicht mit gebrochenem Herzen in unsere Gräber gehen." Dass die beiden wunderbaren Alten an gebrochenem Herzen sterben, ist nur schwer vorstellbar, dass sie sich Sorgen machen um ihr Land, das seine Freiheit erst jüngst so schwer erkämpft hat, sehr wohl.

Renate Wilke-Launer

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