Liturgische Not

Ökumenische Reflexionen
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Hannes Benedetto Pircher ist ein Verfechter eines leibhaftigen Diskurses, auch auf dem Papier. Die Dialoge in seinem neuen Buch zeugen davon.

Wie könnte man besser schreiben über das Drama der Liturgie, als in der Form eines Rollenskriptes? In der Erzabtei St. Peter in Salzburg befragt ein gewisser Theologiestudent Pompermeyer in siebzehn aufgezeichneten Gesprächen den betagten Abt Hilarius von Lérins zum Theater der Liturgie. Tee und Wodka fließen, es wird geraucht und genascht, wie man den kursiven Regieanweisungen entnehmen kann. Und immer wieder tönt das Lachen des Abtes durch die Gewölbe. Wer Hilarius, den Heiteren, beim Lesen lachen hört, ahnt die Fiktion, die hinter diesen Personen steckt, allerdings so geschickt in Veröffentlichungslisten und dem Lebenslauf des Abtes verborgen, dass Wirklichkeit und Fiktion der Liturgie-, Ritual- und Theater-Gelehrten zu oszillieren beginnen.

Der Autor - ehemaliger Jesuit, Schauspieler, Schauspiellehrer und Grabredner - Hannes Benedetto Pircher aus Wien, macht in seinem Vorwort kein Geheimnis aus der vergnüglichen Fiktion. Ihm ist schlicht an der Situativität, Interessen- und Biographiegebundenheit aller wissenschaftlichen Rede, nicht nur über das Theater, des Ritus gelegen. Er ist Verfechter eines leibhaftigen Diskurses, auch auf dem Papier.

Dabei ist "Das Theater des Ritus" keineswegs ein literarisches Werk, wie man vermuten könnte. Im Gegenteil: Pircher beschäftigt sich mit großer Sorgfalt und für den Bereich des Dramas Liturgie nie da gewesener interdisziplinärer Gründlichkeit und Ausdauer mit der Frage, wie eine ars liturgica zu Wege kommt, die nach der vom Autor so genannten "liturgischen Not" eine Chance haben könnte. Immer wieder, nicht nur im Umfeld des Zweiten Vatikanums kam und komme es zu Erosionsprozessen innerhalb der liturgischen Praxis, die die Liturgiewissenschaft - ganz gleich, ob katholisch oder evangelisch - und deren liturgische Bildung durch Deute- und Inszenierungskunststücke auszugleichen versuche.

Hinüberschielen zur Orthodoxie

Die "liturgische Not" sei wie der Verlust der Unschuld eines rituellen Tuns angesichts des Heiligen, der durch vermeintlich subjektive "Authentizität" im "Subtext" des Liturgen ausgeglichen werden solle. Eine Sackgasse, so Pircher. Kein Zufall, dass der Autor als Alternative immer wieder einmal zur Liturgie der Orthodoxen hinüberschielt, in der die reine, ungebrochene Gegenwart der Handelnden scheinbar überlebt hat.

In der Westkirche bemüht man sich indes um den theoretischen und praktischen Austausch mit Performance, Theater, Film. Pircher durchleuchtet das ganze Kabinett in der Theologie angelesener Drama-Allegorien von Peter Brook bis Lee Strasberg, aber auch verschiedener zeitgenössischer Theologien der Liturgie, meist vom "braven Schüler" Pompermeyer referiert. Abt Hilarius seziert zum Beispiel die Liturgie-Entwürfe der Katholiken Josef Kardinal Ratzinger, Romano Guardini, und der Protestanten Michael Meyer-Blanck und Karl-Heinrich Bieritz mit der latenten Überheblichkeit eines mit allen theoretischen Wassern gewaschenen, alten und lebenssatten Praktikers.

Mit Mary Douglas plädieren Pircher, Hilarius und der gelehrige Schüler für eine Sozialanthropologie der Liturgie, die vor aller theologischen Zuschreibung der Liturgiewissenschaft die schlichte Erscheinung des Ritus, einer Interaktion zwischen Menschen und Göttern, als Arbeitsgrundlage hernimmt. Liturgie emergiert, entsteht im Handeln der Beteiligten und der Betrachtenden und nicht in den theologischen Entwürfen der Professorinnen und Professoren. "Epiphanizität" wird zum Grundprinzip des rituellen Theaters Gottesdienst.

Essenzen nicht leicht zu greifen

Der exemplarische "Kultor", den Hilarius und Pompermeyer immer wieder bemühen, müsse dafür vor allem wegen der Verkörperung folgen, die sowohl im Konkreten, Physischen als auch im Imaginären ansetzen. Es ist erhellend und neu, dass Pircher die ignatianischen Exerzitien mit der Schauspieltechnik Konstantin Stanislawskis so in Beziehung setzt, dass weitgehende Übereinstimmungen sichtbar werden: die physische Handlung ebenso wie die gesteigerte sinnliche Aufmerksamkeit.

Es entspricht der peripatetischen Bewegung von erörternden Gesprächen, dass ihre Essenzen nicht leicht zu greifen sind. Daran ändert auch das wiederholte "erstens, zweitens, drittens" des Abtes wenig. Immerhin stößt der Leser, je weiter er in der Lektüre fortschreitet, auf gute und prägnante Zusammenfassungen bereits geführter Dialoge.

Pirchers Enthaltung in diesen Fragen aus guten, auch theologischen Gründen, ist Respekt zu zollen. Sie gibt dem göttlichen Geheimnis der Liturgie bei aller liturgischen Dramentechnik den sachgemäßen Raum. Für die interdisziplinäre, auch ökumenische Reflexion liturgischer Praxis mit Dramentheo- rien und schauspieltechnischen Mitteln ist Das Theater des Ritus grundlegend, sehr lehrreich und noch dazu unterhaltsam.

Hannes Benedetto Pircher: Das Theater des Ritus. Edition Splitter, Wien 2010. 1124 Seiten, Euro 59,-.

Marcus A. Friedrich

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