Wie de Gaulle?

Der neue Erzbischof von Canterbury
Die Einstellung zu Homosexuellen spaltet die Anglikanische Weltgemeinschaft, deren Ehrenoberhaupt der Erzbischof von Canterbury ist.

In vielem ist Justin Welby, der am 21. März als Erzbischof von Canterbury eingesetzt wird, einzigartig. Anders als seine Vorgänger bringt er kaum Erfahrung im Bischofsamt mit. Nur ein knappes Jahr leitete er die Diözese Durham. Bevor er sich mit 33 Jahren entschloss, Pfarrer zu werden, war er Manager in der Ölindustrie. Und zum ersten Mal seit 1768 wird mit ihm ein Zögling des Eliteinternats Eton geistliches Oberhaupt der Kirche von England.

Welbys Familiengeschichte ist auch mit Deutschland verknüpft. Die Vorfahren seines Vaters waren deutsche Juden, die während der Antisemitismuswelle in den Gründerjahren nach England auswanderten. Und ein Großonkel mütterlicherseits war Chef des "Schlachters", des berüchtigten Luftwaffengenerals Arthur Harris, der deutsche Städte von Lübeck (1942) bis Dresden (1945) systematisch bombardieren ließ.

Justin Welby wiederum war Domherr der von Hitlers Luftwaffe zerstörten Kathedrale von Coventry und Kodirektor des dortigen Versöhnungszentrums. Ja, Menschen für sich einzunehmen und miteinander zu versöhnen, scheint eine von Welbys Stärken zu sein. Darin waren sich nach seiner Berufung Kirchenleute und Journalisten einig. Der linksliberale Guardian titelte: "Ein pragmatischer Geistlicher für unruhige Zeiten". Und die liberalkonservative Times machte mit der Überschrift auf: "Ein neuer Erzbischof, um Öl auf die aufgewühlte See zu gießen."

Umgang mit Homosexualität

Die Kirche von England hat immer unterschiedliche theologische und kirchenpolitische Richtungen umfasst, sie versteht sich als comprehensive church. Lange Zeit standen sich die liturgisch traditionelle High Church und die bibelzentrierte Low Church gegenüber. Heute nennen sie sich anglokatholisch und evangelikal. Und es gibt Untergruppen. Liberale Anglokatholiken treten für die Ordination von Frauen und Schwulen ein, konservative Anglokatholiken und Evangelikale bekämpfen diese dagegen heftig.

Traditionell folgt einem anglokatholischen Erzbischof von Canterbury ein evangelikaler. Das ist auch dieses Mal der Fall. Rowan Williams ist ein liberaler Anglokatholik, der vor den Traditionalisten allerdings immer wieder einknickte. Justin Welby ist ein gemäßigter Evangelikaler. Er befürwortet Bischöfinnen. Und möglicherweise wird der 56-Jährige der erste Erzbischof von Canterbury sein, der eine Frau ins Bischofsamt einführen kann. Die von der konservativ-liberalen Koalition geplante Öffnung der Ehe für Homosexuelle lehnen Welby und die anderen Bischöfe ab. Aber dafür akzeptieren sie zähneknirschend die seit acht Jahren bestehende Eingetragene Lebenspartnerschaft für Lesben und Schwule.

Die Einstellung zu Homosexuellen spaltet die Anglikanische Weltgemeinschaft, deren Ehrenoberhaupt der Erzbischof von Canterbury ist. So berufen US-Anglikaner Schwule und Lesben ins Pfarr- und Bischofsamt, während Nigerias Anglikaner das vehement ablehnen, ja für die Strafbarkeit von Homosexualität plädieren.

Als Rowan Williams Erzbischof von Canterbury wurde, war er bei den Traditionalisten als liberal abgeschrieben. Bei seinem evangelikalen Nachfolger könnte dagegen ein Effekt eintreten, der in der Politik immer wieder zu beobachten war. So konnte nur ein Konservativer wie Charles de Gaulle Algerien in die Unabhängigkeit entlassen. Eine linke Regierung, die das gewagt hätte, wäre dagegen weggeputscht worden.

Jürgen Wandel

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