Reich, mächtig, karitativ

Die orthodoxe Kirche spielt in Griechenland eine zwiespältige Rolle
Ministerpräsident Lucas Papademos legt seinen Amtseid vor dem Erzbischof von Athen ab. Foto: dpa/Sophia Petrova
Ministerpräsident Lucas Papademos legt seinen Amtseid vor dem Erzbischof von Athen ab. Foto: dpa/Sophia Petrova
Wie agiert die vom Staat privilegierte griechisch-orthodoxe Kirche in der Wirtschaftskrise? Dieser Frage geht der Athener Korrespondent der Deutschen Welle Jannis Papadimitriou nach.

Während der Regierungskrise meldeten sich auch die hohen kirchlichen Würdenträger Griechenlands überraschend zu Wort. Das Oberhaupt der orthodoxen Kirche, Erzbischof Hieronymus II., redete allen Politikern ins Gewissen und verlangte von ihnen sogar schriftlich, "ihrer historischen Verantwortung der Bevölkerung gegenüber" gerecht zu werden. Dabei gilt Hieronymus, im Unterschied zu seinem redegewandten Vorgänger Christodoulos, als demütiger Kirchenmann, der Fernsehkameras meidet, kaum ins öffentliche Leben eingreift und keine politischen Ambitionen hegt.

Auch der Metropolit von Thessaloniki, Anthimos, ging mit einer dramatischen Warnung an die Öffentlichkeit: Die Politiker müssten sich endlich auf die Gabe der Einheit besinnen, denn ein Ausstieg Griechenlands aus der EU wäre "der politische Tod des Landes". Das klingt erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Anthimos zuvor vor allem als Scharfmacher aufgefallen war und sich immer wieder durch Verbalattacken gegen linke Politiker, Einwanderer und Homosexuelle hervortat.

Mahlzeiten für Notleidende

Die dramatischen Appelle orthodoxer Würdenträger machen deutlich: Der Kirche ist der Ernst der wirtschaftlichen Lage bewusst. Und sie ist auch bereit, den Bürgern in der Wirtschaftskrise beizustehen. Wie diese Hilfe konkret aussehen könnte, erläuterte Erzbischof Hieronymus II. schon im Mai vor zwei Jahren nach einem Treffen mit Ministerpräsident Giorgos Papandreou. Man sei bereit, Mahlzeiten und Kleidung an Notleidende zu verteilen, sowie Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, seelsorgerlich beizustehen, versprach der orthodoxe Primas. Forderungen nach einer höheren Besteuerung des Kirchenvermögens erteilte er allerdings zum wiederholten Mal eine deutliche Absage.

Nach eigenen Angaben zahlt die orthodoxe Kirche zwar über zwei Millionen Euro Grundstücks- und Einkommenssteuer, ansonsten ist sie aber von Steuern und Abgaben befreit. Dafür unterhalte sie allerdings achthundert soziale Einrichtungen, die rund um die Uhr Bedürftige versorgen würden, berichten orthodoxe Würdenträger. 2010 habe die Kirche mehr als hundert Millionen Euro für gemeinnützige Zwecke ausgegeben. Wie die Erzdiözese verlautbart, verteilen karitative Einrichtungen der orthodoxen Kirche in Athen pro Tag über zehntausend Mahlzeiten.

Größter Grundbesitzer

So begrüßenswert das ist, aber viele Griechen hätten etwas mehr erwartet. Schließlich gilt die orthodoxe Kirche als der größte Grundbesitzer Griechenlands. Nach Schätzungen von Experten besitzt sie über hundertdreißigtausend Hektar Wald und Ackerland. Dazu kommen Immobilien in bester Lage in allen griechischen Großstädten. Zudem genießt die Kirche teilweise Steuerfreiheit, erhält seit 2001 EU-Subventionen in Milliardenhöhe und wird darüber hinaus vom griechischen Staat alimentiert. Allein die Besoldung der orthodoxen Geistlichen kostet den griechischen Steuerzahler 212 Millionen Euro im Jahr.

Fragen nach den Vermögensverhältnissen beantwortet Erzbischof Hieronymus gerne mit dem Hinweis, der Reichtum der Kirche sei ein Mythos. "Kommt und zeigt uns doch, wo dieses Geld ist, lasst uns mal alles gemeinsam nachrechnen", erklärte er im März 2010 in einem seiner seltenen Interviews.

Dem wird man nicht so ohne weiteres widersprechen können, da ein genauer Einblick in die Vermögenslage der orthodoxen Kirche fast unmöglich erscheint. Nicht zuletzt auch deswegen, weil es in Griechenland immer noch kein flächendeckendes Kataster gibt und die Eigentumsverhältnisse auf dem Land oft unklar oder heftig umstritten sind. Klöster begründen ihre Eigentumsansprüche immer wieder mit Besitztiteln, die auf byzantinische Kaiser oder osmanische Sultane zurückgehen sollen. Auf Grund dieser Rechtsunsicherheit sehen sich Kirchenmänner und Politiker immer wieder Skandalvorwürfen ausgesetzt.

Unübersichtliche Machtstrukturen

2008 kam es sogar zu einer heftigen Regierungskrise wegen umstrittener Immobiliendeals, die die Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Kostas Karamanlis mit einer Klostergemeinschaft auf dem Heiligen Berg Athos getätigt hatte. Obwohl die Beweislage unklar war, mussten damals Staatsminister und Regierungssprecher Theodoros Roussopoulos und Handelsmarineminister Giorgos Voulgarakis ihren Hut nehmen. Und dem Vorstand der Mönchsgemeinschaft drohen noch juristische Konsequenzen. Die Skandalvorwürfe trugen entscheidend zur Schwächung der Regierung Karamanlis bei, die schon ein Jahr später angesichts der eskalierenden Schuldenkrise das Handtuch werfen und vorzeitige Neuwahlen ankündigen musste.

Damals schätzte die renommierte Athener Tageszeitung Kathimerini das Gesamtvermögen der griechisch-orthodoxen Kirche auf siebenhundert Millionen Euro und deren Nettogewinn auf sieben Millionen pro Jahr. Allein die Vermietung von Immobilien würden rund zwanzig Millionen einbringen. Nach Ansicht des ehemaligen liberal-konservativen Wirtschaftsministers Stefanos Manos liegt das Kirchenvermögen allerdings bei über einer Milliarde, wobei zahlreiche Ländereien oder Besitztümer autonomer Diözesen und Klöster darin gar nicht mitgerechnet sind. Neben den Mieteinnahmen hat die orthodoxe Kirche weitere Einkünfte unbekannter Höhe aus Kollekten, Spenden, Immobilienschenkungen und dem Verkauf religiöser Devotionalien.

Die Unklarheit über die Besitzverhältnisse ist vermutlich auch auf eine gewisse Unübersichtlichkeit der Machtstrukturen in der Kirche zurückzuführen. Anders als die römisch-katholische Kirche kennt die orthodoxe nämlich keinen übermächtigen Repräsentanten mit Durchgriffsrechten. Selbst das Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, agiert als "Primus inter pares", als "Erster unter Gleichen", der keine rechtlich bindenden Anweisungen geben, sondern in den gleichberechtigten orthodoxen Nationalkirchen nur durch seine persönliche Autorität etwas ändern und einführen kann. Einzelne Landeskirchen und Klostergemeinschaften haben zudem eine kirchenrechtliche Selbständigkeit ("Autokephalie") erlangt und stehen nach ihrem Selbstverständnis keiner Kontrollinstanz Rede und Antwort. Überhaupt werden die Entscheidungen der orthodoxen Kirche von Gremien getroffen, in denen Geistliche und Laien auf lokaler Ebene gleichermaßen vertreten sind - zumindest auf dem Papier. Der basisdemokratische Anspruch hat auch zur Folge, dass Vermögensfragen oft auf der Ebene der Diözese geregelt werden. So stellt jeder der insgesamt achtzig Metropoliten Griechenlands einen eigenen Haushalt auf und nutzt dabei einen großen Ermessensspielraum.

Kirchenvermögen unangetastet

Schon lange vor der Schuldenkrise plädierten sozialdemokratische und linke Politiker in Griechenland für eine Trennung von Kirche und Staat, die auch eine Konfiszierung kirchlicher Güter zur Folge hätte. Heute ist der orthodoxe Glaube nach der Verfassung die "vorherrschende Religion". Das Wort "Staatsreligion" wird allerdings bewusst vermieden. Am weitesten preschte 1987 der Sozialist Andreas Papandreou vor. Er wollte mit einem Schlag alle Ländereien der Kirche verstaatlichen und an die Agrargenossenschaften des Landes, seine Stammwähler, verteilen. Der Beschluss der Regierung löste bei der orthodoxen Kirche und zahlreichen Politikern aller Couleur, die ihr wohlgesinnt sind, stürmische Reaktionen aus. Er musste eilig zurückgenommen werden. Angeblich hatte die Kirche sogar mit dem Gang vor den Europäischen Gerichtshof gedroht. Und das wollte die Regierung wegen anderer außenpolitischer Probleme vermeiden.

Nach einem Treffen mit Erzbischof Hieronymus II. im vergangenen Juli erklärte der sozialistische Finanzminister Evangelos Venizelos, die Besoldung orthodoxer Geistlicher sei eine "Vertragsverpflichtung des Staates", die selbstverständlich auch in Krisenzeiten gelte. Und er lobte den Beitrag der Kirche "zur Bewahrung der nationalen Einheit und der sozialen Kohäsion" im Land. Wichtiger noch: Griechenlands oberster Kassenwart versprach ausdrücklich, die Athener Privatisierungsbehörde, die bis 2015 Staatseigentum im Wert von bis zu fünfzig Milliarden Euro zu verkaufen hofft, werde kein Kirchenvermögen auf ihre Verkaufsliste setzen.

Kompromiss im Steuerstreit

Wenig später erfuhren die Steuerzahler, dass die orthodoxe Kirche von der neuen, verfassungsrechtlich umstrittenen Immobiliensteuer ausgenommen wird. Doch das stieß auch bei vielen Kirchenmitgliedern auf Unmut. Daraufhin kam es zu einem Kompromiss, der alle zufrieden stellen soll: Kirchengebäude, Klöster und Einrichtungen, die dem Gottesdienst oder anderen religiösen Zwecken gewidmet sind, werden nicht zur Kasse gebeten. Dafür muss die Kirche zusätzlich Steuern für Gebäude und Güter zahlen, die sie wirtschaftlich nutzt.

Damit ist die Frage der Kirchenbesteuerung allerdings nicht ganz vom Tisch. Der linke Oppositionsabgeordnete Grigoris Psarianos meint: Die griechisch-orthodoxe Kirche sollte als Religionsgemeinschaft eine Kirchensteuer nach deutschem Vorbild einführen und dadurch ihre Aufgaben aus eigener Kraft finanzieren. Doch niemand will im Ernst auf diesen Vorschlag eingehen.

Jannis Papadimitriou

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