Große Überfahrt

Expedition mit „Baboon Moon“
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Eine einsame Trompete, Stegklänge von der Gitarre, die Drums tropfen erst nur, dann wird es drängender, laut und die Elemente verdichten sich. Ein mystischer Marsch!

Ist es Fackelschein oder jene lichtquellenlose Helligkeit, die Träume ausleuchtet, klar und doch verwischt? Gleich der erste der neun Tracks auf Nils Petter Molværs neuem Album Baboon Moon zeigt, wohin die Reise geht. Denn "Mercury Heart" beginnt so quecksilbrig wie es heißt: heiser, ätherisch sehnsuchtsvoll, dann wieder schillernd deutlich - Molværs Trompete, Ausnahmegitarrist Stian Westerhus, zunächst verhalten tröpfelnd, auch Drummer Erland Dahlen mit reduzierter Geste. Darunter oder dahinter Effektgerätesounds, am deutlichsten ein Brummbass wie von tiefen Dudelsackpfeiffen. Eintritt in ein Land, das auch in "Realm" noch traumhaft wabert.

Was mehr in dem Album und vor allem Molværs neuer Band steckt, enthüllt "Recoil": Metallblockscheppern und Dröhnen der Gitarre, gequetschte Trompete, treibende Drums mit Vorliebe für dunkle Felle. Synthiesounds wehen darüber, es schwillt an, knarzt, reibt und die Trompete kreischt. Es folgt eine Beruhigung von Rhythmus, Intensität und Klängen, doch die Trommeln treiben. Das Ritual beginnt: Lodern, Schimmern, Reflektieren auf nachtschwarzer Woge. Traum, oder doch Höhle im Fackelschein? "Bloodline" folgt balladenhaft still, introvertiert. Wahrnehmungen, die an Molværs epochale Platte "Khmer" erinnern (1997), als sein lange zwischen Jazz und Rock erprobtes, Miles Davis-inspiriertes Spiel auf Elektrobeats traf und mit Sampler, Sequenzer und digitalen Effekten Klangneuland eroberte.

Baboon Moon hievt dies nun auf ein neues Niveau: Ob Westerhus die Gitarre mit dem Bogen streicht oder wüst-präzise peinigt, Farben oder Flächen, zuvor Ungehörtes oder Strukturen schafft, er kommuniziert stets mit den andern und der Idee, der Vision, die sie suchen. Dahlen hat neben Raffinesse und perkussivem Händchen jene seltene lässige Indie-Band-Trommler-Inbrunst, die Schamanen die Bäume hoch treibt.

Kurzum, der Glücksfall der richtigen Leute am richtigen Ort. Höhepunkt ist der Schluss- und Titelsong "Baboon Moon", "Pavian-Mond". Und wo Tierfilm-Gucker zunächst nur "Affenarsch" assoziieren, tun sich schon wegen der meditativen Cover- und Sleeve-Fotografien eines Pavians - auch ohne, dass man sie kennt - andere Welten auf. Denn im alten Ägypten war der Pavian eine Tiergestalt von Thot, dem Gott des Mondes, der Magie, Wissenschaft, Schreibkunst, Weisheit, des Kalenders und nicht zuletzt des Protokolls für die Jenseitsüberfahrt. So ist auch "Baboon Moon": gültig. Eine einsame Trompete, Stegklänge von der Gitarre, die Drums tropfen erst nur, dann wird es drängender, laut und die Elemente verdichten sich. Ein mystischer Marsch! Grandios. Live aufgeführt klingt das Album viel härter, hat aber denselben Zauber. Nur sitzen wir dann zu Videoanimationen zwischen Mogwai und Pink Floyd am heißen Hanfstein im Skythenzelt.

Nils Petter Molvær - Baboon Moon. Sula Records/Sony Music 2011.

Udo Feist

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