Zusatzgewinn

Hilfe für Patchworkfamilien
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Schon wieder ein Ratgeber von Jesper Juul. Aber kein schlechter. Denn, dass die alten Begriffe der "Stiefmutter" oder des "Stiefvaters" heute nicht mehr geeignet sind, ein positives Selbstverständnis aufzubauen, ist wohl richtig.

Der dänische Familientherapeut Jesper Juul, bekannt durch Erziehungsratgeber, Vorträge sowie Videos für Eltern, hat ein weiteres Buch vorgelegt. Inzwischen weckt ja schon die Vielzahl solcher Ratgeber den Verdacht, dass sie entweder das wirtschaftliche Wohl der Verfasser stärken oder eine bestimmte Botschaft verkünden sollen, während sie den Adressaten am Ende doch nur wenig weiterhelfen. Auch der Titel verspricht so viel, dass ich eine umso weniger vielversprechende Lektüre erwartete.

Ich gebe es aber gerne zu: Meine Befürchtungen haben sich nicht bestätigt. Es ist wohltuend, dass Familientherapeut Juul keineswegs Lösungen für alle Probleme versprechen will. Nüchtern wendet er sich an Menschen, die als Erwachsene neu in eine Familienkonstellation eintreten. Wie können sich Erwachsene und Kinder dann fruchtbar aufeinander einstellen? Was können sie tun, damit aus einer prinzipiell schwierigen Situation eine gewinnbringende Beziehung werden kann?

Zu einer Beziehung oder einer neuen Ehe entschlossen haben sich zwei Erwachsene. Dass dann auch Kinder mit im Spiel sind, ist vielfach zunächst nicht im Blick. Angesichts der offenbar weiter zunehmenden Zahl von Patchwork-Familien, in denen Kinder und Eltern aus verschiedenen familiären Situationen zusammenkommen und die biologische und die soziale Elternschaft nicht mehr ohne weiteres in eins fallen, werden solche Fragen immer dringlicher. Jesper Juul ist gewiss Recht zu geben, wenn er darauf hinweist, dass die alten Begriffe der "Stiefmutter" oder des "Stiefvaters" heute nicht mehr geeignet sind, ein positives Selbstverständnis aufzubauen oder als Ausgangspunkte für Beziehungen zu Kindern zu dienen. Deshalb spricht er von einem "Bonus" - von einem Zusatzgewinn also, den Erwachsene und Kinder aus der Patchwork-Situation ziehen können. Anstatt die neuen Kinder oder Eltern als Last zu erfahren, wird dann der Blick frei für die Privilegien, die aus der engen Beziehung erwachsen können, für Bonus-Eltern ebenso wie für Bonus-Kinder.

Keine fertigen Rezepte

Gut gefallen hat mir, dass Juul es fast durchweg vermeidet, fertige Rezepte anzubieten. Stattdessen bespricht er Situationen, wie sie in solchen Familien auftreten, und denkt gleichsam gemeinsam mit den Lesern über die darin enthaltenen Probleme nach. Auf diese Weise - und dies entspricht dem familientherapeutischen Ansatz dieses Autors - werden die Erwachsenen selbst befähigt, nach Lösungen zu suchen.

Gefehlt hat mir in diesem empfehlenswerten Buch trotzdem Dreierlei: Gerne hätte ich noch etwas mehr über die psychologischen Hintergründe erfahren, von denen der Autor ausgeht. Hier unterschätzt Juul wohl doch die Leserschaft oder lässt sich nicht so gern in die Karten schauen. Sodann fand ich es schade, dass dieser Autor, der ja auch Religionspädagogik studiert hat, über Fragen der religiösen Erziehung gar nichts zu sagen weiß.

Patchwork-Familien bedeuten oft auch Herausforderungen in dieser Hinsicht - wenn sich in der Familie verschiedene Konfessionen oder sogar Religionen begegnen und schwierige Fragen zu entscheiden sind. Schließlich denkt Jesper Juul ganz von einer auf sich selbst reduzierten Kleinfamilie aus, eben mit Eltern und Kindern, aber ohne Großeltern oder Verwandte. Doch Patchwork-Familien bieten auch in dieser Hinsicht völlig neue Herausforderungen und vielleicht auch einen weiteren "Bonus".

Jesper Juul: Aus Stiefeltern werden Bonuseltern. Kösel-Verlag, München 2011, 128 Seiten, Euro 15, 99.

Friedrich Schweitzer

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Foto: Jörg Winter

Friedrich Schweitzer

Friedrich Schweitzer ist Professor für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Universität Tübingen.


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