Irgendwann nichts

Der Schnitter als Lehrmeister
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Es gehört zu Domians Qualitäten, dass er sich traut, die großen Fragen des Lebens und Sterbens so authentisch wie möglich zu beantworten und Stellung zu beziehen.Das gilt auch für das Thema Sterbehilfe.

Jürgen Domian ist ein begnadeter Fragensteller. Zugewandt und einfühlsam und wenn nötig auch konfrontierend und schonungslos spricht er seit 1995 Nacht für Nacht mit Zuhörern und Zuschauern seiner Sendung. Die besteht aus nichts anderem als aus gerade diesen Anrufen und den Gesprächen, die sich daraus entwickeln. Bei mehr als 18.000 Anrufern hat Domian seit Beginn der Sendung zugehört, mitgefühlt, mitgedacht und vor allem immer wieder nachgefragt. Doch bei einem seiner Gesprächspartner reicht das alles nicht aus. Hier muss Domian selbst die Antworten verfassen. Denn schließlich ist es der Tod, den sich der Nachtfalke als Gesprächspartner vor sein inneres Ohr geholt hat. Und der verrichtet sein Handwerk bekanntermaßen schweigend und ohne jegliche Erklärung.

Es gehört wohl ein gehöriges Maß an Selbstbewusstsein dazu, dem Tod Antworten auf die immer wieder bohrenden Fragen des Lebens und Sterbens in den Mund zu legen. Gibt es eine Seele? Lebt sie nach dem Tod weiter? Hat Sterben einen Sinn? Dass das fiktive Gespräch über weite Strecken funktioniert und zum Nach-Denken anregt, liegt gewiss daran, dass Jürgen Domian selbst viel über den Tod nachgedacht hat. "Im Grunde ist der Tod das Thema meines Lebens", stellt der Autor bereits auf der ersten Seite fest und berichtet davon, wie er bereits als 13jähriger Hauptschüler mit den Fragen rang, die der Tod an uns stellt. Und wie er in allen Phasen seines Lebens, als leidenschaftlicher Christ, als ebenso leidenschaftlicher Atheist, als Forschender in der Philosophie und als Tastender in der Mystik immer wieder nach Antworten auf diese Fragen suchte. Die lesenswerten biographischen Schilderungen dieser einzelnen Lebensphasen, durch die ja so oder ähnlich nicht nur Domian ging, unterbrechen immer wieder das tiefschürfende aber niemals unverständliche Interview, bringen neue Aspekte ein, werfen Fragen auf, die an den Tod weitergereicht werden.

Und dieser ziert sich zunächst, die entscheidenden Fragen zu beantworten. Er verweist auf die Beschränktheit des menschlichen Denkens, seine Egozentrik und Ungeduld, die der Erkenntnis der "absoluten Wirklichkeit" immer wieder im Wege stehe. Aber immerhin, so viel lässt sich Domians Tod entlocken, es gibt diese absolute Wirklichkeit, die das ist, worauf auch der menschliche Gottesbegriff zielt, die aber nichts anderes sei, als das absolute Nichts, das Wertvollste und Reinste, der Urgrund, der in jedem Menschen zu finden sei und mit dem er nach dem Tod wieder verschmilzt - allerdings um den Preis des eigenen Ichs. "Begreife Dich als Welle in einem unendlichen Meer. Die Identität der Welle ist gleichgültig. Es geht nur um die Identität des Meeres. Du bist Teil des Meeres. Du bist das Meer."

Wer an dieser Stelle an Nirwana und Zen denkt, liegt richtig, denn aus den östlichen Traditionen speist sich die Weltsicht Domians. Dieser mag man folgen oder nicht, es gehört aber zur Qualität des Autors, dass er sich traut, die großen Fragen so authentisch wie möglich zu beantworten und Stellung zu beziehen.

Dass dies auch für das aktuell diskutierte Thema Sterbehilfe gilt, liegt auf der Hand. An einer Stelle lässt Domian den Tod die aktive Sterbehilfe den "größten Liebesbeweis, den es gibt" nennen. Der Autor befürwortet in dem Buch eindeutig eine aktive Sterbehilfe und kritisiert vehement das Nein der Kirchen dazu. Auch diese Position muss man nicht teilen. Sich mit Domian auseinanderzusetzen hilft aber in jedem Falle dabei, sich den großen Fragen des Lebens und Sterbens zu stellen.

Jürgen Domian: Interview mit dem Tod. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2012, 176 Seiten, Euro 16,99.

Stephan Kosch

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