Der Glaube der anderen

Begegnungen mit anderen Religionen sind spannend
Auch für die andere ist ihr Glaube das, auf das sie im Leben und Sterben vertraut. Und zwar ihr Glaube in dieser ganz spezifischen religiösen Gestalt.

In unserer globalisierten Welt stellt sich die Frage nach der Wahrheit der eigenen Religion neu. Während frühere Gesellschaften religiös mehr oder weniger homogen waren, führt unsere Zeit die Vielfalt der Religionen beständig vor Augen, nicht nur in den Medien, die ferne Weltgegenden ins heimische Wohnzimmer bringen, sondern auch in unserer eigenen Gesellschaft, in der verschiedene Religionen praktiziert werden. Welche Religion ist wahr: die eigene, alle, keine?

Die "Theologie der Religionen" hat verschiedene Modelle entwickelt, die sich diesem Phänomen auf theoretischer Ebene annähern. Klassisch sind die drei Modelle Exklusivismus, Pluralismus und Inklusivismus. Der Exklusivismus geht von der These aus, dass maximal eine Religion wahr sein kann, weil die verschiedenen Wahrheitsansprüche einander ausschließen. Wahrheit in anderen Religionen kennt er nicht, nur die eigene Überzeugung ist richtig.

Der Pluralismus setzt mit der Annahme ein, dass sich alle Religionen auf eine gemeinsame objektive Wirklichkeit beziehen. Diese wird durch die Religionen aber nur annäherungsweise erfasst. Religionen sind kulturell je anders geprägte menschliche Reaktionen auf göttliche Selbsterschließung. Während die eine diese Selbsterschließung als "Gott Israels" deute, begreife die andere sie als Shiva, Allah oder trinitarischen Gott. Die göttliche Wirklichkeit liege aber jenseits dessen.

Der Inklusivismus arbeitet mit der Überzeugung, in der eigenen Religion sei die Wahrheit in unüberbietbarer Weise zu finden, es sei aber möglich, auch in anderen Religionen eine gewisse Wahrheit zu finden. Was in den anderen Religionen wahr ist, wird dabei von der eigenen Wahrheit her beurteilt.

Diesen Modellen ist gemeinsam, dass sie auf Religionen blicken, als seien diese intellektuelle Konzepte zur Erfassung der Wirklichkeit und als könne man über Religionen urteilen, ohne die Menschen in den Blick zu nehmen, die diesen Religionen anhängen. Neuere religionstheologische Modelle sind denn auch deutlich differenzierter. Sie tragen der Existenzialität religiöser Erkenntnis Rechnung, die der bemerkt, der genauer hinsieht.

Wer angesichts von Unvertrautem, vielleicht Fremdem nicht zurückschreckt und sich Menschen anderer Religionen in konkreten Begegnungen öffnet, der erlebt nicht selten Folgendes: Jenseits der Frage danach, welche Religion denn nun die wahre sei, die eigene oder die des anderen, wird man eines Menschen gewahr, der von dem Gott, wie er ihn in seiner Religion kennengelernt hat, in der gleichen Weise begeistert ist wie man selbst von dem Gott in der eigenen. So wie man für sich selbst spürt, dass der eigene Glaube das ist, worauf man sich im Leben und Sterben verlässt, so spürt man das auch für die andere. Auch für die andere ist ihr Glaube das, auf das sie im Leben und Sterben vertraut. Und zwar ihr Glaube in dieser ganz spezifischen religiösen Gestalt. Dies wahrzunehmen ist die Grundlage für eine respektvolle Begegnung zwischen Menschen verschiedener Religionen.

Die angesichts einer solchen Offenheit manchmal geäußerte Sorge, mit dieser Sicht werde Wahrheit subjektiviert, ist unbegründet. Wahrheit wird so vielmehr als eine den Menschen verpflichtende ernstgenommen.

Christiane Tietz

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Meinung"