Vorbild und Fundament

Nicht nur das Matthäusevangelium weist dem Apostel Petrus eine besondere Rolle zu
Bischöfe beten unter der Bronzestatue des Apostels Petrus im Petersdom, deren rechter Fuß von den Berührungen der Besucher blank gescheuert ist. Foto: dpa/ABACAPRESS.com
Bischöfe beten unter der Bronzestatue des Apostels Petrus im Petersdom, deren rechter Fuß von den Berührungen der Besucher blank gescheuert ist. Foto: dpa/ABACAPRESS.com
Da auch Paulus den Vorrang des Petrus anerkannt hat, sollten Protestanten die beiden nicht gegeneinander ausspielen, meint Roland Deines, Professor an der Universität im mittelenglischen Nottingham. Der evangelische Neutestamentler lehnt aber auch die römisch-katholische Gleichsetzung von Petrus und Papst ab.

Der Katholische Erwachsenenenkatechismus beschreibt als Aufgabe des Petrusamtes, "die Wahrheit und die Einheit der Kirche in konkreter Weise zum Ausdruck" zu bringen. Und in den Medien erscheint der Papst als der am stärksten wahrgenommene Repräsentant der christlichen Religion. Und das hat zur Folge, dass andere Kirchenvertreterinnen und -vertreter, man mag es mögen oder nicht, in seinem Schatten wahrgenommen werden.

Interessanterweise wiederholt sich damit, was sich im Neuen Testament findet. Da erhalten die anderen Apostel, und später die verantwortlichen Leiter in den Gemeinden, ihre Autorität und ihr Gewicht von Petrus als dem besonders ausgezeichneten Apostel. Das zeigt schon die doppelte Bezeugung des Binde- und Lösewortes im Matthäusevangelium. An der ersten Stelle, in Kapitel 16, ist es Petrus allein zugesagt. Ihm verheißt Jesus, dass er die Schlüssel erhält, um auf Erden zu binden und zu lösen, was auch im Himmel noch gelten soll. Dass der Fels, auf den die Kirche gebaut werden soll, nicht Petrus ist, sondern - wie nicht nur protestantische Exegese scharfsinnig zu erklären versuchte - das von ihm ausgesprochene Bekenntnis zu Jesus als dem Messias und Gottessohn, ist zwar theoretisch möglich, aber kaum das ursprünglich Gemeinte. Zu deutlich ist das Wortspiel Petrus-petra (Fels). Und unvoreingenommene Leser werden im Fels (petra) nichts anderes als den Felsenmann sehen. Auch die weit verbreitete (protestantische) Annahme, in Petrus den "typischen Jünger" zu sehen, wird dem Text nicht gerecht. Petrus ist in seiner Berufung mit allen Höhen und Tiefen eine Ausnahme und eben darum besonders.

Fehlbarer Felsenmann

Das zeigt auch der Fortgang der Episode: Auf die einzigartige Auszeichnung des Petrus folgt innerhalb des Matthäusevangeliums sofort eine heilsame Ernüchterung. Als Jesus von seinem bevorstehenden Leiden spricht, will Petrus davon nichts wissen. Und daraufhin fährt ihn Jesus in außergewöhnlichen Schärfe als "Satan" an. Der, dem eben noch zugesagt wurde, dass Gott selbst ihm das Geheimnis der Person Jesu erschlossen hat, wird nun zum Versucher, der nicht das Anliegen Gottes bedenkt, sondern sich dem allzu Menschlichen beugt.

Der Felsenmann ist also nicht unfehlbar, sondern darauf angewiesen, dass er in dem bleibt "was Gottes ist". Das aber ist einfacher in Gemeinschaft mit anderen als allein. Darum findet sich im so genannten Gemeindekapitel des Matthäusevangeliums, dem achtzehnten, die Weisung, bei hartnäckigen Konflikten die ganze Gemeinde als klärende Autorität anzurufen, und nicht den einzelnen alleine entscheiden zu lassen. In diesem Zusammenhang ist die Binde- und Lösegewalt, die in Kapitel 16 noch Petrus exklusiv zugesprochen wurde, in Matthäus 18,18 dem ganzen Jüngerkreis gegeben, der im ersten Vers ausdrücklich als Adressat erwähnt ist.

Das ist im Rahmen des Matthäusevangeliums aber kaum als Kritik an Petrus zu lesen, als wolle der Evangelist zurücknehmen, was er in Kapitel 16 über Petrus gesagt hatte. Der Vorrangstellung des Petrus wird durch die Verleihung der Binde- und Lösegewalt an seine Mitapostel nichts genommen. Im Gegenteil! Er wird dadurch in seiner Position bestätigt und hervorgehoben, indem die anderen eine durch ihn begründete Stellung erhalten.

Die Verheißung erfüllt sich bis heute

Es wiederholt sich hier, was im Alten Testament mit Moses geschah. Der wurde an die Spitze der Propheten gestellt als der erste und maßgebliche. Und die, die nach ihm kommen, sind "Propheten wie er". Auch da gilt: Die Nachfolgenden erhalten ihre Autorität von dem großen Propheten am Anfang - und nicht umgekehrt. Darin drückt sich innerhalb der biblischen Geschichte die Erfahrung aus, dass Gott in einer beständigen Form sich seinem Volk zuwendet, dass es also eine Art Sukzession der Propheten gibt.

Bei Matthäus ist es die Perspektive einer wachsenden Kirche, die nicht von einer Person allein geleitet werden kann, aber doch entscheidend auf eine Person am Anfang zurückblickt. Entsprechend endet das Matthäusevangelium mit dem Ausblick auf die weltweite Mission, wobei der Missionsauftrag allen Anwesenden gilt. Matthäus 28,16 nennt hier auffällig genau "die elf Jünger". Dass dabei der historische Petrus eine herausragende Rolle gespielt hat, ist mit guten Gründen nicht zu bestreiten und sollte von protestantischer Seite auch anerkannt werden.

Die Verheißung an Petrus erfüllt sich in der Geschichte der Kirche bis heute. Das ist kein vaticinium ex eventu, keine Prophetie, die im Nachhinein vorgibt, es schon vorher gewusst zu haben. Denn zur Zeit des Evangelisten Matthäus war es noch nicht ausgemacht, wie (und ob) die Geschichte der "Kirche" - Matthäus ist der einzige Evangelist, der dieses Wort ausdrücklich benützt - weitergehen wird. Das bedeutet nicht, dass man damit dem "protestantischeren" Apostel Paulus untreu würde. Schließlich hat auch dieser die Vorrangstellung des Petrus anerkannt, was aber nicht heißt, dass er sich ihm kritiklos unterordnete.

Wer ist der Fels?

Hierarchische Konflikte zwischen Petrus und Paulus kennt das Neue Testament nicht, aber ein hartes Ringen um den Weg der Kirche im Umgang mit den Gläubigen aus den Völkern. Die paulinische Wendung von Christus als dem Grundstein, auf den er, Paulus, gebaut habe, kann als Kritik an dem "Felsen" Petrus gedeutet werden. Das aber würde bedeuten, dass dieses Bildwort schon zur Zeit der Abfassungszeit des 1. Korintherbriefes, also Anfang der Fünfzigerjahre, im Umlauf und allgemein bekannt war. Dann aber könnte es, wie die Abendmahlsüberlieferung auf Jesus selbst zurückgehen, was in der protestantischen Exegese (aber nicht nur) mehrheitlich bestritten wird.

Dass die Gründe für dieses Unechtheitsurteil ausschließlich historischer Natur sind, darf dabei getrost bezweifelt werden. Die Stelle Matthäus 16,18 ist wohl eine der letzten, wo sich evangelische und katholische Exegese recht leicht durch implizite Werturteile erkennen lässt. Noch entscheidender für die historische Frage ist jedoch, ob man dem historischen Jesus zutraut, über sein eigenes Leben hinaus an eine feste Gemeinschaft, eine Kirche gedacht zu haben, die sein messianisches Werk bewahrt und weiterführt.

Dass eine solche Gemeinschaft dann nur von einem seiner engsten Vertrauten gebaut werden konnte, liegt eigentlich auf der Hand. Paulus jedenfalls hat Petrus den Rang eines "Säulenapostels" nicht bestritten (Galater 1,9). Petrus ist hier einer von dreien. Was sich hier abzeichnet ist im Grunde die Spannung zwischen einem stärker personenbezogenen Gemeindebau mit Petrus dem Felsenmann und den Aposteln als Säulen und einem stärker christozentrischen.

Die Spannung bewahrt

Die Unterschiede sind bei näherem Hinsehen aber nicht so groß. Denn auch Paulus betont sehr deutlich seine eigene Rolle bei diesem Gemeindebauprojekt (1. Korinther 3,10). Er hält seine eigene Rolle als berufener Apostel für heilsentscheidend. Andererseits ist gerade bei Matthäus die Rolle des Petrus durch die Zurechtweisung relativiert und zugleich durch das Bekenntnis zu Christus grundiert. Die Verheißung an ihn erfolgt aufgrund seines Bekenntnisses zu Jesus. Und dieses Erkennen ist ihm von Gott allein aus Gnade "offenbart worden" (Matthäus 16,17).

Historisch durchgesetzt hat sich keiner der beiden gegen den anderen: Petrus und Paulus haben vielmehr ihre Gemeinschaft trotz aller Konflikte und persönlicher Unterschiede nicht aufgegeben, sondern ausgehalten. Und auch der neutestamentliche Kanon bewahrte die Spannung zwischen beiden Positionen, ohne sie aufzulösen. Und der gemeinsame Tod in der neronischen Verfolgung machte sie für die nachfolgenden Generationen zu den entscheidenden Zeugen. Für den weiteren Fortgang der Kirchengeschichte war nur bedauerlich, dass das etwas frühere Martyrium des Herrenbruders Jakobus in Jerusalem 62 nach Christus nicht in gleicher Weise traditionsstiftend wurde. Sonst hätte die Marginalisierung des Judenchristentums verhindert werden können.

Die frühe Kirche ehrte Petrus und Paulus oft gemeinsam, aber immer in dieser Reihenfolge: Petrus, dann Paulus, wie es auch Paulus selbst in 1. Korinter 15,5 und 8 voraussetzt. Man sollte, bei aller protestantischen Hochschätzung für den Theologen und Völkermissionar Paulus nicht vergessen, dass die urchristliche Missionsgeschichte nicht so entscheidend von ihm geprägt wurde, wie man sich das gerne vorstellt.

Petrus wirkte nachhaltiger

Die Gemeinden in den theologisch führenden christlichen Zentren der ersten Jahrhunderte, Jerusalem, Antiochia, Alexandria und Rom, sind ohne Beteiligung des Paulus entstanden, ohne dass er in einer dieser Städte eine formative Rolle für die Gemeinde innegehabt hätte. Denn der Römerbrief des Paulus sagt ja nichts über seinen Einfluss in Rom aus. Dagegen war Petrus für die Anfangsjahre in Jerusalem zweifellos die wichtigste Gestalt. Und nachhaltiger als Paulus wirkte er in Antiochia und Rom. Die besondere Rolle des Petrus in der Heilsgeschichte kann also für den Protestantismus bei aller Hochschätzung des Paulus nicht fraglich sein. Und dasselbe gilt für die besondere Rolle, die Rom in der Geschichte der alten Kirche spielte.

Einspruch ist aber gegen die katholischerseits mit einer gewissen Selbstverständlichkeit vollzogene Gleichsetzung von Petrus und dem römischen Bischofsamt, "Petrusamt", zu erheben, als ob die Petrusverheißung nur in Verbindung mit dem römischen Bischofsstuhl zur Erfüllung kommen konnte und bis heute kommt. Dass die römische Gemeinde sehr früh ihren führenden Amtsträger als von Petrus eingesetzt verstand, ist unbestreitbar, wenn auch historisch weit weniger eindeutig fassbar als der Tod, den Petrus und Paulus in Rom erlitten hatten. Aber daraus folgt keineswegs mit theologischer Notwendigkeit, dass der Bischof von Rom derjenige zu sein hat, der die Einheit der Kirche und die Traditionsgeschichte zurück zu Petrus repräsentiert, auch wenn es dafür historisch gute Gründe gibt und der Papst gegenwärtig für eine breite, wenngleich nicht immer sachkundige Öffentlichkeit, die Rolle als Sprecher des Christentums innehat - für die Medien und säkulare Öffentlichkeit ohnehin.

Leitenden Geistlichen der evangelischen Kirchen nimmt es nichts von ihrer geistlichen Würde, wenn sie sich eingestehen, dass sie gerade in einer kirchendistanzierten und medienabhängigen Öffentlichkeit von der Aufmerksamkeit und der Bedeutung leben, die der katholischen Hierarchie mit dem Papst an der Spitze zukommt. Das wiederum spiegelt in erstaunlicher Weise, was wir auch im Neuen Testament finden, wo die anderen Apostel ihre Bedeutung ebenfalls von Petrus her erhalten.

Zwei Vorschläge

Darum zwei Vorschläge zum Schluss: Der Tübinger Neutestamentler Martin Hengel (1926-2009) schlug in seinem lesenswerten Büchlein Der unterschätzte Petrus vor, den 29. Juni, das Fest Peter und Paul, in besonderer Weise zu einem ökumenischen Festtag zu machen. An ihm sollte die versöhnte Verschiedenheit dieser beiden formativen Gestalten des Urchristentums im Zentrum stehen.

Eine zweite Weise, protestantischerseits den öffentlichkeitswirksamen Dienst des Petrusamtes zu würdigen, könnte durch die öffentliche Fürbitte in den Gottesdiensten geschehen. Wäre es nicht ein gutes Zeichen, dem Papst dafür zu danken, dass er "der Schutzwall gegen die Eigenmächtigkeit" ist, wie Kardinal Joseph Ratzinger einmal die Aufgabe des Papstes beschrieb. Das heißt, der Papst erinnert die Christenheit beständig daran, der Versuchung zu widerstehen, "es jetzt anders, bequemer zu machen" und dem Skandalon auszuweichen, das der Kirche mit dem Bekenntnis zu Jesus, dem für die Sünde der Welt gekreuzigten Gottessohn, nun einmal aufgegeben ist.

Petrus wollte es Jesus bequemer machen und ihn vom Weg ins Leiden abbringen. Er musste lernen, nach Gottes Weise zu denken und hat dies dann auch getan. Die Versuchungen sind dieselben geblieben, für die katholische Kirche nicht weniger als für die anderen Kirchen. Aber Petrus ist ein Vorbild und Fundament, auf das man bauen und für das man dankbar sein kann. Schließen wir den Nachfolger auf dem Bischofsthron in Rom in unsere Gebete ein, dass es ihm gegeben werde, wie schon Petrus deutlich vor der ganzen Welt zu bekennen, was zu ihrem Heil unverzichtbar ist.

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Roland Deines

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