Fest der Gottesfreude

Der Wein soll des Menschen Herz erfreuen
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Reifen muss das Zeug. Lebendige Kirche sein heißt also auch, diesen Prozess der Reife zu ermöglichen - Gott und seinem Wirken bloß nicht im Wege zu stehen. Dann kann man die Frucht genießen: In ungeheurer Vielfalt.

Glauben heißt staunen. Sich wundern über das Wunder "Gott" und über Seine Wundertaten, wie sie auch in der Natur zu bestaunen sind: Farben und Formen die Fülle - welch ein Schatz, der uns Menschen geschenkt ist. Gott, Du Schöpfer des Himmels und der Erde, "lässest immer neu Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass Du Brot aus der Erde hervorbringst, dass der Wein erfreue des Menschen Herz und sein Antlitz schön werde vom Öl", so besingt es der Psalmist im 104. Psalm: Gottesfreude und Lebensfreude die Fülle!

So ist es mir auch immer wieder eine Freude, wenn ich beim Lesen der Wundertaten und Wunderworte, wie sie von Jesus in den Evangelien überliefert sind, darauf gestoßen werde, dass Jesu öffentliches Wirken seinen Anfang nahm mit einem Fest der Gottesfreude und der Lebensfreude: "Und am dritten Tage war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa ...", so geht es los im Evangelium nach Johannes, Kapitel zwei. Jesus, der Not-Helfer auch hier, aber eben ganz anders als erwartet: Er hilft dem Gastgeber aus einer der schlimmsten Verlegenheiten, die einem Gastgeber überhaupt passieren kann: Es ist nix mehr zu trinken da! Also das Wunder, damit das Fest der Gottesfreude und Lebensfreude weitergehen kann: Wasser wird zu einem ausgezeichneten Wein, noch besser als der, der bisher in die Gäste hineingelaufen war. Natürlich, die Bedenkenträger waren auch damals schon auf dem Plan: Nicht von ungefähr wird Jesus als "Fresser und Weinsäufer"beschimpft. Nun, damit hat Jesus, so vermute ich, leben können.

Denn: Als es darum geht, die Bedeutung seiner Sendung in ein Bild zu fassen, taucht der Wein wieder auf: "Ich bin der Weinstock; ihr seid die Reben ..." (Johannes 15). So ein Weinstock ist, im Winter zumindest, ein unansehnliches Stück Natur. Knorrig und scheinbar abgestorben steht er da - man möchte ihm nicht viel zutrauen, und Unwissende könnten ihn schon mal rausreißen. Aber sobald der Frühling kommt, entfaltet er seine ganze Kraft. Der Weinstock ist nicht mehr zu sehen und doch trägt er alles: Reben, Blätter und Früchte - die süßen und die sauren. Für Jesus ist dieser Weinstock im Weingarten seines Vaters ein Bild für das eigene Leben, aber vor allem ein Bild für das Leben selbst, für die Fülle, die uns geschenkt ist. Aber auch ein Bild für die Wachsamkeit, die nötig ist, um die Früchte wachsen zu lassen und ernten zu können. Sie müssen gepflegt, immer wieder von unnötigem Blattwerk befreit und ins Licht gerückt werden. Bis Wein aus den Früchten geworden ist, ist viel Sachverstand, Arbeit und Geduld nötig. Reifen muss das Zeug. Lebendige Kirche sein heißt also auch, diesen Prozess der Reife zu ermöglichen - Gott und seinem Wirken bloß nicht im Wege zu stehen. Dann kann man die Frucht genießen: In ungeheurer Vielfalt - trocken oder süß, weiß oder rot, unvergoren oder vergoren. Dass der Wein des Menschen Herz erfreuen soll - das weiß schon der Psalmist. Denn er besingt einen Gott, der sich freut am Lebensglück seiner Geschöpfe.

Gerhard Ulrich, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Leitender Bischof der VELKD und Mitherausgeber von zeitzeichen.

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Gerhard Ulrich

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Gerhard Ulrich

Gerhard Ulrich war bis vor kurzem Landesbischof der evangelischen Nordkirche und ist Herausgeber von zeitzeichen.


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