Mord und Totschlag

Religion im Krimi
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Anregende Gedankenexperimente machen diesen Sammelband ebenso lesenswert wie die spannenden Lesehinweise auf die religiöse Tiefenschärfe einzelner Krimi-Autoren.

Nicht nur die Bibel handelt reichlich von Mord und Totschlag; religiöses Personal, religiöse Milieus und religiöse Fragen durchziehen auch von Anfang an die Kriminalliteratur. Die akademische Forschung, ob Theologie oder Literaturwissenschaft, hat diese auffällige Schnittmenge bislang kaum gewürdigt; um so verdienstvoller ist es, dass hier in der erweiterten Dokumentation einer Tagung, die 2009 von der theologischen Fakultät und dem Literaturhaus Basel organisiert wurde, ein Versuch gestartet wurde, dies zu ändern.

Die fünfzehn Beiträge von Wissenschaftlern, Kritikern und Krimiautoren wählen dazu sehr unterschiedliche Zugänge. Sie spüren Religion im Spannungsroman des 19. Jahrhunderts auf oder legen Deutungsmuster von Literaturtheologie und Psychoanalyse an Kriminalistisches an. Solche systematischen Ansätze werden durch Einzelstudien zu einzelnen Autoren, Romanen und einem Fernseh-Tatort ergänzt. Eine Systematik ist dabei kaum zu erkennen, wohl aber die Vielfalt der Perspektiven und die Flexibilität des Genres. Denn dessen Markenzeichen ist es gerade, "dass es fast jedes Phänomen oder Problem unserer gegenwärtigen Welt, von nine-eleven bis zur Gentechnik, schnell integrieren und in seinem Erzählrahmen verarbeiten kann" - so der Literaturwissenschaftler Jochen Vogt.

Erst recht gilt dies für das zentrale gemeinsame Thema von Religion und Kriminalroman: den Umgang mit dem Bösen. Nicht zufällig setzt die erste Welle des populären Krimis, verkörpert im Arzt und Detektiv Sherlock Holmes, auf die rationale Aufklärung des Verbrechens mit Mitteln der Natur- und Humanwissenschaften. Es geht um die rationale Erklärung und Bannung des Bösen. Dass die Seelenkunde des Glaubens da manchmal tiefer schaue, behaupten Außenseiter wie Chestertons Father Brown, aber nicht der literarische Mainstream. Dieser Triumph der Vernunft im klassischen Krimi ist freilich, wie wiederum Jochen Vogt bemerkt, in der Kriminalliteratur des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts brüchig geworden. Hier dominiert vielmehr das Böse in bislang unbekannter bizarrer Härte und Grausamkeit, welche die Grenzen des vernünftig Erklärbaren weit übersteigt.

Deutet sich hier so etwas wie die Rückkehr des Dämonischen in die Literatur an, wie die Theologin Regine Munz nahe legt? Sie meint damit - im Anschluss an Paul Tillich - "keine okkulte Macht aus dem Jenseits, sondern einen über rational-egoistische Ziele hinausgehenden Machtwillen (...), der sowohl die Zerstörung der Autonomie als auch die Zerstörung der sozialen Gebilde zum Ziel hat". Das Dämonische entzieht sich der rationalen Lösung; es bleibt allenfalls der Erlösung "durch Gnade" zugänglich. Die göttliche Rechtfertigung fängt da an, wo die Moral am Ende ist.

Solche anregenden Gedankenexperimente machen den vorliegenden Sammelband ebenso lesenswert wie die spannenden Lesehinweise auf die religiöse Tiefenschärfe einzelner Autoren wie Friedrich Ani oder, übers Christliche hinaus, Oliver Bottini und Zoe Ferraris. Fazit: Der Grenzgang zwischen Theologie und Literaturwissenschaft bei dem nur scheinbar trivialen Thema "Krimi" ist für die akademische Forschung fruchtbar, erst recht aber für Leserinnen und Leser, die sich Lebensweisheit auch im unterhaltenden Genre des Romans erhoffen.

Andreas Mauz/Adrian Portmann (Hrsg.): Unerlöste Fälle. Religion und zeitgenössische Kriminalliteratur. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2012, 258 Seiten, Euro 34,80.

Lutz Lemhöfer

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