Drum prüfe, wer sich ewig bindet

War es die Idealisierung der Liebe, die auf Dauer die Fundamente der Ehe unterminierte?
William Henry Midwood: "Der Heiratsantrag", 1864. Foto: © Sotheby’s/akg-images
William Henry Midwood: "Der Heiratsantrag", 1864. Foto: © Sotheby’s/akg-images
Seit dem 18. Jahrhundert griff immer mehr die Auffassung um sich, Ehe setze Liebe voraus - für viele Menschen ein großer Schritt der Emanzipation von den Ketten der Gesellschaft. Was aber bedeutete das für die Stabilität von Ehe und Familie?

Als die Jenaer Romantiker um die Schlegels zum ersten Mal Schillers Glocke lasen, seien sie, berichtet Caroline Schlegel, nachmals Caroline Schelling, vor Lachen fast vom Stuhl gefallen. Die Stelle, die ihre Heiterkeit hervorrief war: "... und drinnen waltet die züchtige Hausfrau ..."

Nein, die Frauen der Romantiker waren keine züchtigen Hausfrauen, und Caroline schon gar nicht. Als sie sich vier Jahre nach jenem Lachanfall, 1803, von August Wilhelm Schlegel scheiden ließ, hatte sie schon ein bewegtes Leben hinter sich. Sie war schon vor der Ehe mit ihm eine "junge kokette Witwe" gewesen (so hatte sie sich selbst genannt), sie hatte als Dreißigjährige ein Kind von einem neunzehnjährigen französischen Leutnant bekommen ("ein Kind der Glut und Nacht", sagte sie), und ob die Affären, die man ihr nachsagte, nur unbegründete Gerüchte waren, ist ungeklärt. Eines lautete so: ihre Tochter Auguste sei gar nicht von ihrem ersten Mann, sondern von Goethe.

Caroline war eine frühe Emanzipierte, auch eine Intellektuelle, die etwa ihrem Schlegel, August Wilhelm, bei seinen Shakespeare-Übersetzungen half. Hätte ihr Beispiel Breitenwirkung gezeitigt, wären Trennungen wohl sehr bald Selbstverständlichkeiten geworden, die, wie Kinder der Glut, einfach dazu gehörten. C'est la vie.

Scheidung war unmöglich

Aber so schnell ging das nicht. Gewiss, mehr als hundert Jahre nach Caroline leisteten sich Promis - die Elizabeth Taylors der Zeit - so viele Scheidungen, wie sie lustig waren. Aber für das Volk blieb noch lange alles beim alten: Eine Scheidung, das war für den größten Teil der Gesellschaft eine Unmöglichkeit, noch bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinaus. Wer verheiratet war, der hatte das "bis der Tod euch scheidet" ernst zu nehmen. Dass er oder sie es tat, dafür sorgten nicht zuletzt Staat, Kirche und Gesellschaft.

Nicht, dass die Ehen früher, im Mittelalter und der frühen Neuzeit, regelmäßig lange gedauert hätten, das nicht, aber es war eben der Tod, der da schied: Viele Frauen - sie waren in erster Linie Gebärerinnen - starben wegen der Ahnungslosigkeit in Hygienedingen im Kindbett.

Wenigstens das besserte sich im 19. Jahrhundert. Nebenbei bedeutete das: Wo die Ehe eher schlecht als recht ging, wurde die Strecke, in der das Kreuz zu tragen war, länger.

Noch etwas hatte sich geändert. Über Jahrhunderte hatten die Eltern bestimmt, wen ihr Kind zu heiraten hatte, nicht anders als heute noch in rückständigen islamischen Gebieten. Liebe zwischen den Geschlechtern war gewiss keine unbekannte Größe - unzählige Zeugnisse belehren uns darüber. Doch in der Regel ging man davon aus, dass Zuneigung in der Ehe wächst. Und das scheint öfter geklappt zu haben, als man heute vermuten würde.

Die Grille Liebe

Seit dem 18. Jahrhundert griff immer mehr die Auffassung um sich, Ehe setze "Liebe" voraus. Zuvor war Liebe (Verliebtsein, Neigung, Leidenschaft, sexuelles Bedürfnis - im Grunde handelt es sich ja um ein zusammengesetztes Gefühl) eher in den niederen Ständen als Ehegründe anerkannt worden, dort hatte man sich damit abgefunden, dass mit der Eheschließung kein Blumentopf zu gewinnen war.

Nun mussten sich gar die so genannten "hohen und höchsten Kreise" mit dieser neumodischen Grille abplagen. Ehrgeizige Mütter, berechnende Väter wollten für ihre Töchter und Söhne das Beste - herausschlagen. Viel bespottet wurden die Ehen zwischen verarmten Adligen und den Töchtern von "Schlotbaronen", reichen Industriellen.

Aber die Liebe! Vollends die Romantik machte aus ihr einen wahren Kult, und der flaute das ganze 19. Jahrhundert nicht ab. Da war es günstig, wenn das Töchterchen sich fest einbildete, just in die sich ihr bietende vorteilhafte Partie verliebt zu sein oder der hoffnungsvolle Spross genug kluge Berechnung aufbrachte, sich nicht an die erstbeste Schöne des Tages zu halten.

Wo die Liebe endet

Doch es war nicht zu verkennen: Ganz allmählich veränderte sich die ganze Statik der Institution Ehe. Sie litt unter der Auffassung, die Liebe sei ihr eigentlicher fester Grund. Die heimliche Logik war die: Wenn die Liebe der Grund der Ehe ist, dann scheitert die Ehe, wo die Liebe endet. Und für diesen Fall kann es nur eine konsequente Lösung geben: die Scheidung.

Doch die Logik ist das eine, die Verhältnisse sind das andere. Fast immer lag vor einer Trennung ein Berg von Hindernissen: Für viele Arme bedeutete eine Scheidung die Vernichtung ihrer Existenzgrundlage, die Bürger dachten an die Kinder, an den möglichen Skandal, und mindestens einer der beiden Eheleute fürchtete zu Recht den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abstieg - gewöhnlich war es die Frau. Nein, nur keine Scheidung. Lieber nahm man sich einen Liebhaber oder eine Liebhaberin, aber nicht mit bestem Gewissen, wie die Adelsgesellschaft des 18. Jahrhunderts, sondern mit einem ausgesprochen miesen. Die Tragödien, die daraus entstanden, rühren, soweit sie in literarischer Fiktion einstige Wirklichkeit abbilden, noch heute - so der Film Anna Karenina jüngst unendlich viele junge Menschen, die doch himmelweit von den gesellschaftlichen Zuständen, die solche Dramen erzeugten, entfernt sind.

Ja, es waren die Schriftsteller, die das, was da aufkam, zuerst in Worte fassten. Gustave Flauberts "Madame Bovary" langweilte sich ganz unmäßig mit ihrem biederen Gatten in dem öden Provinznest, sie hatte Liebhaber und verschuldete sich hoffnungslos, am Ende sah sie keinen anderen Ausweg als den Selbstmord.

Effis Tragödie

Wollte Flaubert (selbst Bourgeois) 1856 damit eine vernichtende Kritik des von ihm verabscheuten Bürgertums liefern, so Theodor Fontane knapp vierzig Jahre später eine nur scheinbar mildere des deutschen Standeswesens: Dessen ungeschriebene Gesetze hat der eher friedfertig veranlagte Gatte der Effi von Instetten geb. Briest, so tief verinnerlicht, dass er völlig unnötigerweise die für solche Fälle vorgesehene Tragödie in Gang setzt: Er erschießt den ehemaligen Liebhaber seiner Frau und lässt sich von ihr scheiden. Effi verwindet die Trennung von ihrem Kind nicht, mit dreißig stirbt sie. Damals galt, wie in Deutschland bis zum Jahre 1975, das Schuldprinzip, und nichts machte schuldiger als ein Seitensprung, weshalb dem schuldigen Teil auch nicht die Kinder zugesprochen wurden.

Heute ist das gottlob anders. Vorbei die Zeiten, in denen man ein Arrangement traf, in dem sich der Mann in flagranti mit einer anderen erwischen ließ, um eine glatte Scheidung zu ermöglichen. Wer sich heute scheiden lassen will, kann das tun, das ist bestenfalls eine Frage der Kosten.

Aber der Berg an Schwierigkeiten ist noch immer stattlich, insbesondere, wenn Kinder vorhanden sind - wie kann man ihnen psychische Scheidungsschäden ersparen, wie sollen sie betreut, wie das Besuchsrecht ausgeübt werden? Und dann noch die Frage des Unterhalts, für viele Eltern, insbesondere aus den unteren Einkommensschichten, immer noch eine Existenzfrage.

Individuelle Katastrophen

Sollte das alles kein Problem sein, so bleiben: die Gefühle. Einst hat man sich geliebt, hat es sich zumindest gegenseitig beteuert, nun liegt alles im Staub. Das will erst einmal verkraftet sein. Oft genug bleibt einer von beiden auf der Strecke. Nicht physisch, nicht durch Selbstmord oder Schwindsucht. Aber doch psychisch. Mit angeknackstem Herzen.

Ein Beispiel: D. K. lebte vor reichlich zwanzig Jahren in einer modernen Musterehe: zwei Kinder, Junge und Mädchen, der Mann, so wie sie, Lehrer, aber er gab erst einmal den Hausmann, so war es vereinbart. Dann der verabredete Wechsel, sie musste zu Hause bleiben, er verliebte sich in seiner Schule in eine Kollegin, es folgte ein heftiger Scheidungskrieg. Ihr blieben die Kinder, doch mit ihrem Sohn hatte sie bis zu dessen Auszug Probleme, er sei einfach "wie sein Vater". Heute begegnet man in ihr einer immer noch gut aussehenden, humorvollen Frau. Nur manchmal bricht die Bitterkeit hervor, aber wenn dies der Fall ist, hat man den Eindruck, dass die tief reicht. Einen neuen Partner hatte sie in den vergangenen Jahrzehnten nicht.

Jeder kennt aus seinem Bekanntenkreis oder aus eigener Erfahrung solche und schlimmere individuelle Katastrophen. Jede ist anders, jede spiegelt mindestens zwei individuelle Schicksale. Und natürlich kennt jeder auch positive Geschichten: etwa solche wie die des Mannes, der lange um seine - sich ihm Schritt für Schritt entfremdende - Frau kämpfte, der schwer erschüttert war, als sie ihn über Nacht verlassen hatte und der nun schon seit langer Zeit in einer Zweitehe lebt, die nach dem Augenschein und nach seinem eigenen Bekunden das Glücklichste ist, was ihm passieren konnte.

Leichtigkeit modernen Seins

Übrigens geht es ja nicht nur um Scheidungen im juristischen Sinne. Mehr Menschen denn je zuvor leben heute hierzulande in nichtehelichen Lebensgemeinschaften - über die Hälfte der 16- bis 30-Jährigen, über 60 Prozent der 31- bis 45-Jährigen. Nicht vom Trauschein hängt ja das Schmerzpotenzial ab, das einer Trennung innewohnt.

Manchmal freilich wundert man sich über die offenbar ganz und gar nicht unerträgliche Leichtigkeit des modernen Seins: Da ist T. G., 27, die in europäischen Hauptstädten und in den usa studiert hat und die monatelang ihr künftiges Zusammensein mit ihrem amerikanischen Freund plante, mit dem sie auf Probe in Deutschland zusammenlebte - wie viele Kinder sie haben wollten, ob sie seinen Namen übernehmen würde, nichts wurde vergessen. Dann die kopfbestimmte Entscheidung: Ein Leben mit diesem Mann würde ihren Plan, möglichst viel von der Welt kennenzulernen, ihr Berufsleben sozusagen international zu gestalten, zerstören. Also erhielt er den Laufpass.

Gibt es da etwas zu schelten? Nur weil sich der Kopf meldete, die Vernunft intervenierte? Gute Frage. Vielleicht aber liegt in diesem Beispiel gar der Ansatz für eine spekulative Prognose, die so lauten könnte: Die große Liebe fürs Leben hat ausgespielt. Gewiss, das Verlieben wird auch weiterhin der Zündfunke für eine Beziehung sein, aber deren Halbwertzeit wird, gemessen am menschlichen Leben, immer kürzer. Jetzt leben, heißt die Devise. Die Langzeitperspektive - mit Blick gar aufs Alter! wie hässlich! - wird ausgeblendet. Bestenfalls für mittlere Zukunftsstrecken drängt sie sich immer wieder ins Bild - und dann schlägt bei der Partnerwahl die Stunde der naturgemäß kühlen Vernunft.

Schwieriger Kinderwunsch

Das kann sein Gutes haben. Die Leiden wegen Beziehungshavarien würden zurückgehen, vielleicht würden gar weniger Durchgeknallte (meistens sind's Männer) ihre Familie massakrieren, weil der Partner nicht mehr will. Die andere Seite der Medaille: Was soll noch die standesamtliche Trauung, wenn es auch ohne sie geht? Sie wird immer häufiger zur bloßen Kalkulation in Steuerfragen. Ob sich, weil ja die prunkvolle Feier doch sein soll, die Kirchen eines Tages dazu verstehen werden, auch ohne den Schein vom Standesamt zu trauen? Seit 2009 ist das möglich.

Kinder einzuplanen wird freilich immer schwieriger. Sie passen nicht so recht ins Bild, Kitaplätze hin, Betreuungsgeld her. Männer werden immer weniger die Befürchtung unterdrücken können, eines Tages als Unterhaltsvater auf Armutsniveau gedrückt zu sein, Frauen, dass zur Armut, die sie ebenso bedroht, auch noch ihre Rolle als Alleinerziehende hinzukommt, wahrlich keine Traumrolle.

Apropos Kinderwunsch: Den hegt heute immer noch die Mehrheit der Frauen. Aber sie wollen auch einen Partner, der diesen Wunsch teilt und mit ihnen und dem Kind zusammenlebt. Leider werden die Kandidaten dafür immer rarer, immer weniger junge Männer sehen sich als künftiger Familienvater. Werden sie dann doch Vater, irgendwie, nehmen sie die Rolle in der Regel an, werfen sich hinein, lassen sich nicht von dem Gedanken irritieren, dass es sehr viel mehr Frauen sind, von denen ein einseitiges Scheidungsverlangen ausgeht (52,9 Prozent sind es gegen 38,9 Prozent bei den Männern).

Das Recht der Hoffnung

"Drinnen waltet die züchtige Hausfrau. Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben." Hinaus sollen heute allerdings auch die Frauen müssen. Und zugleich drinnen wirken. Zielvorstellung: Paritätisch mit ihrem Partner.

Diese Kombination gibt es natürlich schon, weil es eben alle Kombinationen gibt in unserer Gesellschaft. Und sicher wird sie auch häufiger. Doch ein Zweifel bleibt. Zwar: Ein Zurück in die Zeiten vor den Lachanfall der Romantiker gibt es nicht, soviel steht fest. Was gesellschaftlich der Fall ist, wird sich weiterhin ändern, mit immer größerer Beschleunigung. Dass aber eine Gesellschaft im Entstehen ist, in der Partner (früher: Mann und Frau) mit ganz gleichen Pflichten und Rechten friedlich oder gar begeistert zusammenleben, wenigstens über den Zeitraum, der nötig ist, Kinder aufzuziehen, dass es überhaupt genügend Kinder geben wird, um all den selbstbestimmten Singles, unfreiwillig Alleinstehenden und zeitweise Verbandelten auf Dauer ihr mehr oder minder komfortables Dasein zu sichern - dies zu glauben, fällt schwer. Sehr schwer.

Aber es bleibt zu bedenken, dass niemand sich so leicht blamiert wie der nur von nüchterner Vernunft autorisierte Prophet. Und überhaupt: Wo das Positive sich den Blicken entzieht, tritt die Hoffnung in ihr Recht. Sie muss nicht gleich als Prinzip auftreten, wie bei dem materialistischen Philosophen Ernst Bloch, sie kann auch in der Verheißung ihren Halt finden - so für uns Christen (wobei viele von uns das heilbringende Jenseits in die diesseitige Zukunft vorverlängert wissen möchten). Also: Du willst Gott zum Lachen bringen? - Erzähle ihm von deiner Zukunftsprognose.

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Helmut Kremers

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