"Stets gern für Sie beschäftigt ..."

Eine Erfurter Firma baute die Krematorien von Auschwitz
Foto: pixelio / Dietmar Meinert
Wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen gegeben sind, der moralische Ausnahmezustand Normalität ist: Wer wird durch seinen Beruf dann auch heute zum Mittäter eines Verbrechens?

Der Schriftzug ist schon von weitem zu lesen: "Stets gern für Sie beschäftigt ..." steht in großen Lettern auf der grauen Fassade, die Grußformel, mit der die Firma Topf & Söhne ihre Geschäftsbriefe an die SS unterschrieb. In ihrem Auftrag baute der Erfurter Betrieb ab 1939 Krematoriumsöfen für die Verbrennung der in den Konzentrations- und Vernichtungslagern Ermordeten. Schließlich kam auch die Entwicklung von Entlüftungsanlagen für die Gaskammern hinzu, die das Töten effizienter machen sollten.

Einer der Techniker des Massenmords war Kurt Prüfer. Von seinem Zeichentisch konnte der Ingenieur den Blick bis nach Weimar schweifen lassen. Bei gutem Wetter war sogar der Ettersberg zu sehen. 1937 war dort das Konzentrationslager Buchenwald errichtet worden. Der Zeichentisch steht heute wieder an seinem alten Platz: Er ist Teil einer Dauerausstellung, die im vergangenen Jahr eröffnet wurde und sich dem düsteren Kapitel einer Firmengeschichte widmet.

Was die ausgestellten Dokumente und Artefakte zeigen, ist, wie wenig zumindest offenkundiger Antisemitismus eine Rolle zu spielen schien, wie wenig auch von Zwang die Rede sein kann. Die Firma zeigte sich im Umgang mit der SS ausgesprochen souverän, die Mitarbeiter entwarfen aus eigenem Antrieb, ohne Aufforderung.

Auch von besonderem Profitstreben oder gar wirtschaftlichen Notwendigkeiten lässt sich nicht sprechen. Die Geschäfte mit der SS machten lediglich 2 Prozent des Umsatzes aus; Topf & Söhne verdiente vor allem am Bau von Getreidespeichern für die Wehrmacht. Was also trieb das Unternehmen an?

Über Ingenieur Prüfer weiß man: Er war ehrgeizig. Sein Spezialgebiet war die Konstruktion von Krematorien. Die Feuerbestattung war in der Weimarer Republik zur Alternative einer bis dahin weitgehend üblichen Erdbestattung geworden. Gesetzlich vorgeschrieben war dabei bis ins Detail hinein ein würdevoller Umgang mit den Toten, Gesetze, die Prüfer bei der Konzeption seiner Öfen aber wissentlich außer Acht ließ. Denn hier ging es darum, so viele Leichen so schnell wie möglich spurlos aus dem Weg zu räumen. Seine Arbeit überzeugte: Die SS bestellte Krematorien für Buchenwald, Mauthausen, Auschwitz.

War er ein Überzeugungstäter? Sicher ist: Kurt Prüfer entwarf nicht nur aus der sicheren Distanz seines Schreibtisches mit Blick auf den Ettersberg. Er fuhr regelmäßig in die Konzentrationslager, um die Umsetzung seiner Pläne zu begleiten. Elf Mal war er allein in Auschwitz. Auch seine Kollegen waren dort, manche gleich für mehrere Monate. Sie wussten, wie viele Menschen hier starben, und sie wussten, wie sie umgebracht wurden.

Es wäre zu einfach, bei jedem Täter nur geifernden Hass zu suchen oder eine sadistische Ader zu vermuten. Das Erschreckende an Prüfers Tätigkeit: Der Massenmord schien für ihn fast gewöhnlich zu sein. Ansonsten stellte er vor allem eine technische Herausforderung dar.

Der Firnis unserer Zivilisation ist erschreckend dünn. Wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen gegeben sind, der moralische Ausnahmezustand Normalität ist: Wer wird dann auch heute ganz unspektakulär und als Teil seines Berufs zum Mittäter eines Verbrechens?

Hinweise

Annegret Schüle: Industrie und Holocaust. Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz. 427 Seiten, Berlin Verlag 1999. Herausgegeben von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Göttingen 2010, 474 Seiten, Euro 29,80.

Erinnerungsort Topf & Söhne - Die Ofenbauer von Auschwitz, Erfurt, Sorbenweg 7.

Homepage Topf und Söhne

Natascha Gillenberg

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Natascha Gillenberg

Natascha Gillenberg ist Theologin und Journalistin. Sie ist Alumna und Vorstand des Freundes- und Förderkreises der EJS.


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