Keine Chance

Glaubenslehre in den Medien
Bild
Obwohl die Interviews wenig Überraschendes zutage befördern, liefern sie doch in der sprachlich sehr einfühlsamen soziologischen Rekonstruktion viel Erhellendes über die Einstellungen zu Religion und Kirche in der Gegenwartsgesellschaft.

Ausgangspunkt der Studie der Münsteraner Universität war die "Debatte um aktuelle Veränderungen hinsichtlich der Rolle der Religion in der Öffentlichkeit". Da lag es nahe, bei denen genauer nachzufragen, die im Meinungsbildungsprozess den Ton angeben: den maßgeblichen Journalistinnen und Journalisten in den überregionalen Qualitätsmedien. Achtzehn "Elitejournalisten" aus dem Bereich der Printmedien und des Fernsehens wurden nach der Methode des "nichtstandardisierten Interviews" befragt, und das verschriftlichte Ergebnis wurde im Sinne der "rekonstruktiven Sozialforschung" ausgewertet. Dabei wurde nicht nur auf die Themen "Religion und Öffentlichkeit" sowie "Medienethik" Wert gelegt, sondern auch der persönliche religiöse Habitus der Betreffenden angesprochen.

Unter den ausgewählten politischen Kommentatoren und Feuilleton-Chefs ist nur einer, der von einer engen Bindung an die katholische Kirche spricht, und eine andere, die sich dezidiert als Atheistin bezeichnet, obwohl sie einmal evangelisch sozialisiert war. Eine weitere Journalistin ist in der DDR aufgewachsen und hat keine persönliche Beziehung zu einer Religion, ist aber der Religion gegenüber aufgeschlossen. Die anderen sind zwar in mehr oder minder christlichen Milieus aufgewachsen, haben aber ihren Kontakt zu Glauben und Kirche weitgehend eingeschränkt oder aufgekündigt.

Doch das Interesse an Religion ist ihnen nicht abhandengekommen; es sei, heißt es, durch die Ereignisse 1989 und besonders durch das Auftreten des militanten Islam wieder intensiver geworden. Sie haben auch Erwartungen gegenüber Christentum und Kirche, auch wenn diese nicht mit dem Selbstverständnis derselben übereinstimmen. So verliert einerseits die katholische Hierarchie deutlich an fraglosem Respekt. Andererseits beklagen einige die Banalisierung protestantischer Selbstdarstellung und den Verlust an traditionellem Ritual. Gerade angesichts des neuen islamischen Selbstbewusstseins wird von den Kirchen Traditionsbewahrung erwartet, nicht Modernisierung, rituelle Kasualbegleitung, nicht psychologisierende Einfühlung. Solche Kritik richtet sich sowohl gegen Bestrebungen des Zweiten Vatikanischen Konzils als auch gegen die "Partystimmung" auf evangelischen Kirchentagen.

Beruflich folgen die Meinungsmacher fast selbstverständlich der Luhmannschen Medienselektionstheorie. Derzufolge geht es bei der Wahl berichtenswerter und zu kommentierender Stoffe um Neuigkeitswert, Betroffenheit, Konflikt oder Skandal. Christliche Glaubenslehre oder bloße Repräsentanz oder Symbolik haben da keine Chance. Auch bei positivem christlichem Habitus wird der professionellen Medienethik bei der Themen- und Kommentarwahl der Vorrang gegeben.

Obwohl die Interviews wenig Überraschendes zutage befördern, liefern sie doch in der sprachlich sehr einfühlsamen soziologischen Rekonstruktion viel Erhellendes über die Einstellungen zu Religion und Kirche in der Gegenwartsgesellschaft, und inwiefern sie bei Handlungsentscheidungen und bei der Urteilsbildung noch eine Rolle spielen.

Christel Gärtner/Karl Gabriel/Hans-Richard Reuter: Religion bei Meinungsmachern. Springer VS Verlag, Wiesbaden 2012, 282 Seiten, Euro 39,95.

Götz Planer-Friedrich

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"