Erkenntnisgewinn

Vom Büchersammeln
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Wulf D. von Lucius erweist sich nicht nur als Kenner der Geschichte von Buchdruck, Buchkunst und Büchersammlungen, sondern er erzählt auch was er von älteren Sammlern und "Mentoren" gelernt hat.

Sammeln heißt Lernen. Das ist eine der Erkenntnisse, die Wulf D. von Lucius in seinem Buch vermittelt. Selbstverständlich bedeutet Sammeln zuerst Freude, Liebhaberei und Spiel. Und wenigstens am Anfang erhebt der Sammler keinen Anspruch darauf, seine Sammlung könne für andere Menschen außer für ihn selbst Bedeutung erlangen. Aber in dem Maße, indem eine Sammlung Struktur bekommt, indem sich der Sammler mit dem Sammelgegenstand geistig auseinandersetzt, indem er vom "Informationssucher" zum "Forscher" und zur "Informationsquelle für andere" wird, bildet er sich fast zwangsläufig daran. Noch dazu, wenn es sich um Büchersammlungen handelt. Er wird die Buchgestaltung in Zusammenhang mit dem Inhalt sehen. Er wird sie mit gleichzeitigen, früheren und späteren Buchgestaltungen und der Kunstentwicklung allgemein vergleichen. Von diesem Glück des Erkenntnisgewinns und natürlich vom ästhetischen Genuss beim Betrachten schöner Bücher handelt das äußerst anregende, gut geschriebene Buch.

Wer nun meint, die hier zusammengestellten Aufsätze, die in den vergangenen achtzehn Jahren entstanden sind, seien nur für Bibliophile und unter ihnen nur für Sammler alter Bücher interessant (wozu der Schutzumschlag verleiten könnte, der schöne alte Buchrücken zeigt), wird schnell eines besseren belehrt. Gründlich und einleuchtend behandelt von Lucius die Probleme, die sich beim Sammeln zeitgenössischer Kunst und vor allem zeitgenössischer Künstlerbücher ergeben. Die größte Schwierigkeit bestehe darin, dass die neueste Kunst noch nicht etabliert sei, sich noch nicht durchgesetzt habe. Innerhalb des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts habe sich in der Buchkunst eine "ungeheure Wandlung" vollzogen, die nicht nur "Machart, ästhetische Konzepte der künstlerisch gestalteten Bücher" betreffe, "sondern ganz besonders auch die gewählten Texte". Erschien 1921 in einem Druck der Bremer Presse Dantes "Göttliche Komödie", veröffentlichte Diether Roth später eine buchkünstlerische Reihe unter dem Titel "Gesammelte Scheiße".

Der Autor zeichnet sich durch Genauigkeit im Denken aus. Wenn er fragt, ob es "überhaupt eine dem Text quasi notwendige adäquate künstlerische oder typographische Präsentationsform" gebe, kommt er zu dem Ergebnis, dass "zwischen einem Text und dessen optischer Darbietung im Buch kein zwingender Zusammenhang" bestehe. Gleichwohl verändere "jede Darbietungsform das Werk".

Wulf D. von Lucius, 1938 geboren, erweist sich nicht nur als Kenner der Geschichte von Buchdruck, Buchkunst und Büchersammlungen, sondern er erzählt auch sehr persönlich, wie sich die Sammlung, die er und seine Frau zusammengetragen haben, entwickelt hat, was er von älteren Sammlern und "Mentoren" gelernt hat. Er weiß, dass keine Privatsammlung ewig besteht (wenn sie nicht zum Museum erstarrt). Er ist zutiefst damit einverstanden, dass Sammlungen aufgelöst, zusammengelegt oder als Grundstock für öffentliche Bibliotheken verwendet werden. Aus dieser Haltung gewinnt das Buch eine heitere Leichtigkeit, kommen weder Zwanghaftigkeit noch Resignation auf. Die Vergänglichkeit all dessen, was wir zusammentragen, erscheint nicht als Bedrohung, sondern als zum Spiel und zum Ernst des Sammelns gehörend. Das Bewusstsein zukünftiger Auflösungen und Zerstreuungen von Sammlungen, die nicht erst mit dem Tod des Sammlers einsetzen müssen, kann die Freude am Sammeln erhöhen und zugleich bei Misserfolgen trösten.

Wulf D. von Lucius: Das Glück der Bücher. University Press, Berlin 2012. 236 Seiten, Euro 39,90.

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Jürgen Israel

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