Voller Perlen

Made in Almanya - "Songs of Gastarbeiter Vol. 1"
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Weltmusik mitten in Deutschland, bevor es den Begriff überhaupt gab. Ein Album voller Perlen mit einem Booklet, das diese nahe ferne Welt leicht zugänglich macht...

Paaren des "Neokatechumenalen Weges" wegen ihres Kinderreichtums ein Faible für Kuschelrock zu unterstellen, wäre Polemik. Denn was ihre "außergewöhnliche Glaubenskraft" musikalisch befeuert, ist nicht bekannt - dafür aber, dass sie Kölns Kardinal Joachim Meisner begeistern: "Ich sage immer, eine Familie von euch ersetzt mir drei muslimische", lobte er großväterlich. Vor fünfzig Jahren, da lebte der Heimatvertriebene noch in der DDR, stieg vis-à-vis von Meisners Dom Armando Rodrigues de Sá aus dem Zug und bekam dafür ein Moped: Der Zimmermann aus Portugal wurde als millionster Gastarbeiter begrüßt. Beäugt wurden die damals vor allem wegen zweifelhafter Gesinnung. Es herrschte Kommunistenfurcht. Ihr Motiv galt als untadelig, sie kamen "per moneta", wegen des Geldes.

Davon kauften sie, plauderte 1964 eine Spiegel-Titelstory, möglichst bald ein altes Auto: "Die Türken haben sich auf amerikanische Straßenkreuzer spezialisiert." Daran mag denken, wer heute an der roten Ampel neben einer Limousine steht, die trotz geschlossener Scheiben Bässe, schmachtenden Gesang und orientalische Saitenklänge körperlich miterleben lässt. Am Steuer sitzt vermutlich ein Deutschländer dritter Generation. Migrationshintergrund. Es kamen nicht bloß Arbeiter und Autokäufer, sondern ... Sie wissen schon. Und Musik. Davon erzählt "Songs of Gastarbeiter Vol. 1", eine Kompilation mit Songs aus den ersten Jahrzehnten der Einwanderung, und zwar durchweg aus der türkischen und kurdischen Community. Die waren dem Berliner Autor Imran Ayata und dem Künstler Bülent Kullukcu aus München (zusammen nennen sie sich "AYKU") schlicht am nächsten. Musik, die sie bereits als Kinder auf Kassette hörten, wie das damals so war.

Eine sehr vielfältige Musikkultur, die sie dokumentieren und vor dem Vergessen retten wollen. Die Songs haben sie aus den Sammlungen von Eltern, Freunden und Verwandten zusammengetragen und davon vierzehn ausgewählt. Ozan Ata Canani baten sie, das bekannte "Deutsche Freunde" neu einzuspielen, weil davon keine Aufnahme mehr existierte. Zwei weitere kamen als Remixe dazu. Es sind Lieder, die auf Türkisch, Deutsch oder im virtuosen Wechsel von Sehnsucht und Trennungsschmerz handeln, bei den Familien zu Hause und bei denen in Almanya, vom Alltag in der Fabrik, von Träumen und Kollegensprüchen. Doch es geht keineswegs bloß um schwere Gefühle. Vieles ist ironisch scharf und gut beobachtet. Yususfs "Türkisch Mann" spielt souverän mit so ziemlich jedem Vorurteil, "Guten Morgen Mayistero" von Asik Metin Türköz ist beschwingt und gewitzt. Er kam 1962 als Schlosser zu Ford nach Köln und gilt als "Godfather der Gastarbeitermusik".

Rasch gab es eine von Deutschen übersehene Musikszene mit Labels und Verlagen, die Künstler aus der Türkei wie auch hierzulande Lebende herausbrachten. Weltmusik mitten in Deutschland, bevor es den Begriff überhaupt gab. Ein Album voller Perlen mit einem Booklet, das diese nahe ferne Welt leicht zugänglich macht, auch den türkischen Gesang. Den Rest erzählt die Musik.

Songs of Gastarbeiter Vol 1. - Compiled by Imran Ayata & Bülent Kullukcu (AYKU). Trikont/ Indigo 2013.

Udo Feist

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